SAMMLER Kleine Kultur
Die Briefmarke mit dem blau gedruckten Männerkopf war bis Juli letzten Jahres noch im Versand zu haben, als Sammlermarke der Bundespost. Preis, laut aufgedrucktem Nennwert: fünfzig Pfennig.
Bald darauf -- die immer noch lebhafte Nachfrage bei der Post ging schon ins Leere -- wurde die ungestempelte, »postfrische« Marke im Briefmarkenhandel immer teurer. 18 Mark waren im Frühjahr für das Fünfgroschenpapier zu zahlen, zwanzig S.104 Mark im Hochsommer. Mittlerweile kostet die Marke schon 55 Mark.
Gustav Heinemann, der sich als Bundespräsident nur widerwillig auf einer Dauerserie fürs Postporto abbilden ließ, macht unter Philatelisten eine steile Karriere. Die blaue Heinemann, zigmillionenmal erst als Auslands-, dann als Inlands-Briefporto benötigt und schließlich für Briefdrucksachen verwendet, ist unbeleckt und ohne Stempel zur Raität geworden. Auktionator Günther Schwanke in Hamburg: »Die sind alle verklebt worden.«
Der Preisschub um die 11 000 Prozent binnen 14 Monaten
( Der Preisauftrieb erfaßte nur die ) ( Ausgabe der »Deutschen Bundespost«, ) ( nicht die der »Deutschen Bundespost ) ( Berlin«. )
ist für Jürgen Ehrlich, Präsident des Briefmarkenhändler-Verbandes in Köln, »ein Ausreißer, wie ich ihn noch nicht erlebt habe«. Auch sein Vize Schwanke sieht darin »einen Sonderfall -- und auch wieder nicht«.
Denn anders als in früheren Jahren sind Wertsprünge auch bei jüngeren Marken keine Seltenheit mehr. Dafür kennt Großhändler Heinz Heubach im fränkischen Behringersdorf inzwischen »Dutzende von Beispielen«.
»Alle Rekorde« hatte zuvor, wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« im Juli notierte, eine Sondermarke »Für den Sport« vom vorletzten Jahr gebrochen, bedruckt mit einem über die Hürde setzenden Springreiter. Sie ging zum Postwert von 70 Pfennig plus 35 Pfennig Zuschlag über den Schalter und war bis Ende 1978 bei den Postversandstellen für Sammler in Frankfurt und Berlin erhältlich; Auflage: 4,8 Millionen. Heute kostet das gummierte 1,05-Mark-Stück um die 25 Mark.
Ähnlich kletterten die Handelswerte für andere postfrische Sondermarken der letzten Jahre, etwa für einen Satz Jugendmarken (mit Greifvögeln) von 1973, vier Stücke zum Gesamtnennwert von 2,45 Mark einschließlich Zuschlag. Heutiger Einzelhandelspreis: an die fünfzig Mark. Ein Zehnerbogen der 60- und 30-Pfennig-Marke zum »Tag der Briefmarke« im Oktober letzten Jahres ging ebenfalls rapide nach oben. Bogenpreis: postfrisch 38 Mark, mit Sonderstempel vom ersten Verkaufstag 50 Mark.
»Alle Jugendmarken von 1971 an«, sagt Heubach, seien mittlerweile im Handelswert kräftig gestiegen. Ebenso kletterten Sporthilfe-Marken und andere Sondermarken mit Zuschlägen oder manche Markenblöcke. Beispiel: Zwei verschiedene Werteblöcke zur Münchner Olympiade 1972, Ausgabepreis S.106 zwei Mark und 2,45 Mark, kosten nunmehr je 37 Mark.
»Daß sich manche Werte schon in kurzer Zeit vervielfachen«, ist auch für Grossist Erhard Kunert in Frankfurt neu. Die bisweilen »spektakulären Dinge« (Kunert) sind Folge einer steigenden Nachfrage bei immer mehr Sammlern (allein rund 725 000 Postabonnenten), aber auch der jeweiligen Markenauflage. Ein paar hunderttausend Stück mehr oder weniger -- das kann laut Ehrlich »schon zur Folge haben, daß eine Marke außergewöhnlich steigt oder über Jahre hinweg sauer wird«.
Die »sehr guten Zukunftschancen« vieler neuerer Sorten, wie sie Heubach voraussagt, könnten allerdings mit einem Schlag zu Ende sein, wenn eine technische Neuentwicklung die herkömmlichen Briefmarken verdrängt: Computermarken aus dem Automaten.
In 15 westdeutschen Postämtern will die Post Anfang kommenden Jahres sogenannte Münz-Wertzeichendrucker versuchsweise aufstellen. Von zehn Pfennig bis 2,80 Mark kann dann der Kunde, wie beim Fahrkartenautomaten der städtischen Verkehrsbetriebe, den benötigten Betrag durch Knopfdruck wählen, und er erhält, wenn die Münzen nicht passend sind, das Wechselgeld zurück.
Heraus kommt eine einheitlich grüngelbe Klebemarke mit dem vom Automaten eingedruckten Portowert. Sie würde dem Briefmarkensammeln den besonderen Reiz nehmen, die Vielfalt der Sorten und Serien, das Tausenderlei von Farben, Formen und Figuren.
Daß die eintönige Computermarke einmal alle gedruckten Einzelwerte der Dauerserien und Sondermarken entbehrlich machen könnte, gilt bei der Bundespost allerdings vorerst als ausgeschlossen. Nicht nur daß der hohe Vorratsbedarf im privaten wie professionellen Bereich durch die Automaten nicht gedeckt werden könnte; »die herkömmliche Briefmarke«, räumt Referent Werner Rüger vom Bonner Postministerium ein, sei längst auch ein unverzichtbares »Medium, eine Art staatlicher Selbstdarstellungsmittel und kulturelles Objekt« geworden.
Das »lebhafte öffentliche Verständnis und Interesse« (Rüger) für den Kulturträger im Kleinformat schließt ein, daß sich Philatelisten bisweilen wie professionelle Kunstsammler verhalten und kühl spekulieren. Nur so sind auch die Preisbewegungen der letzten Zeit zu erklären. »Der Großhandel«, sagt Heubach, »ist nicht so finanzstark, um sich mit den vielen verschiedenen Marken für die nächsten zehn Jahre bevorraten zu können. Sind die Läger von bestimmten Werten erst einmal geräumt, kauft der Handel aus Privathand nach, und der Preis schaukelt sich hinauf.«
Der Branche gibt es derzeit noch Rätsel auf, daß der Preis für die Heinemann-Fünfziger so steil hochgeschossen ist. Heubach berichtet bereits von einem Preis um die 6000 Mark für den Hunderter-Bogen und fragt sich: »Überzogene Spekulation oder nicht?«
Voraussetzung für solch exorbitanten Preisanstieg ist offenbar, daß »niemand große Bestände hat« (Kunert). So hatte Heubach »zehn Jahre ganze Sätze liegen« und verbrauchte sie dann, »damit das Zeug rauskam«. Auch Kunert stieß es ab, weil''s »nie was geworden war«.
Bei der Post gingen die Vorräte plötzlich zu Ende, als ganz zum Schluß noch Großversender wie Chemiefirmen oder Lotterieeinnehmer die Heinemann-Fünfziger für Briefdrucksachen orderten. Denn das Direktversand-Gewerbe weiß, daß ein Brief mit Marke beim Adressaten mehr Aufmerksamkeit findet als ein Umschlag mit Freistempel.
Händler Schwanke hat den Verdacht, daß sich viele Käufer am Vorbild einer einst ebenfalls viel verklebten Marke orientieren: der Heuss-Fünfziger aus dem Jahre 1954.
Sie kostet heute, postfrisch, 1350 Mark.
S.104Der Preisauftrieb erfaßte nur die Ausgabe der »DeutschenBundespost«, nicht die der »Deutschen Bundespost Berlin«.*