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UNO / MITGLIEDER Klub der Kleinen

aus DER SPIEGEL 43/1966

Wer in New York den Uno-Botschafter der Malediven anrufen wollte, mußte bisher in Manhattan die Nummer CH 4-2290 wählen. Es meldete sich die »Maldevian Philatelie Agency«, eine Gemeinschaftsgründung mehrerer Entwicklungsländer, die heimische Briefmarken gegen harte Devisen an Sammler und Händler verkauft.

Seit Beginn der jetzigen Uno-Vollversammlung ist der Diplomat der Mini -Inseln im Indischen Ozean - 298 Quadratkilometer, 96 000 Einwohner - unter der Telephonnummer 889-7033 zu erreichen: in der Suite 15. E des Hotels »Concord« an der 40. Straße.

In schmucklosen Hotelzimmern oder gemieteten Appartements residieren auch die Uno-Botschafter aus Gabun, Kuwait, Malta und Zypern.

Der afrikanische Zwerg Gambia schickt 'nicht einmal Menschen ins Hotel: Die einst britische Kolonie (315 000 Einwohner) läßt sich bei der Uno durch die einst französische Kolonie Senegal (3,3 Millionen Einwohner) vertreten. Den Gambia-Schwarzen fehlt es an Diplomaten und an Geld, um eine eigene Uno-Mission zu unterhalten.

An Geld mangelt es auch den meisten der übrigen Mitglieder im »Klub der Kleinen«, wie die Uno-Staaten mit weniger als einer Million Einwohnern genannt werden. Mit der Aufnahme der bisher britischen Besitzung Guayana ist der Klub auf zwölf Mitglieder angewachsen, von denen keines so viele Einwohner hat wie München und das kleinste noch kleiner ist als Flensburg**.

Diese zwölf Mini-Staaten steuern insgesamt gerade 0,48 Prozent zum ordentlichen Uno-Haushalt von 508 Millionen Mark bei, die USA dagegen mehr als 30 Prozent, die Sowjet-Union mehr als 17 Prozent. Obwohl die meisten Mitglieder aus dem »Klub der Kleinen« auch noch dem Hilfsfonds der mit 130 Millionen Mark verschuldeten Uno zur Last fallen, können sie - mit Hilfe ihrer afro-asiatischen Nachbarn jeden Antrag der Großen zu Fall bringen. Denn 96 000 Malediven-Insulaner haben in der Vollversammlung dieselbe Macht wie 195 Millionen US-Amerikaner: die Macht einer Stimme.

Bekannte Mauretaniens Uno-Botschafter, Vertreter von 800 000 Afrikanern: »Wir stellen die Gruppe dar, die am wenigsten repräsentiert, aber die meisten Stimmen hat.«

1945/46 gehörten der Uno 54 Staaten an, heute versammeln sich im riesigen, mit grünen Veloursteppichen ausgelegten Sitzungssaal am East River die Abgesandten von 119 Staaten. Aber noch immer ist die Uno kein Weltforum: Ein Viertel der Weltbevölkerung ist nicht vertreten, weder Rotchinesen noch Koreaner, weder Vietnamesen noch Deutsche sitzen in der Uno.

Statt großer, finanzkräftiger Länder kamen kleine, arme Staaten: Immer mehr ehemalige Kolonien in Afrika und Asien wurden unabhängig. Und für sie ist ein Palaver-Sitz in der Vollversammlung ebenso Symbol der neuen Freiheit wie die eigene Nationalhymne und die eigene Flagge.

Die mittelgroßen Länder Afrikas und Asiens entsandten Premiers und Präsidenten, um in der Uno gegen den »Kolonialismus« Südafrikas oder Portugals zu wettern, und investierten Millionen für ein New Yorker Domizil, die daheim im Staatshaushalt fehlten.

Bis zum vergangenen Sommer akzeptierten Sicherheitsrat und Vollversammlung jeden Aufnahmeantrag der jungen Staaten, denn die Uno steht laut Charta »allen friedliebenden Ländern offen«. Doch nachdem auch die Malediven ohne nähere Prüfung als 117. Uno-Mitglied Sitz und Stimme erhalten hatten, wurde ein Unterausschuß der Vereinten Nationen beauftragt, Vorschläge für eine Neuregelung der Mitgliedschaft von Mini-Staaten auszuarbeiten.

Die Ausschußmitglieder standen vor einem Dilemma. Machten sie die Aufnahme von wirtschaftlichen Voraussetzungen abhängig, so würde aus der Uno ein Klub der Reichen werden. Machten sie die Einwohnerzahl zum entscheidenden Kriterium, so hätten neue Klein-Anwärter mit Recht auf den bereits bestehenden »Klub der Kleinen« verweisen können. Machten sie schließlich ausreichende politische Erfahrungen zur Voraussetzung für eine Uno-Mitgliedschaft, so hätte kaum eine Ex-Kolonie Aussicht auf Zulassung.

Der Ausschuß einigte sich auf einen Kompromiß: Neu zur Uno kommende Kleinstaaten sollen sich mit Nachbar -Ländern und -Inseln zu einem losen Staatenbund zusammenschließen, gemeinsam in die Uno einziehen und gemeinsam eine Stimme in Anspruch nehmen (also eine sogenannte Kuriatstimme, wie sie Kleinstaaten des 1806 erloschenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besaßen).

Die Mini-Staaten könnten dann die Kosten für eine gemeinsame Uno-Vertretung aufbringen; sie könnten gemeinsam auch ihren Beitrag zum Uno-Haushalt aufbringen; und sie könnten vor allem gemeinsam einen Uno-Botschafter bestellen, der wirklich immer am Sitz der Uno anwesend wäre. (Der Uno-Botschafter der Malediven nahm im vergangenen Jahr nur an 30 von 137 Abstimmungen teil.)

Mitte vergangenen Monats wurde der Ausschuß-Vorschlag erstmals getestet: Die Komitee-Mitglieder bemühten sich, die Insel Barbados (430 Quadratkilometer, 236 000 Einwohner), die im November unabhängig wird, zur Föderation mit benachbarten karibischen Staaten zu veranlassen.

Doch Barbados lehnte ab. Premier Errol Walton Barrow forderte für seine Insel Sitz und Stimme - so wie auch Lesotho (bisher Basutoland - 800 000 Einwohner). Bhutan (710 000) und Botswana (bisher Betschuanaland - 548 000) Vollmitglieder werden wollen.

Den Insulanern wurde die Ablehnung erleichtert. Denn zur gleichen Zeit, da der Mini-Staaten-Unterausschuß darum kämpft, die Zahl der Uno-Mitglieder zu beschränken, bemüht sich ein anderer Ausschuß der Uno, immer mehr bislang abhängigen Territorien zur Selbständigkeit und zur Uno-Mitgliedschaft zu verhelfen: das »Spezialkomitee zur Gewährung der Unabhängigkeit«.

Dessen neuester Vorschlag: Australien soll einem anderen Kleinst-Staat bis zum Januar 1968 die volle Unabhängigkeit -gewähren: der Phosphat -Insel Nauru (SPIEGEL 40/1966), deren Insel-Chef Hammer de Roburt bereits Uno-Pläne angemeldet hat. Gegen Nauru ist Barbados beinahe ein Riese: Die Insel am Äquator hat 5000 Einwöhner.

Besorgte Uno-Beamte errechneten, daß in den nächsten Jahren weitere 65 Gebiete unabhängig werden könnten, von denen nur wenige - wie Mozambique (6.5 Millionen Einwohner) - größer sind als Barbados, die meisten jedoch ebenso klein wie die Malediven oder noch kleiner: Die Pitcairn-Insel etwa hat 86 Einwohner.

** Trinidad und Tobago (947 000 Einwohner,

Kongo-Brazzaville (840 000). Mauretanien (800 000). Guayana (638 000), Zypern (590 000), Gabun (458 000), Luxemburg (329 000), Malta (324 000). Kuwait (321 000). Gambia (315 000), Island (190 000), Malediven (96 000).

Afrikaner in der Uno*: Ein Viertel der Welt vor der Tür

* Bei einer Rede des Präsidenten Kaunda von Sambia

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