RECHTSRADIKALE Kleiner Herr mit Hut
Als Wissenschaftler war der Byzantinistik-Professor Berthold Rubin nie besonders aufgefallen, als Demonstrant machte er Schlagzeilen.
Weil ihm die Berliner Mauer so zuwider war wie Wahlsiege der Linken, entschloß er sich zu spektakulären Protestaktionen. Im August 1964, am dritten Jahrestag des Mauerbaus, sprang er 17mal über New Jersey (USA) mit dem Fallschirm ab. Vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 1971 inszenierte er eine Selbstentführung.
Ende 1970 galt es wieder mal, gegen die Roten zu tricksen. In Rubins Berliner Villa hatten sich allerlei deutschnationale Weggefährten versammelt, um Wahlkampfparolen gegen die damals regierenden Sozialdemokraten zu entwerfen.
Schwungvoll reimten die rechten Sprüchemacher drauflos: »Willst du nicht bei Ulbricht fronen, wähle keine roten Drohnen«, oder: »Bleibst du weiter Leisetreter, verkaufen dich die Volksverräter«.
Die Slogans der Kalten Krieger wurden im Namen einer »Aktionsgemeinschaft 17. Juni« gedruckt, sie waren als Textaufkleber für SPD-Plakate gedacht. Nach Erinnerung von Teilnehmern tagte der rechte Klüngel im Auftrag und zur »hellen Begeisterung« der Berliner CDU. Da würden sich »die Linken aber ärgern«, habe Heinrich Lummer, seinerzeit Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, bei der Präsentation der Texte geschwärmt.
Die Freude währte nicht lange. Da die Aktionsgemeinschaft einen V-Mann des Verfassungsschutzes in ihren Reihen hatte, wurde die Klebekolonne, die Ende Februar 1971 nächtens SPD-Plakate verunzieren wollte, von der Polizei abgepaßt. Die Beamten ertappten 21 Täter beim Sudeln, einen sogar, als er irrtümlich ein CDU-Plakat überkleben wollte.
Auch für Heinrich Lummer ging die Sache böse aus, allerdings mit 15 Jahren Verspätung. Axel Lutze, 47, bis 1973 V-Mann des Verfassungsschutzes und 1986 vorübergehend Sprecher der FDP in Berlin, enthüllte dem SPIEGEL, daß Lummer Vertretern der Aktionsgemeinschaft eine Woche vor der Klebeaktion 2000 Mark zugesteckt hatte. Deshalb mußte der Christdemokrat, der bereits durch den Berliner Bauskandal belastet war, von seinem Amt als Innensenator zurücktreten.
Die schwarz-braunen Kungeleien beschäftigen seither einen Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. 16 Monate lang sichtete das Gremium Hunderte von Vermerken und Zeugenaussagen, suchte nach Belegen für rechtsextreme Kontakte der CDU, die den Delinquenten schon am Tag nach der Plakataktion prominente Rechtsanwälte besorgt hatte, darunter den früheren CDU-Fraktionsgeschäftsführer Rudolf Luster oder Barbara Saß-Viehweger, heute für die CDU im Innen- und Rechtsausschuß des Landesparlaments.
Die Arbeit wurde den Parlamentariern nicht leichtgemacht. Hochrangige Zeugen zeigten erstaunlich große Erinnerungslücken.
Ex-Senator Lummer bestritt die meisten Vorwürfe und wußte nicht einmal mehr zu sagen, ob ihm seinerzeit die Schmähgedichte der Rubin-Runde präsentiert worden waren. Sicherheitsbeamte mußten das Verschwinden umfänglicher Akten aus dem Landesamt für Verfassungsschutz eingestehen, vermochten aber die Fehlbestände nicht zu erklären. Verfassungsschutzchefs sagten Widersprüchliches über den Verbleib von Lummer-Dossiers aus dem Präsidententresor: Während Ex-Präsident Franz Natusch sich erinnerte, seinem Amtsnachfolger Dieter Wagner den Panzerschrank »Ordner für Ordner« übergeben zu haben, will Wagner »lediglich den Schlüssel vorgefunden« haben.
Zweimal, 1986 nach der SPIEGEL-Veröffentlichung, aber auch schon 1982, hatte der Innensenator wegen der 2000-Mark-Spende im Landesamt vorgesprochen. Lummer durfte Akten, die seine Neonazi-Kontakte betrafen, einsehen und Tresorunterlagen sogar mitnehmen. Unterlagen zum Spendenfall allerdings, behauptet Ex-Amtschef Natusch aus »sehr vager« Erinnerung, habe der Unionspolitiker nicht gelesen, schon deshalb nicht, weil »höchstwahrscheinlich« nichts davon im Tresor gewesen sei.
Was in den rund 1500 Einzelberichten der »Arbeitsakte« des V-Mannes Lutze gestanden hat, konnten die Parlamentarier nicht mehr aufklären. Die mit Hinweisen auf schwarz-braune Kooperation gespickte Lutze-Akte wurde nach Auskunft des Verfassungsschutzes vernichtet - »ein üblicher Vorgang«.
Auch wenn viele Spuren verwischt waren, trug der Untersuchungsausschuß in einem vertraulichen Berichtsentwurf noch allerlei belastendes Material über Berlins Regierende zusammen: So wurde der von V-Mann Lutze observierte rechte Kreis mindestens zweimal durch »einen hohen CDU-Politiker« (Ausschußbericht) mit Informationen aus dem Sicherheitsausschuß des Parlaments versorgt und vor einem Verräter in seinen Reihen gewarnt.
Lummer zählte nach Urteil von Parteifreunden schon damals »zu den bestinformierten Leuten in dieser Stadt«. Der Ex-Senator will seinen rechtsextremen Partnern zwar nur »ganz allgemein« mitgeteilt haben, sie seien amtlich durchschaut. Doch Verfassungsschutzchef Eberhard Zachmann, Amtsleiter und Natusch-Vorgänger, gestand dem Ausschuß freimütig, er »habe vermutet, daß es der Zeuge Lummer gewesen sei«, der die Behördenaktion verraten habe. Der
beim christdemokratischen Parteivolk beliebte Heinrich Lummer, der auf Parteitagen traditionell Spitzenergebnisse und Szenenapplaus einheimst, bemüht sich seit je um Rückhalt bei den Rechten, auch außerhalb der CDU. Mit publikumswirksamen Tiraden wettert er gegen türkische »Überfremdung«, Alternative und Apartheid-Gegner. Für Aufsehen sorgte die Äußerung des CDU-Mannes, angesichts linksradikaler Aktivitäten sei das von den Alliierten für Berlin verhängte NPD-Betätigungsverbot wirklich zu bedauern.
In der vom Verfassungsschutz als »rechtsextremistisch« eingestuften »Aktionsgemeinschaft« wußten offenbar alle Mitstreiter, wer Ansprechpartner bei der CDU war. Axel Lutze, zugleich Führungsfigur des kleinen Vereins, vernahm es allenthalben: »Lummer ist unser Mann.«
Im August 1970 lud Lummer zwei Männer der Aktionsgemeinschaft in sein Fraktionszimmer, um dort, wie Gäste hinterher zu berichten wußten, mit ihnen eine Plakataktion der Ultrarechten gegen die Koalitionsparteien SPD und FDP zu bereden.
Während die Ultras behaupteten, der CDU-Fraktionschef habe bei der Gelegenheit Klebeaktionen in Auftrag gegeben, hat Lummer das Treffen ganz anders in Erinnerung: Die Besucher hätten versprochen, gegen Honorar werde die mit ihnen verbundene Wählergemeinschaft »Deutsche Volkspartei« auf eine Kandidatur bei der bevorstehenden Wahl zum Abgeordnetenhaus verzichten: »Wir wollen Geld für unsere Arbeit, anderenfalls kandidieren wir.« Den drohenden Aderlaß an rechten Stimmen - »Das kann ein Mensch wie ich natürlich nicht wünschen« - will Lummer dann mit der 2000-Mark-Spende abgewendet haben.
Dieser Version widersprachen allerdings die meisten übrigen Ausschußzeugen, darunter auch Ex-Verfassungsschützer Natusch. Sein Amt sei nur darüber informiert gewesen, daß sich die Aktionsgemeinschaft von Lummer Geld für eine Plakataktion versprach.
Am 14. Dezember 1970 schickte einer der rechten Kontaktmänner, Philipp Gölles, namens der Wählergemeinschaft »die gewünschte Kostenaufstellung« und avisierte »4 Mannschaften zu je 1 Pkw, pro Pkw 4 Mann als Klebekolonnen«. Gölles forderte als Gegenleistung einflußreiche Jobs für seine Parteifreunde und im »Fall des Totalsieges der CDU« auch Ämter, da »die CDU Nutznießerin dieser Aktionen« sei. Den Aufwand bezifferte er auf 10 000 Mark.
Gölles will dieses Schreiben persönlich in den Briefkasten gesteckt, Lummer hingegen den Brief nie erhalten haben.
Weil die verlangte Summe so erheblich von den gezahlten 2000 Mark abwich, prüfte der Ausschuß auch noch, ob es »mehrere Geldzahlungen« der Christenunion gegeben habe. V-Mann Lutze hatte im Vorstand der Rechtsextremisten vernommen, daß nach der Lummer-Spende »aus der Ecke noch mehr Geld« kommen solle.
Außerdem gab es unter den Geldempfängern verdächtige Widersprüche. Während die von Lutze beobachtete Transaktion in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms stattfand, nannte ein anderer Arbeitsgemeinschaftler den Schöneberger Sachsendamm als Treff. Dort sei ein »kleiner Herr« unter geheimnistuerischen Umständen - »den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hut ins Gesicht gezogen« - auf ihn zugetreten und habe Geld überreicht. Lummer, 1,58 Meter groß, sei es allerdings nicht gewesen, sagte der Zeuge aus.
So mußten die Parlamentarier die Suche nach weiteren Spendenzahlungen ergebnislos beenden, zumal Zeuge Lummer ihnen versicherte, er »besitze keinen Schlapphut«.
Ungeklärt blieb auch, mit welchen Parteifreunden Lummer seine Kooperation abgestimmt hatte und aus welcher CDU-Kasse das Geld stammte. Der Christdemokrat will einen »Teil der Spitze« seiner Partei informiert haben. Der inzwischen verstorbene Peter Lorenz, damals Parteivorsitzender, und CDU-Schatzmeister Hans-Joachim Boehm konnten sich an nichts erinnern.
Lummer selber wußte über die Herkunft des Geldes wenig zu sagen. Die Summe sei wohl aus dem »Umfeld« der Partei, etwa dem Polizeiarbeitskreis oder der Jungen Union, geflossen. Schatzmeister Boehm steuerte die Mutmaßung bei, Lummers Umschlag sei womöglich aus einer der »sogenannten schwarzen Kassen« gefüllt worden, die es in der Partei »immer wieder« gegeben habe.
Den schwarz-braunen Enthüllungen über Regierungspartei und Nachrichtendienst fiel seit Lummers Sturz nur einer zum Opfer - der Urheber Axel Lutze.
Die Tätigkeit der V-Leute wird vom Berliner Innensenator Wilhelm Kewenig zwar immer wieder als hoffähig und »legitim« gepriesen. Auch hat Lutzes früherer Amtschef Eberhard Zachmann seinen Informanten vor dem Ausschuß als »ausgesprochen zuverlässig« eingestuft. Gegen den Vorwurf eines einst observierten Rechtsextremisten, Lutze sei auch Agent der Ost-Berliner Staatssicherheit gewesen, nahm das Landesamt den Verdächtigen letzte Woche ausdrücklich in Schutz: »Keine Anhaltspunkte.«
Gleichwohl sitzt Lutze nun zwischen den Fronten. Nachdem er wegen der V-Mann-Vergangenheit seinen Posten als FDP-Sprecher verloren hatte, bekommt er auf der Suche nach Jobs überall Absagen. Auch die Rache der Rechten muß er fürchten. Die Kripo verordnete dem früheren Nachrichtendienstler Polizeischutz rund um die Uhr. _(Im Januar 1982 nach einem Bombenanschlag ) _(auf ein israelisches Restaurant in ) _(Berlin-Wilmersdorf. )
Im Januar 1982 nach einem Bombenanschlag auf ein israelischesRestaurant in Berlin-Wilmersdorf.