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Hongkong Kochende Sauna

Alteingesessene Unternehmer verbrüdern sich mit den zukünftigen Machthabern aus Peking. Die Stadt boomt, die Demokratie hat keine Chance.
aus DER SPIEGEL 44/1993

Das ist es, was mir gefällt«, sagt der Tycoon. Leise knirschen die weißen Kieselsteine auf seinem Dachgarten unter den Sohlen der italienischen Designerschuhe. Das von Geld und Macht gehärtete Gesicht entspannt sich beim Anblick der kühnen, wie gemeißelt am Himmel stehenden Wolkenkratzerkulisse von Hongkong.

Peter Woo ist einer der reichsten Männer der Stadt. Er dreht den Kopf Richtung Standard Chartered Bank: »Dahinten«, sagt der Banker, »saß ich im Aufsichtsrat.« Vor dem Hafen der Stadt zieht seine altehrwürdige »Star Ferry« weiße Streifen durch die aufgewühlte See.

Die Zahnradbahn, die Touristen aus dem kapitalistischen Whirlpool im Zeitlupentempo auf den »Peak« befördert, gehört ihm; ebenso der vierspurige Tunnel, der das Bankenviertel mit der hektischsten Shoppingmeile der Welt verbindet, dem Stadtteil Kowloon (Neun Drachen) auf dem Festland.

Peter Woo, 46, repräsentiert Hongkongs Geldadel. Er formuliert so gestochen wie die Leitartikler der Financial Times. Das Londoner Blatt könnte er aus der Portokasse kaufen. Woos Vermögen beträgt 45 Milliarden Hongkong-Dollar, mehr als 9 Milliarden Mark.

Wie kein anderer verkörpert Woo den Geist Hongkongs - die Besessenheit, Geld zu raffen, aber auch die Effizienz dieser pulsierenden Sechs-Millionen-Metropole, die 1997 an China fallen wird.

Anfang der siebziger Jahre übernahm er von seinem Schwiegervater, dem Geschäftsmann _(* Bei der Eröffnung einer ) _(Kunstausstellung in Hongkong. ) und Reeder Sir Y.K. Pao, den Vermögenskonzern Wharf. Die Profite wuchsen seitdem alljährlich im Schnitt um 27 Prozent.

Ähnlich raketenhaft stiegen nur noch die Kurse an der Hongkonger Börse. Als die Briten 1982 ankündigten, sie würden die Kronkolonie, die sie den Chinesen im Opiumkrieg 1842 abgetrotzt hatten, Pekings Genossen übergeben, stand der Index gerade mal bei 1200 Punkten. Anfang vergangener Woche kletterte er auf über 9000 Punkte.

»Jetzt sind wir reicher als das Mutterland Großbritannien«, triumphierte die Lokalpresse. Der Tiger an der Mündung des Perlflusses zeigt Europa, den USA, selbst Japan die Zähne. »Hier, am Rande der kochenden chinesischen Wirtschaftssauna, wird die Geschichte des 21. Jahrhunderts gemacht«, freut sich Steven Cheung, Dekan der Wirtschaftsfakultät der Universität Hongkong. »Das Einkaufszentrum Times Square ist schon heute so verschwenderisch aufgemotzt, daß Los Angeles oder New York daneben billig wirken.«

Mit seinen drei soeben fertiggestellten Wohn- und Büroblöcken am Times Square wird Aufsteiger Woo zum zweitgrößten Immobilienbesitzer der Handelsmetropole. Obwohl das Projekt 400 Millionen Mark verschlang, soll es sich spätestens in drei Jahren rechnen.

Doch erfolgreich zu sein genügt nicht, um Aufsehen in dieser Stadt zu erregen, deren Bewohner Tag und Nacht schuften, als verschafften nur Rolls-Royce-Limousinen oder Designer-Anzüge einen Lustgewinn.

Breite Beachtung fand Woo erst, als er Handelsvertreter für Chinas Kommunisten wurde. Dabei hatte sein Schwiegervater 1949 bei der Besetzung von Schanghai durch die Revolutionäre fast sein ganzes Vermögen verloren.

Seit die künftigen Herren aus Peking im Frühjahr die Demokratisierungspläne des britischen Gouverneurs Chris Patten ablehnten und ihre »eigene Küche« (Schattenkabinett) eröffneten, ist Woo einer der Chefköche.

Als Wortführer berät er gemeinsam mit Hongkongs reichstem Mann, Li Ka-Shing, und zwei Dutzend anderen Wirtschaftsführern die Pekinger Regierung von Premierminister Li Peng in der Zeit des Übergangs.

Die Superreichen sind aus wohlbedachtem Kalkül zu den Genossen übergelaufen. »Das ist wie an der Börse«, meint Journalist Jin Zhong, der vor einigen Jahren aus China flüchtete und nun das kritische Monatsmagazin Kaifang leitet. »Die chinesische Aktie erlebt die größte Hausse des Jahrhunderts. Wer jetzt nicht einsteigt, wird im Millionenspiel um die Zukunft des südchinesischen Wirtschaftsraums nicht mehr dabeisein.«

Mit Dutzenden von Milliarden US-Dollar will Woos Konzern Wharf in den kommenden Jahren die Infrastruktur Chinas ausbauen. Die Rendite, glaubt er, »wird mehr als das Dreifache dessen sein, was wir heute in den kühnsten Träumen erwarten«.

Im sino-britischen Abkommen von 1984 sicherten die Kommunisten zu, Hongkong werde nach Deng Xiaopings Modell von »einem Land und zwei Systemen« noch 50 Jahre lang kapitalistisch bleiben. »Rührend naiv« findet Woo, daß Patten 9 Jahre nach Vertragsabschluß in Hongkong unbedingt noch »britische Werte einführen will«.

Wenn man die Unternehmerfreundlichkeit der Verlautbarungen aus Peking und London vergleiche, sagt Professor Cheung, lägen die Chinesen »um Längen vorn«.

»Clown« und »Falschspieler« schmähen chinesische Blätter den blaßhäutigen Patten. Um den Volksvertretern Hongkongs mehr Spielraum gegen die zukünftigen Regenten zu sichern, wollte der Brite bis 1997 alle 60 Abgeordneten des Stadtparlaments LegCo frei wählen lassen, notfalls auch ohne die Zustimmung der Kommunisten. Die reagierten kaltschnäuzig mit der Drohung, die Wahlen mit ihrer Machtübernahme zu annullieren.

In den letzten vier Jahren britischer Kolonialherrschaft in Asien geht es nicht um einen Wettstreit von Demokraten gegen Despoten. Auf dem Spiel steht vielmehr die Machtverteilung im dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt, in der Region Südchina.

Die Sieger lenken aus edelholzgetäfelten Konzernzentralen in Hongkong, Schanghai und Taipeh mehrere hundert Millionen Menschen. Die Waren, die sie zu Hungerlöhnen herstellen lassen, sollen die Märkte der Welt überschwemmen.

Mittendrin kämpft Patten um das Ideal des »one man, one vote«, das erst jetzt von Westminster nach Fernost exportiert werden soll.

Patten möchte die Macht der Wahlmänner, die von den einzelnen Berufsgruppen delegiert werden, beschneiden; die Kommunisten wollen von dem Exklusiv-Wahlrecht keinesfalls abrücken. »Bei der Wahlgruppe der Banker wollen wir nicht, daß Herr Patten jede Putzfrau abstimmen läßt«, bekennt einer der führenden Vertreter Chinas. »Nur die Bosse sollen wählen.«

In Christus-Pose breitete Chris Patten vor dem Hongkonger Stadtparlament die Arme aus, kehrte die Handflächen gen Himmel und klagte: »Ich verstehe nicht, warum die Chinesen nicht auf meine Vorschläge eingehen.« Westliche Demokratie und konfuzianischer Autokratismus, erklärt hingegen Liu Ruishao von der Menschenrechtszeitschrift Dangdai, »sind unvereinbar. Es kann nur einen Verlierer geben: Patten«.

Schon im September 1991 entschied in Peking eine von fünf sogenannten Klein-Arbeitsgruppen, die direkt dem Politbüro unterstehen, wie mit der Stadt und ihren britischen Regenten zu verfahren sei.

Die Existenz dieser Pekinger Gremien gilt in China als Staatsgeheimnis. Sie sind für Staatssicherheit und Aufklärung, Wirtschaft, Finanzen sowie Außenpolitik und Innenpolitik zuständig. Die kommunistischen Halbgötter, die dort mitreden, bestimmen das Geschehen im Land - und nicht das Zentralkomitee.

Unter der Führung des ehemaligen Leiters des Hongkong- und Macaubüros, Ji Pengfei, wurde ein hinterlistiger Vier-Punkte-Plan für Hongkong ausgearbeitet. Er läßt trotz aller scheinheiligen Beteuerungen wenig Freiheit für die Bankenstadt - außer jener, im Rahmen der sozialistischen Marktwirtschaft schnell viel Geld zu scheffeln.

Unter dem Motto »Weiter kämpfen« wurde jeder Kompromiß mit der britischen Bürokratie untersagt. Mehr als 60 000 Genossen spionieren jetzt in den blitzenden Vorstandsbüros und schmierigen Vorstadtblocks für Peking. Ein strenges Statut verpflichtet sie, wöchentlich Berichte durchzugeben.

»In ihren Listen und Dossiers fassen sie zusammen, wer nach 1997 als Gegner Chinas zu betrachten ist«, so ein Kenner der Szene. »Es ist höchste Zeit zu entscheiden, ob man den biederen Briten gehorcht oder an die Zukunft denkt.«

China, so berichtete die Hang Seng Bank, löste schon im Vorjahr Japan und die USA als führender Investor in der Kronkolonie ab.

Zwischen 12 und 20 Milliarden US-Dollar flossen in Vermögenswerte. Die KP-Emissäre erwarben Bürohochhäuser und Apartmentblocks wie Legosteine. Daneben schwappen Schwarz- und Fluchtgelder aus den chinesischen Provinzen und Staatskonzernen über die Grenze.

13 volkschinesische Banken, die unter der strengen Aufsicht der Bank of China stehen, operieren in Hongkong mit knapp 100 Milliarden Mark, behauptet ein einheimischer Geschäftsmann.

»In die Steinzeit des Geldwesens« fühlt sich ein deutscher Banker zurückversetzt. »Die kommen mit Koffern voller Bargeld, sagen, diesen Block will ich und den daneben auch. Und weg ist er, als wäre es Monopoly.«

Den raffiniertesten Coup landete Robert Kuok, ein aus Malaysia stammender Überseechinese und stadtbekannter Lobbyist Pekinger Interessen. Für 349 Millionen US-Dollar verschaffte er sich die Kontrollmehrheit über die englischsprachige Tageszeitung South China Morning Post, deren Patten-freundliche Berichterstattung die Pekinger Regierung schon lange argwöhnisch verfolgt.

Den Zukunftssorgen der unabhängigen Journalisten trat der ranghöchste Vertreter des chinesischen ZK in Hongkong, Zhou Nan, listig entgegen. »Wer akkurat und objektiv berichtet«, erklärte Zhou, der die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) leitet, »braucht auch nach 1997 in Hongkong keine Bestrafung zu fürchten.«

Welche Objektivität er denn meine, bat ein Reporter vorsichtig um Aufklärung. »Die der Volksrepublik China natürlich«, antwortete Zhou. Y

»Hier wird die Geschichte des 21. Jahrhunderts gemacht«

* Bei der Eröffnung einer Kunstausstellung in Hongkong.

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