Zur Ausgabe
Artikel 30 / 68

LUFTFAHRT / AIRBUS Kleine Küche

aus DER SPIEGEL 24/1968

Fünfzehn Jahre lang lag die Deutsche Lufthansa auf solidem Geschäftskurs. Jetzt soll sie nach Bonner Kommando in eine turbulente Verlustzone steuern.

Auf Drängen von Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller beschloß das Bundeskabinett vorletzte Woche, dem zu 74,56 Prozent bundeseigenen Luftfahrtunternehmen ein Investitionsvorhaben aufzuzwingen, das die Luftschiffer selbst als »krasse Fehlentscheidung« werten.

Die Lufthansa AG soll -- so die Kabinettsorder -- für fast eine Milliarde Mark 18 Großraum-Flugzeuge vom Typ »Airbus A-300« bestellen. Die Düsenmaschinen »sind für Mittelstrecken vorgesehen und werden von einem deutsch-französisch-britischen Firmenkonsortium gebaut. 1973 sollen die ersten Maschinen in Dienst gestellt werden.

Sonst ist von dem Jet nur bekannt, daß er 300 Passagiere fassen und mit 900 Kilometern Stundentempo fliegen soll. Lufthansa-Sprecher Dr. Carl Wingenroth: »Wir werden auf ein Flugzeug genotzüchtigt, von dem wir weder die technischen Details kennen noch konkrete Preisvorstellungen haben.«

Schillers Auftrag entspringt denn auch weniger dem Bedürfnis der Lufthansa nach neuen Flugzeugtypen als dem Auftragsmangel der Luftfahrtindustrie. Schon seit Jahren rufen die Flugzeugbauer nach Anschlußaufträgen für die ausgelaufenen Lizenzbauserien des Starfighters.

Auch die französische und die britische Luftfahrtindustrie sind seit einigen Jahren schlecht beschäftigt. Die drei Regierungen waren deshalb -- am 26. September 1967 -- übereingekommen, zwei Milliarden Mark Entwicklungskosten vorzuschießen, wenn sich nationale Firmengruppen gegen die amerikanische Konkurrenz zum Bau eines Euro-Flugzeuges zusammenfänden. Es galt, die Marktlücke für Großflugzeuge mit mittlerer Europa-Reichweite für die siebziger Jahre zu schließen.

Die französischen Firmen Sud-Aviation und Snecma, die englischen Hawker-Siddeley-Flugzeugwerke und Rolls-Royce, die deutsche M.A.N. Turbo GmbH und eine Deutsche Airbus GmbH* machten sich ans Werk. Die Deutschen sollten sich mit 25 Prozent an der Flugzeugzelle (vorderes und hinteres Mittelstück, Heck und Leitwerk) und mit 12,5 Prozent am Triebwerk (Schubumkehrer) beteiligen. Freilich fehlten für den Airbus noch die Käufer,

Die Regierungen in Bonn, Paris und London regelten auch das. In einem »Memorandum of understanding« verpflichteten sie sich, bis zum 30. Juni Garantien für die Abnahme von möglichst je 25 Maschinen durch ihre staatlichen Fluggesellschaften zu schaffen.

Lufthansa, Air France und BEA jedoch äugten auch nach den USA, wo die etablierten Firmen vielversprechende Modelle projektieren. So bieten > die McDonnell Douglas Werke den Entwurf einer Airbus-Version »DC-10«,

* Lockheed die Blaupausen einer »L1011« und

* Boeing, der Hoflieferant der Lufthansa, die Planunterlagen für eine »B 757«.

Alle US-Projekte versprechen komfortabler auszufallen als der europäische Puzzle-Bomber.

Notgedrungen nahmen die europäischen Flugzeugbauer Ingenieure der

* Ihr gehören die Firmen Siebelwerke-ATG GmbH (Bölkow-Gruppe), Dornier GmbH, Hamburger Flugzeugbau GmbH, Messerschmitt Werke-Flugzeug Union Süd GmbH und die Vereinigten Flugtechnischen Werke GmbH an.

Luftfahrtgesellschaften in ein Komitee auf, um die Wünsche und Beschwerden der Flieger anzuhören. Denn zum Beispiel kritisierten die Lufthanseaten am europäischen Airbus,

* mit nur zwei Piloten im Cockpit und Platz für nur sechs Stewardessen sei die Maschine unzulänglich bemannt;

* die in Achterreihen gruppierten

Fluggast-Sessel seien zu primitiv; > der Trinkwasservorrat reiche nicht aus, die Küche sei zu klein; zu allem Überfluß fehle noch ein Not-Sauerstoff-System für die Passagiere.

Vor allem war von den Airbus-Bauern der drei europäischen Nationen immer noch kein fester Preis genannt worden. Die Amerikaner dagegen hatten sich verpflichtet, 58 Millionen Mark pro US-Airbus nicht zu überschreiten.

Lufthansa-Vorstandssenior Gerhard Höltje schwor seine Mannschaft deshalb auf hinhaltenden Widerstand ein. Bei kaufmännischer Kalkulation, so Höltje, brauche die Lufthansa ohnehin nur fünf Mittelstrecken-Großflugzeuge, und die frühestens im Jahre 1975. Statt sich jetzt festzulegen, wolle der Vorstand lieber bis 1973 warten und dann über das beste Modell -- ob europäischen oder amerikanischen Baumusters -- entscheiden.

Dem steht der Kabinettsbeschluß entgegen. Zehn Airbus-Maschinen sollen sofort bestellt, acht in eine Vormerkliste eingetragen werden. Notfalls soll von Bonn eine Ausfallbürgschaft geleistet werden, wenn 1975 rentablere Airbusse auf dem Markt sind.

Trotz Kabinettsorder aber will die Vorstands-Crew der Lufthansa nicht parieren. Finanzdirektor Dr. Herbert Culmann macht sich sogar zum Absprung bereit.

In einem Brief an das Bundesverkehrsministerium verwarf Culmann den Kabinettsbeschluß. Kollegen gegenüber äußerte er, falls der Mehrheitsaktionär Bund den Airbus-Kauf erzwinge, werde er als Finanzchef der Lufthansa zurücktreten.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 68
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren