PRESSE Klecks am Kiosk
Am Zeitschriftenstand des Stuttgarter Kaufhauses »Horten Mitte« verlangte der Graphiker Gerhard Nestler eine »preiswerte Fernsehzeitschrift«. Für 50 Pfennig legte ihm die Verkäuferin ein buntes Blatt hin, das Nestler freilich kannte: Er hatte das Heft mit dem Titel »Illustrierte Wochenzeitung IWZ« selbst gestaltet und wußte daher, daß es gar nicht zum Einzelverkauf bestimmt war.
Denn die Kleinillustrierte mit Funk- und Fernsehprogramm wird mehreren Tageblättern im Südwesten jeden Freitag kostenlos beigelegt. Die Verkäuferin hatte die 40-Seiten-Beilage einfach aus den Zeitungen herausgeschüttelt und kassierte auf eigene Rechnung -- kein Einzelfall, wie Verlagsmitarbeiter im Lande ermittelten.
Die »IWZ«-Hersteller registrierten den Mißbrauch mit Genugtuung. Denn der Beilagen-Chef Eugen Kurz, 57, Geschäftsführer der renommierten »Stuttgarter Zeitung«, bekam so bescheinigt, was sich per saldo schon seit der »IWZ«-Gründung vor zweieinhalb Jahren abzeichnete: Das Supplement, mit Farbreportagen und Star-Interviews, Rätseln. Kinder- und Hobby-Seiten, wird von den Lesern für voll genommen und beginnt, zum Leidwesen mancher Pressekonzerne, die handelsüblichen Programmzeitschriften zu verdrängen.
»Unlauterer Wettbewerb«, hadert der Springer-Verlag ("Hörzu«, »Funk Uhr"), »wenn etwas auf dem Rücken anderer kostenlos verbreitet wird«. Und tatsächlich schrumpfte im »IWZ«-Verbreitungsgebiet der Marktanteil einiger der sechs größten Millionen-Programmblätter zeitweilig bis zu 23 Prozent.
»Noch ärgerlicher als beim Vertrieb« fiel dem Hamburger Bauer-Verlag ("TV Hören und Sehen«, »Fernsehwoche") die Stuttgarter Gratisnummer im Anzeigengeschäft auf. Denn mit vollwertigen Farbanzeigen erschloß das Supplement den schwarzweiß gedruckten Blättern, denen es beigelegt wird, die Markenwerbung großen Stils.
Schon gewährten einige Akquisiteure der herkömmlichen Programmpresse' wie sich im Südwesten herumsprach, Großinserenten Sonderkonditionen. »Natürlich«, sagt ein Verlagssprecher' »muß man sich nach der Decke strecken« -- die Wirtschaftsflaute hatte den Programmblättern Anzeigeneinbußen bis zu 30 Prozent beschert. Bauer-Sprecher Lutz Böhme entrüstet sich denn auch über die »Schizophrenie der Herren Markenartikler, die gegen Dumpingwaren zu Felde ziehen, aber in eine kostenlos verbreitete Zeitschrift gehen«.
Die Werber selbst haben freilich mit ihrer »IWZ«-Reklame das Lesepublikum der Tageszeitungen im Visier, das in so dichter Streuung und regionaler Kompaktheit von Illustrierten sonst nicht erreicht wird. Und die »IWZ« sorgt dafür, daß die Berieselung noch zunimmt: Sie verschaffte -- eigentlicher Zweck der Gründung -- den Trägerzeitungen auch neue Auflagenimpulse.
Ihrem Stammblatt, der in Südwest führenden »Stuttgarter Zeitung« (Tagesauflage: 157 000), verhalf die Gratis-Zugabe zu solchen Lokalerfolgen, daß die Verleger der bedrängten »Stuttgarter Nachrichten« (Auflage: 72 000) letztes Jahr demütig um wöchentliche Abgabe eines »IWZ«-Kontingents nachsuchten. Verhandlungsergebnis: Die Bittsteller kapitulierten vor Kurz und überließen seinem Haus 80 Prozent an ihrer Zeitung (SPIEGEL 15/1974).
Zusammen mit der Ulmer »Südwest-Presse«, der »Eßlinger Zeitung« und der Ludwigshafener »Rheinpfalz« verbreiten die Stuttgarter Blätter mittlerweile 902 272 »IWZ«-Wochenexemplare. Der »Farbklecks in der Zeitung« (Kurz) ist so die mit Abstand auflagenstärkste Zeitschrift des südwestdeutschen Bereichs geworden und überragt die nächstfolgende »Hörzu« fast um das Doppelte -- für Kurz Modell für weitere Expansion in andere Räume: »Wir haben die Ertragsschwelle soeben planmäßig überschritten.«
Verleger großer Regional- und Lokalzeitungen nördlich der Mainlinie sind mit dem schwäbischen Kollegen »in einem permanenten Kontakt«. So mag es sein, daß bald auch Zeitungsleser in Hannover, Essen oder Frankfurt den Kurz-Knüller aus ihrer Zeitung schütteln können. Anfang 1977 sollen es zweieinhalb Millionen (Kurz: »Das ist eher tiefgestapelt") sein, und für die Zeit irgendwann danach formuliert der Verleger eine kühne Vision. Kurz: »Vielleicht sind wir eines Tages die größte illustrierte Zeitschrift der Bundesrepublik.«