KNUSPRIG UND SCHMACKHAFT
Hosianna, unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung hat einen Sieg errungen. Einst waren die Verleger Bärmeier & Nikel aufgebrochen, die Gesellschaft zu verändern. Mit einem »Revolutions-Lexikon« wollten sie womöglich gar die Massen aufwiegeln. Mit einer -- angekündigten -- Stiftung für »Förderung von Meinungsfreiheit und fortschrittlicher Literatur« gedachten sie -- mit Marx! -- den Mehrwert zu erforschen. Kurz, sie wollten »Sauerstoff Ins Gehirn der Leute blasen«.
Noch blasen sie. Doch gottlob, sie blasen jetzt das Lied der Industrie. Am vorletzten Wochenende verkündete Erich Bärmeier, zugleich mit einer Kapital-Erhöhung, die neue Konzeption seiner Verbraucherzeitschrift »DM«. Die »Frankfurter Allgemeine« verbreitete die Freudenbotschaft: »Das »Agitations- und Pöbelblatt' von einst ist nun endgültig gestorben ... Der Verleger und Chefredakteur des Blattes, Erich Bärmeier, zugleich Mitinhaber des »DM'-Verlages, will nicht mehr gegen die Industrie polemisieren.«
Daß die »DM«, wie Bärmeier sagte, nicht mehr ein »Kampfblatt gegen die Industrie« ist, wurde spätestens deutlich, als Verleger Bärmeier im Mai selbst die Berufung zum Chefredakteur in sich fühlte.
Dem »lieben Leser« erläuterte er In einem Leitartikel den »Übergang von der »ersten Zeitschrift mit Warentests« zum »Verbraucher-Magazin der siebziger Jahre'«. Bärmeier setzte den Lesern auseinander, was sie künftig als Konsumenten zu wollen und was sie nicht zu wollen haben: »Das Problem, vor dem der Verbraucher heute steht, ist nicht mehr, welchen Kühlschrank, welchen Staubsauger, welchen Fernsehapparat kaufe ich mir.«
Nein, das Verbraucherproblem war für Bärmeier viel attraktiver, nämlich: »Soll Ich mir einen neuen Kühlschrank kaufen oder lieber den alten weiterlaufen lassen und auf einen Farbfernseher sparen? Oder soll ich eine Tiefkühltruhe anschaffen; man hört soviel darüber im Zusammenhang mit moderner Ernährung? Oder soll ich mit dem Schmalfilmen anfangen? Oder lohnt es, das Geld, das Ich mir in diesem Jahr erübrigen kann, auf den Kopf zu hauen und eine Kreuzfahrt in die Karibische See oder nach Ostasien zu machen?«
Die neue »DM« soll Bedürfnisse wecken, sie soll die »tausend verschiedenen Möglichkeiten, die Ihnen unsere auf Hochtouren laufende Industrie bietet«, aufzeigen und kritisch beurteilen und nicht mehr so sehr testen, ob eine Ware gut oder schlecht ist. Das ist nämlich längst überflüssig geworden, wie Bärmeler dem lieben Leser im November klarmachte: Denn »der Leistungsstandard der deutschen Industrie« sei »Inzwischen so hoch geworden, daß nur noch selten Anlaß für scharfe Kritik oder gar Kaufwarnungen besteht«.
Und diesen Leistungsstandard verteidigt die »DM« mannhaft, ob es sich nun um Strumpfhosen oder Farbfernseher handelt: »Haltbarkeit von Strumpfhosen ist weniger eine Frage der Qualität, sondern eine Frage des Temperaments der Trägerin«, rügt die »DM«, die -- laut Bärmeier -- »gewiß die Industrie nicht zugunsten einzelner Leser auspowern« will. Und als die Händler die Fernsehindustrie angriffen, weil zwei Drittel aller Farbgeräte innerhalb von 1000 Betriebsstunden ausfallen, konterte die »DM«, die Zahlen seien »nicht repräsentativ«, es gehe den Händlern nur um bessere Konditionen. Ja, das »DM«-Jahrbuch 71 befindet, die Farbfernseher seien durch die Bank »gut« oder »sehr gut«, denn: »schlechte Empfänger gibt es in der Bundesrepublik nicht mehr. Alle sind zu empfehlen ...« Bärmeler in seiner Erläuterung des hohen Leistungsstandards: »Die Industrie beginnt also, »DM« als Werbeträger zu nutzen und zu schätzen. Sollten wir ihr das verwehren?«
Diese Gefahr besteht beim Verlag Bärmeler & Nikel, der jetzt auch Anzeigenkombinationen für die industriefreundliche »DM« und die satirische Zeitschrift »Pardon« anbietet, gewiß nicht mehr.
Eher müssen die Werbeabteilungen der Industriefirmen fürchten, daß sie durch die »DM« überflüssig werden. Denn Bärmeiers »DM« animiert zumindest ebensogut zum Konsumrausch wie ausgefuchste Werber auch. Das Dezember-Heft preist einen neuen Würzspray. Durch die Überschrift: »Knusprig und schmackhaft«. Durch die Fettzeile: »Mit einem neuen Spray ist Würzen keine Glückssache mehr«. Und durch die Bildunterschrift »Rundherum braun und schmackhaft: mit Würzspray besprühtes Hähnchen.«
»DM« formuliert für eine Allzweckschere den Werbespot: »Biber 2000 garantiert sauberen und fransenfreien Schnitt«. Und »DM« verleiht Bügeleisen Werbe-Temperament: »Leichter, lustiger und praktischer Ist ein neues Bügeleisen«.
Die alte böse »DM« hätte da noch industriefeindlich formuliert: Ein Bügeleisen Ist zum Bügeln und nicht zum Lachen da.