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Parteien Knarrendes Grollen

Rausschmiß aus der SPD, Ostpolitik auf eigene Faust, Kungelgeschäfte und Affären - der SPD-Mann Harry Ristock, Berliner Urgestein, zieht Bilanz.
aus DER SPIEGEL 13/1991

Mit Spruchbändern protestierte eine Handvoll Jusos auf dem Berliner SPD-Landesparteitag gegen eine Große Koalition mit der CDU. Das Partei-Establishment konterte mit administrativen Maßnahmen: »Unser Beschluß lautet: Das Plakat ist drei Minuten lang zumutbar.«

Auf dem Kongreß, bei dem Berlins Sozialdemokraten im letzten Dezember den Schock der Wahlniederlage zu verarbeiten suchten und einen Pakt mit der CDU vorbereiteten, herrschte Getümmel wie in den wilden sechziger Jahren. Und wie Anno 1968 schlug sich am Rednerpult ein kleiner dicker Mann für die Jungen und bekannte, auch er habe wegen des angestrebten schwarz-roten Bündnisses »Erstickungszustände« - Harry Ristock, 63, ein »Altväterchen der Linken« (Die Tageszeitung), wie eh und je.

Ristock, in der Berliner SPD lange Jahre Anführer der Parteilinken und einflußreicher als etwa der nachmals so populäre Walter Momper, nimmt in Partei, Fraktion und Regierung keine Ämter mehr wahr. Der frühere SPD-Bundesvorständler und einstige Berliner Bausenator möchte nur noch »als Elder Statesman quer durch die Partei« wirken - das allerdings mit altgewohnter Lautstärke.

Bonner SPD-Prominente, voran »Leute wie Peter Glotz und Horst Ehmke«, die gegen einen Umzug der Regierung nach Berlin eintreten, werden von Ristock als »heuchlerisch, verlogen, wortbrüchig« beschimpft. Auch mit seinem Berliner SPD-Chef Momper ist Ristock überkreuz: Mompers Engagement für die Große Koalition, diese »widernatürliche Vereinigung mit der CDU«, hat bei Ristock derartige Antipathien ausgelöst, daß es die beiden nach Beobachtung von Freunden »nicht mehr gemeinsam in einem Raum aushalten«.

Ristock geht, wie er gekommen ist - im Clinch mit den Größen und mit den Mehrheiten seiner Partei.

In seiner politischen Lebensbilanz, die der SPD-Veteran letzte Woche vorgelegt hat, schreibt er über seine Rolle zwischen den Parteiflanken in Berlin und Bonn - und was sie ihm eingebracht hat: »Herbert Wehners knarrendes Grollen, Willy Brandts gekränktes Anschweigen und Helmut Schmidts Eruptionen**.«

Stolz schildert Ristock, wie er einst mit einer »offiziösen Politik« zum Ausgleich mit dem Osten beigetragen hat, bis die Entspannung zwischen den Blöcken zur »offiziellen Politik« wurde.

Der gebürtige Ostpreuße Ristock lotste seine Genossen schon lange, bevor das Eis zwischen Ost und West zu tauen begann, zu Gemeinschaftsreisen und Begegnungen in die kalte Heimat. Auf Gedenkfahrten zu polnischen KZ-Stätten flatterte der Berliner Delegation die SPD-Fahne voran.

Viele DDR-Obere kannte Ristock aus seinen eigenen Kampfzeiten. 1950 war er in die SPD eingetreten, wenig später wurde er Funktionär bei der Parteijugend »Die Falken«. Mit seinen Jung-Sozis störte er häufig die Veranstaltungen der kommunistischen Freien Deutschen Jugend (FDJ), so jedenfalls wußte es bei einem Treffen 1988 Margot Honecker zu berichten, Frau des ehemaligen DDR-Staatsoberhaupts Erich Honecker und frühere DDR-Volksbildungsministerin. Alt-Falke Ristock wiederum erinnert sich an Margot als ein »attraktives Weib«, das in umkämpften Sälen zusammen mit Honecker und dem späteren Stasi-Chef Erich Mielke das Podium behauptete.

Als betriebsamer Lokalmatador geriet Ristock mit der Zeit zu einer Art Berliner Urgestein. Angesichts freundlicher ** Harry Ristock: »Neben dem roten Teppich«. _(Edition Hentrich, Berlin; 232 Seiten; 36 ) _(Mark. * Walter Momper und Harry Ristock ) _(1988 im ehemaligen KZ Buchenwald. ) Anerkennung, die er von politischen Gegnern wie von einst gepiesackten Genossen erfährt, ist Ristock hoch zufrieden: »Die Leute mögen mich.«

Kein Genosse trägt es Ristock mehr nach, daß er in seinen Jahren als Berliner Bausenator (1975 bis 1981) mit Stadtbetonierung und Vetternwirtschaft zu tun hatte. In seine Amtszeit fällt der Korruptionsskandal um den Unternehmer Dietrich Garski, bei dem ausgedehnter Filz zwischen Sozis und Baubranche sichtbar wurde.

Die Affäre, in der Ristock »aus Gründen der Selbstachtung« seinen Rücktritt vom Senatsamt anbot, trug dazu bei, die seit Kriegsende andauernde SPD-Ära in Berlin zu beenden - der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe mußte gehen, sein Nachfolger Hans-Jochen Vogel hielt nur noch knapp vier Monate die Stellung für die Sozialdemokraten.

Ristock wollte dann 1985 sogar selbst an die Regierungsspitze. Das trübe Ende dieser Kandidatur gibt längst Stoff für Anekdoten her.

Im Vorwahlkampf war die Fensterbau-Firma Metalu, die den Ex-Senator Ristock als Geschäftsführer geangelt hatte, ins Gerede gebracht worden, weil sie Sozialabgaben in Höhe von 715 000 Mark nicht fristgerecht abgeführt hatte.

Wegen der Unregelmäßigkeiten bei der von ihm gemanagten Firma verzichtete Ristock schließlich auf seine Bürgermeisterkandidatur. In seinem Buch enthüllt er, wie ihm Ex-Feind Honecker noch 1989 auf einem Empfang Trost spendete. Es sei »völlig idiotisch« gewesen, »wegen dieser Scheiß-Fensterfirma zurückzutreten«, habe Honecker gesagt und angedeutet, die DDR hätte damals ja helfen können. Honeckers Angebot laut Ristock: »Die DDR braucht immer Fenster.«

Ein Nachfolger des einstigen SED-Chefs darf sich neuerdings zum alljährlichen Sommerfest in Ristocks Charlottenburger Schrebergarten-Kolonie »Heimat« einfinden: Gregor Gysi, PDS-Leiter ist auf der Parzelle Ristocks ebenso anzutreffen wie christdemokratische Senatoren, bunte Kulturschickis, Trotzkisten und Alternative.

Der Ristock-Garten ist ein Stück Stadtlegende. Der Ex-Senator, der Hunderte von exotischen Pflanzen betreut, taxiert manchen Gast unbemerkt während der obligaten Gartenbegehung. Wer sich an dem botanischen Reichtum nicht interessiert zeigt, ist schon durchgefallen. Ristock: »Bei dem muß irgend etwas fehlen.«

Kenner wußten denn auch sofort, wie ernst es Ristock war, als er Ende letzten Jahres auf dem SPD-Parteitag Mompers Große Koalition mit einem Begriff aus dem Reich der Pflanzenschädlinge belegte: Dieses politische Bündnis, so Ristock, breite sich »wie Mehltau über die Stadt«.

Konfrontation mit führenden Genossen handelte sich der betriebsame Funktionär seit jeher mit Lust und Liebe ein: Schon Mitte der fünfziger Jahre mißfiel in der Partei, daß Ristocks »Falken« bei Erich Honeckers FDJ sondierten, ob sich die ostdeutsche Staatsjugend für eine Freilassung eingesperrter Sozialdemokraten in der DDR stark machen könnte. _(* Mit Helmut Schmidt; in Ristocks Garten ) _(beim Laubenpieperfest. )

In der damals auf strikte Abgrenzung zur DDR bedachten SPD überlegten manche, »den Hund rauszuschmeißen« (Ristock). Obendrein focht der Ober-Falke auch noch gemeinsam mit einer linken »Keulen-Riege« gegen die Einsetzung Willy Brandts als Bürgermeister, die von der Parteirechten betrieben worden war.

Sanktionen gegen den »politischen Halbstarken« (Lokalpresse) beschränkten sich lange Zeit auf Nadelstiche wie die Kürzung seines Gehalts bei den Falken 1960. Ristocks Vorstöße 1965 gegen die Annäherung der Bonner SPD-Oberen an die Union ("gefährlich, bizarr, lächerlich") strafte dann schon der spätere Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, persönlich mit einer Brandrede ab. Ristock erinnert sich: _____« Die Hälfte seines vierzigminütigen Schlußworts » _____« widmete er »diesem aus Berlin«. Ätzend, brachial, laut, » _____« eben Wehner. Im großen Saal wurde es eisig. Freunde, die » _____« um mich herumsaßen, schauten weg vor »diesem aus Berlin«, » _____« den der große alte Mann der Sozialdemokratie in den Boden » _____« zu stampfen versuchte. In solchen Momenten ist man sehr » _____« allein. »

Ernst machte die Partei, als das Berliner Landesvorstandsmitglied Ristock im Februar 1968 mit demonstrierenden Studenten, Kirchenleuten und SPD-Linken gegen die amerikanische Vietnam-Kriegführung auf die Straße ging. Im Volk wie in der Partei, so Ristock, habe »eine erschreckende Situation des Hasses« auf die linken Protestierer geherrscht.

Die folgende parteioffizielle Abrechnung mit ihm und seinen Freunden kritisierte Ristock als »stalinistisch«. Daraufhin flog er im März 1968 aus der SPD - »wegen Gefahr im Verzuge« sogar ohne ordentliches Verfahren. Der SPD-Bundesparteitag allerdings hob wenig später den Beschluß auf und ließ Berliner Ristock-Gegner wie Bürgermeister Klaus Schütz sogar »Spießrutenlaufen«, wie der Rehabilitierte befriedigt vermerkte.

Argwohn bis in jüngste Zeit nährte Ristock bei Parteigenossen auch mit einem politischen Salon, den er in seinem Eigenheim im Norden Berlins unterhielt. An einem ovalen Riesentisch gastierten jahrelang allerlei Mächtige und Wichtige zu Plauderstündchen, Kungelrunden oder Informationsaustausch.

Von 1981 bis zur Wende waren 33mal SED-Politiker aus Zentralkomitee und Politbüro in das von Freunden so genannte »heimliche Gästehaus der SPD« geladen. Meist gemeinsam mit dem Parteifreund Alexander Longolius sowie dem jeweiligen SPD-Landesvorsitzenden testete der Hausherr bei den Funktionären Spielräume zur deutschdeutschen Annäherung.

Enttäuscht erlebt Ristock, daß seit der Einheit mancher der alten Gesprächspartner nicht mehr recht zur gemeinsamen Sache stehen mag. Er jedenfalls, trotzt Ristock, sei weiterhin ein von Rosa Luxemburg geprägter Marxist - »erst recht nach der Wende«.

Der frühere DDR-Ideologe Professor Otto Reinhold, langjähriger Stammgast am ovalen Tisch, habe kürzlich geäußert, der Sozialismus sei tot. Dem werde er deshalb, zürnt der Alt-Linke Ristock, »demnächst einen überbraten«.

** Harry Ristock: »Neben dem roten Teppich«. Edition Hentrich,Berlin; 232 Seiten; 36 Mark. * Walter Momper und Harry Ristock 1988im ehemaligen KZ Buchenwald.* Mit Helmut Schmidt; in Ristocks Garten beim Laubenpieperfest.

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