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GESELLSCHAFT / PROVOS Knüppel aus dem Sack

aus DER SPIEGEL 13/1967

Er lernte Koch. Aber dann las er »viele Bücher« und bildete sich, wie er sagt, »zum Autodiktat« heran. Nun ist er »in erster Linie gegen die heutige Konsum-Gesellschaft« und überzeugt, daß er »ziemlich weit« komme -- der Frankfurter Obdachlose Hans-Peter Ernst, 24, Organisator und Haupt der ersten deutschen Provo-Gruppe.

Provos -- das waren die bärtigen und mähnigen Jünglinge, die im März 1966 anläßlich der Hochzeit der Thronfolgerin Beatrix mit Claus von Arnsberg in Amsterdam erstmals die Straße bevölkerten. »Aufständische Söhne« nannte sie der Provo-Promotor und Philosophiestudent Roel van Duyn.

Der ideale Provo ist, wie es van Duyn einmal formulierte, »launisch und ungreifbar, oppositionell gegen alles«. Und im Gegensatz zum Gammler braucht ein Provo -- so der deutsche Provo-Führer Ernst -- »keine langen Haare zu haben und nicht ungewaschen zu sein«.

Unter den bislang 30 Revoluzzern, die der auch »Spieler« genannte Provo-Häuptling seit letzten Herbst um sich schart, sind denn neben ehemaligen Gammlern und jugendlichen Wermutbrüdern auch wohlgekämmte Lehrlinge und Gymnasiasten mit weißen Hemden.

In Holland mauserte sich die von anarchistischen Gedanken beflügelte Provo-Bewegung zu einer exzentrischen politischen Kraft, die einen »weißen Schornsteinplan« gegen die Luftverschmutzung und einen »weißen Frauenplan« zur sexuellen Aufklärung forderte.

So weit ist die Frankfurter Truppe noch nicht. Spieler Ernst gibt ihr einen anderen Zuschnitt: »Ich stelle keine geistigen Anforderungen.« Zunächst begnügte er sich mit der Formulierung dessen, wogegen ein guter deutscher Provo zu sein habe: »gegen das Grundgesetz«, gegen das »kapitalistische Wirtschaftssystem«, gegen die »Konsum.-Gesellschaft« und gegen »die Polizei«. Kommandeur Ernst unlängst in einem Tagesbefehl: »Wulle wulle -- das seid Ihr. Eure Partner, die Polizisten sind Bulle bulle -- damit es keine Verwechslungen gibt ... Laßt sie schlagen! Aber schlagt niemals selbst, sondern lauft weg.«

Anfangs brauchte Bulle bulle nicht zu schlagen und Wulle wulle nicht zu laufen. In den ersten Monaten hielt Ernst seine Mannschaft noch zu friedvoller Beschäftigung an. Etwa, indem er sie Lyrik ("Wir könnten auch sagen, macht eure Scheiße alleine") verfertigen oder ein hektographiertes Provo-Blatt herausgeben ließ . »Peng -- Zeitung für Provos und Linkssexuelle«.

Auf der Straße protestierte das deutsche Provotariat erstmals um Weihnachten, nachdem der Geschäftsführer des Restaurants Aschinger am Frankfurter Hauptbahnhof frierenden Gammlern die Tür gewiesen hatte. Dann, am 11. Februar, schloß sich Ernst mit seinen Leuten einer Anti-Vietnamkrieg-Demonstration linksgerichteter Gruppen wie des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) vor dem Frankfurter US-Generalkonsulat an. Die ungebetenen Mitmarschierer verstreuten Konfetti, labten sich aus Wermut-Flaschen und wedelten mit brennenden Zeitungen unter den Nilstern von Polizei-Pferden. Nun schlugen die Polizisten, und Provos wie Protestanten liefen.

Eine Woche später versuchte Wulle wulle, die Polizei in eigener Regie zu provozieren. Ernsts Leute ritten auf Steckenpferden beim Generalkonsulat vor -- mit Parolen wie »Amerika den Indianern« und »Hoppe, hoppe Reiter, wir reiten ruhig weiter«.

Aber diesmal blieb Frankfurts Polizei ungerührt -- trotz einer Nebelbombe, die auf dem Straßenpflaster zerplatzte. Denn Polizeioberrat Josef Jordan, 54, stellvertretender Leiter der Frankfurter Schutzpolizei. hatte seinen Leuten Zurückhaltung befohlen, nachdem ihm eine detaillierte schriftliche Regieanweisung. Ernsts in die Hände gefallen war ("Wir spielen: Knüppel aus dem Sack, Krüppel in den Sack

Den ersehnten Kontakt mit seinen Gegnern will Provo-Führer Ernst jetzt durch »Aktionen mit kleinen Gruppen« erreichen. Ernst: »Das hält die Polizei auf die Dauer nicht durch.«

Was auf die Polizei alles zukommen kann, liest sich in Ernsts Anleitungen so: »Wulle wulle demonstriert an verschiedenen Stellen gleichzeitig, verschwindet sofort, teilt sich erneut ... Das splittert Bulle bulle auf und ermöglicht, den Verkehrsteilnehmer ... ins Spiel einzubeziehen.«

An den Vorbereitungen neuer Aktionen konnte Ernst letzte Woche nicht teilnehmen. Er saß in U-Haft, weil er zwei junge Leute dazu angestiftet haben soll, Steine in die Fenster des US-Generalkonsulats zu werfen.

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