Strafrechtreform Kloß im Magen
Wenn Justizminister Gerhard Jahn, 45, seine seit Jahren versprochene Reform des Strafrechts vom Bundestag genehmigt bekommt, könnte es in deutschen Kinosälen dunkel werden. Ob dann etwa der Erfolgsfilm »Der Pate«, in dem »am Ende der Brutalste siegt« (CDU-MdB Heinz Eyrich), verboten wird, ist nach Jahns Neuerungen umstritten. Staatsanwalt Eyrich: »Man muß wohl nicht, aber man kann.«
Schon vor der parlamentarischen Verabschiedung des neuen Paragraphen 131 StGB*, der die »Verherrlichung oder Verharmlosung« von Ge-
* Paragraph 131: Wer Schriften. Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen, die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken oder die zum Rassenhaß aufstacheln, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder zugänglich macht, einer Person unter 18 Jahren anbietet. überläßt oder sonst zugänglich macht ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
walttätigkeiten bestrafen soll, bezweifeln kundige Juristen, daß die neuen Normen »der Weisheit letzter Schluß« sind (SPD-MdB Adolf Müller-Emmert). Neue Rechtsunsicherheit -- so fürchten sie -- sei unvermeidlich, weil unpräzise Formulierungen den Staatsanwälten einen allzu weiten Ermessensspielraum lassen.
Dabei hatte es an guter Absicht nicht gefehlt. Die Reformer von der Bonner Rosenburg wollten vor allem allzu brutale Kriminal- und Wildwestfilme vom Fernsehschirm verbannen. Inzwischen geben selbst engagierte Sozialdemokraten zu, daß die Gesetzesnorm gegen »Verherrlichung oder Verharmlosung« eine »kaum anwendbare Plakatnorm« (SPD-MdB Wilderich Freiherr Ostman von der Leye) sei, die allenfalls eine »Signalwirkung« verspreche.
Folgerichtig schlug FDP-MdB Andreas von Schoeler, 24, in der Beratung der Jahn-Novelle am letzten Mittwoch im Strafrechts-Sonderausschuß des Bundestages vor, den neuen Paragraphen ersatzlos zu streichen. Doch diese Konsequenz ging wieder Ostman und Genossen zu weit. Der SPD-Freiherr konterte, Jahns Entwurf mache immerhin »eine Umwertung deutlich«. Der Verleger wurde philosophisch: »1000 Jahre hatten wir falsche Werte. Der große Kämpfer darf schlachten und ist ein Held. Sexualität aber darf nicht sein.«
Die Rückbesinnung auf die richtigen Werte hatte Rechtsanwalt und Notar Jahn schon in seinem Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts vor fast drei Jahren verheißen. »Wichtige Neuerungen« und »tiefgreifende Änderungen« sollten in einem neuen Strafrecht kodifiziert werden, damit »Freiheit zu geschlechtlicher Selbstbestimmung« herrsche und die sexuelle Entwicklung des jungen Menschen »ungestört« verlaufen könne.
Doch den großen Worten folgten fade Kompromisse. Und auch in der letzten Beratungsrunde des Strafrechtssonderausschusses des Bundestages, die am vergangenen Mittwoch begann, wird kaum noch zu verhindern sein, daß die Ergebnisse glückloser Taktik, ängstlichen Lavierens und gescheiterter Überzeugungsversuche in das Gesetzeswerk eingehen.
Jahn konnte sich bis zur Wahl am 19. November 1972 noch damit herausreden, seine Reformentwürfe müßten zwangsläufig verwaschen und unscharf ausfallen, weil die knappe Parlamentsmehrheit der Koalition eine klare Sprache nicht zulasse. Nun, da die Koalition über eine bequeme Mehrheit verfügt, muß er sich auf koalitionsinternen Widerstand gefaßt machen. Parlaments-Novize von Schoeler, von den Freidemokraten in den Sonderausschuß entsandt, staunte: »Da sind doch dicke Hunde drin. Wir müssen aufpassen, daß nicht die ganze Konzeption unglaubwürdig wird.«
Auch die neuen Porno-Bestimmungen des Strafgesetzbuches, die das bisher geltende absolute Porno-Verbot ablösen sollen, kodifizieren in zwei Paragraphen mit sieben Ziffern lediglich ein perfektes Reglement, dessen Sinn und Durchsetzbarkeit schon heute zweifelhaft erscheinen. Verboten sind nach dem Entwurf für die neue Fassung der Paragraphen 184 und 184 a StGB unter anderem
Darstellungen von Sadismus, sexuellen Praktiken mit Kindern oder Tieren,
die Weitergabe von pornographischen Erzeugnissen an Jugendliche unter 18 Jahren und
das Ausstellen dieser Waren »an einem Ort, der Personen unter 18 Jahren zugänglich ist«.
Zudem dürfen Porno-Produkte weder an Kiosken noch in Leihbüchereien oder Lesezirkeln angeboten werden. Erst in der letzten Woche verständigten sich die Koalitionsparteien darauf, aus Jahns Plänen das Verbot von Porno-Kinos zu streichen und des Ministers Verdikt gegen den Porno-Versandhandel zu überprüfen.
Unverändert blieb im Strafrechts-Sonderausschuß bislang hingegen ein Katalog, der auch Nichtpornographisches ahndet. Als Ordnungswidrigkeiten sollen laut Reformentwurf »grob anstößige Handlungen« verfolgt werden, etwa Kontaktanzeigen in Zeitungen, sofern sie »Gelegenheit zu sexuellen Handlungen« anbieten, und öffentliche Reklame für »Gegenstände, die dem sexuellen Gebrauch dienen«.
SPD-Ausschußvorsitzender Müller-Emmert freut sich: »Wir kriegen wieder eine erheblich schönere Umwelt.« Die Saubermann-Aktion stieß sogar bei der christdemokratischen Opposition auf Interesse. In der vergangenen Woche erklärte sich die CDU bereit, den Koalitionsentwurf zu akzeptieren, wenn SPD und FDP vor allem auf zwei Projekte (Straffreiheit für Ehegattenkuppelei und Abschaffung einschlägiger Vorschriften im Gesetz über jugendgefährdende Schriften) verzichten.
Dafür sind nun Abgeordnete aus den eigenen Reihen skeptisch geworden. SPD-MdB und Landgerichtsrat Hans de With spürt das Verbot des Porno-Versandhandels wie »einen schweren Kloß im Magen«. Und Jurist von Schoeler, der Anfang des Jahres sein erstes Staatsexamen absolvierte, fürchtet gar. Jahns Jugendschutz sei »nur ein Vorwand, um Erwachsene zu bevormunden«.