UNTERNEHMEN / STEIGERWALD Klar vorn
Das Werkzeug, das einmal eine Weltraumstation zusammenschweißt, wird der Elektronenstrahl-Schweißer sein«, prophezeite der deutsche Diplom-Physiker Karl Heinz Steigerwald, 49, vor neun Jahren.
Seit die sowjetischen Raumschiffe Sojus 6, Sojus 7 und 8 nacheinander Ins All starteten, fühlt sich der Chef der Münchner Firma Steigerwald Strahltechnik GmbH vollauf bestätigt: Eine wesentliche Aufgabe der sowjetischen Kosmonauten bei ihren Raum-Experimenten war das Verschweißen von Metall-Teilen im Hochvakuum des Weltraumes (siehe Seite 222). Steigerwald vermutet, daß dabei auch der Elektronenstrahl eingesetzt wurde.
Von den Amerikanern weiß der Experte für Elektronen-Technik schon heute, daß sie Strahlschweißgeräte für Montagearbeiten im All bereithalten. Das Know-how dafür hatte ihnen ein Deutscher geliefert: Karl Heinz Steigerwald.
Entgegen einem Verbot der Besatzungsmächte hatte der junge Physiker nach dem Krieg, als Angestellter der AEG in den Süddeutschen Laboratorien Mosbach in Baden, mit elektronen-optischen Geräten experimentiert. Als er feststellte, daß auf seinem Forschungsgebiet, der Elektronenmikroskopie, »Sauregurkenzeit« (Steigerwald) herrschte, versuchte er, mit den ultrakurzen Strahlen aus der Elektronenröhre Metalle zu bohren und zu schweißen.
Steigerwalds überraschendes Ergebnis: Mit dem energiereichen, scharf gebündelten Strahl ließen sich sogar Metalle, die bislang als nicht schweißbar galten, wie das im Flugzeugbau verwendete Duraluminium, dauerhaft verbinden. Ebenso leicht konnte er Metallplatten durchbohren.
Für Steigerwalds zukunftsträchtiges Schweißverfahren und die von ihm gebaute Strahlenkanone interessierten sich indes weder die AEG noch die Firma Zeiss, bei der Steigerwald seit 1954 weiterforschte. Mehr Gespür für die Neuheit bewies der amerikanische Erfindungen-Makler Irving Rossi.
Als Ingenieure des Westinghouse-Konzerns im amerikanischen Pittsburgh beim Bau des Reaktorgehäuses für die atomgetriebenen »Polaris«-U-Boote verzweifelt nach einem Verfahren für komplizierte Schweißarbeiten suchten, brachte sie Rossi mit Steigerwald bei Zeiss zusammen. Der deutsche Physiker und sein Team bauten den Westinghouse-Ingenieuren eine Strahlenkanone, die die Reaktorbleche so exakt zusammenschweißte, daß die begeisterten Amerikaner das Gerät »Steigerwald-Gun« tauften.
Trotz dieses Erfolges schien dem Strahlen-Fachmann ein typisches deutsches Erfinderschicksal gewiß. Die Manager der altrenommierten Optik-Werke Zeiss wollten den strahlentechnischen Seitentrieb ihrer Entwicklungsabteilung wieder kappen und verkauften sogar eine Reihe der Verfahrens-Patente an Hamilton Standard, eine United-Aircraft-Firma für Flugzeugausrüstungen und Raumfahrt-Technik in den Vereinigten Staaten.
Die US-Ingenieure wußten die deutsche Technologie besser zu nutzen. Mit »Steigerwald-Guns« schweißten sie Raketentriebwerke und Flugzeugteile zuverlässiger als mit allen herkömmlichen Geräten und entwickelten überdies für die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa handliche Geräte für Montagearbeiten im Weltraum.
Steigerwald, der bei Zeiss keine Zukunft sah, baute 1963 im württembergischen Wasseralfingen einen eigenen Betrieb auf. Von Zeiss durfte er seinen zehnköpfigen Entwicklungsstab mitnehmen, vom Land Baden-Württemberg erhielt er einige hunderttausend Mark Startkapital.
Seine erste Großanlage, ein Elektronenschweißgerät im Wert von 1,3 Millionen Mark, konstruierte der Jungunternehmer für die Vereinigten Flugtechnischen Werke (VFW) in Bremen. Den Auftrag erhielt er gegen scharfe internationale Konkurrenz -- auch ausländische Firmen hatten inzwischen die Möglichkeiten des Elektronenstrahls entdeckt.
Zu seinen Kunden zählte Steigerwald bald auch Weltfirmen wie Rolls-Royce, British Aircraft und Daimler Benz sowie den schwedischen Stahlkonzern Sandviken. Mit Steigerwald-Bohrgeräten bearbeiten französische, englische und amerikanische Triebwerkfirmen ihre Turbinen, mit seinen Strahlkanonen werden Teile der Europa-Rakete und des Überschallflugzeugs Concorde geschweißt.
Im Jahre 1965 verlegte der unermüdliche Erfinder ("50 Patente sind es sicher") seinen wachsenden Betrieb nach München, wo Steigerwald heute etwa 200 Wissenschaftler, Techniker und Facharbeiter beschäftigt. Um mit den Aufträgen Schritt zu halten, gründete er Anfang dieses Jahres zusammen mit der Münchner Maschinenfabrik Krauss-Maffei eine Tochtergesellschaft. Sein kauf männischer Geschäftsführer Dr. Dieter Eckart rechnet, bei einem Umsatz von rund acht Millionen Mark 1968, mit jährlichen Steigerungsraten von 40 Prozent.
Steigerwald wartet nicht darauf, daß die Industrie mit Anfragen und Bestellungen zu ihm kommt. Mehrmals im Monat steigt der Firmenchef ins Flugzeug und fragt »die Industrie, welche Probleme sie hat, die wir mit unserer Technologie lösen können«.
Seinen Gästen, die den gebürtigen Koblenzer und Sohn eines Lehrer-Ehepaars im Münchner Vorort Großhadern besuchen, weist Steigerwald gern ein Stück Aluminium vor. Gegen das Licht gehalten, erscheint die Metallfolie durchsichtig wie ein Schleier; sie wurde in wenigen Sekunden 20 000mal pro Quadratzentimeter von Elektronenstrahlen durchbohrt.
Die neue Perforationstechnik erlaubt es, das Gewicht von Blechen -- beispielsweise in der Luftfahrtindustrie -- zu verringern oder Kunststoff die Eigenschaften von Naturleder zu verleihen: Die feinen Löcher lassen kein Wasser, wohl aber Luft durch.
Mit der technologischen Delikatesse überraschte Steigerwald im Mai dieses Jahres -- auf dem 10. Symposion für Strahlen-Technologie im amerikanischen Städtchen Gaithersburg -- auch die internationale Fachwelt. Bei dem Kongreß, an dem rund 200 Experten aus aller Welt teilnahmen, darunter auch sowjetische Wissenschaftler, konnte der deutsche Physiker überdies den Leistungsstand seines Unternehmens mit dem der Konkurrenten vergleichen.
Steigerwald nach dem letzten Fachreferat beruhigt: »Wir liegen immer noch klar an der Spitze.«