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UNION König aus dem Süden

Trotz neuer Kampfeslust hat CDU-Chefin Angela Merkel kaum noch Chancen auf die Kanzlerkandidatur. Ihr Konkurrent Edmund Stoiber feilt schon am Zeitplan für seine eigenen Ambitionen.
Von Tina Hildebrandt und Conny Neumann
aus DER SPIEGEL 43/2001

Immerhin Berlin, wenn auch nicht die große Bühne: Genüsslich ließ sich der »Herr Ministerpräsident« vergangene Woche im »Paulaners«, Bezirk Tiergarten, von Fans aus der Schüler Union mit »Edmund, Edmund«-Rufen feiern. Der umjubelte Edmund Stoiber, der eigentlich Werbung für den Berliner CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel machen sollte, gab den Staatsmann und räsonierte über die neue »Weltinnenarchitektur«.

Und die Kandidatenfrage? Da druckste der Bayer viel sagend herum: »Wenn die Berliner Wahl durchwachsen ausgehen wird, wird sich die Spreu vom Weizen trennen.«

Dass der Weizen aus Bayern kommen soll, steht in Stoibers Partei jetzt fest. Während die CDU-Vorsitzende Angela Merkel dieser Tage bei zehn Regionalkonferenzen um die Zustimmung der Basis wirbt, plant die Münchner CSU die Kür ihres Rivalen.

Diese Woche will sich Stoiber mit Alois Glück treffen, dem einflussreichen Vorsitzenden der CSU-Landtagsfraktion, um das Procedere zu beraten. Es geht nur noch um das Wie, nicht mehr um das Ob. Der lange Zeit zögerliche Stoiber, so berichten enge Vertraute, hat beschlossen, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen - unter einer Bedingung: Angela Merkel muss sie ihm anbieten. Einer Kampfabstimmung würde der CSU-Vorsitzende aus dem Weg gehen, weil er dann Querschüsse der CDU im Wahlkampf fürchten müsste.

Die größte Angst hat der bayerische Ministerpräsident derzeit vor einer Selbstdemontage der Schwesterpartei: Eine CDU im Tief würde auch ihn selbst nach unten ziehen. Mit Wohlgefallen betrachtet Stoiber daher, wie viel Solidarität Merkel seit ihrer Demütigung beim CSU-Parteitag in Nürnberg aus der eigenen Partei entgegenschlägt. Dass die bayerischen Granden demonstrativ Würstchen orderten oder Akten lasen, während die CDU-Vorsitzende redete, war zu viel für die Selbstachtung der Christdemokraten.

Mehr als jedes Machtwort der Chefin dies vermocht hätte, hat Merkels öffentliche Kränkung ihre zerstrittene Partei zusammenrücken lassen. Roland Koch, ihr gefährlichster parteiinterner Rivale, versicherte großmütig vergangene Woche bei

einer Regionalkonferenz in Kassel: »Frau Vorsitzende, auf uns Hessen können Sie sich verlassen.«

Kampfeslustig wie lange nicht war Merkel in der Documenta-Halle aufgetreten. »Wer sich selbst nicht imponiert, der imponiert auch keinem anderen«, rief die Vorsitzende der CDU unter energischem Applaus der Basis. Störenfriede, so Merkel, die seit Monaten unter der halb öffentlich geäußerten Kritik aus den eigenen Reihen leidet, »dürfen keine Chancen haben«.

An den Machtverhältnissen in der Union ändert das nichts. Drei Viertel der CDU-Anhänger sehen laut Umfragen in Stoiber ihren Kandidaten. Anders als Franz Josef Strauß bei seiner Kandidatur 1980 gegen Helmut Schmidt kann er sich breiter Zustimmung aus der Schwesterpartei sicher sein. Und eine starke CDU benötigt er zum Sieg. »Jede Zecke braucht einen Wirt«, kommentiert ein Unionsabgeordneter Stoibers Unterstützung für die CDU-Vorsitzende.

Der Zeitplan - Nominierung des Kandidaten im nächsten Frühjahr - ist nach einhelliger Meinung des CSU-Parteivorstands nicht mehr einzuhalten, soll die Vorsitzende der CDU nicht zum Schaden aller »zu stark unter die Grasnarbe gedrückt werden«, wie auch im CDU-Präsidium befürchtet wird. Als neuen Termin favorisieren die Bayern den Januar, am liebsten den Dreikönigstag am 6. des Monats.

Bei der traditionellen CSU-Klausur im idyllischen Wildbad Kreuth, skizziert ein Vorstandsmitglied das geplante Szenario, könnten die Christsozialen dann »erste Eckpfosten« für die Wahlkampfthemen setzen und ein Schattenkabinett aufstellen.

Eine Festlegung bereits vor dem Parteitag der CDU Anfang Dezember in Dresden halten die Stoiber-Leute für unklug. Angesichts der internationalen Lage drohe die interessanteste Personalfrage der Opposition unterzugehen. Derzeit blicke die Öffentlichkeit vor allem auf Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, die beiden mit Abstand beliebtesten Politiker des Landes (siehe Seite 52).

Wie aber sicherstellen, dass Angela Merkel zur rechten Zeit freiwillig einen Rückzieher macht? Für die Vorsitzende der CDU geht es um mehr als die Kandidatur 2002. Merkel weiß, dass ihr politisches Schicksal davon abhängt. Lange war sie unentschlossen, welche Entscheidung für sie das größere Risiko birgt: antreten oder verzichten?

Nun gibt sie sich entschlossen. Vergangene Woche erinnerte Merkel an die Geschichte früherer Kanzlerkandidaturen und pochte auf die traditionelle »Statik« der Parteichristen, nach der »immer dann, wenn die Union auf Bundesebene regierte, die CDU den Bundeskanzler gestellt hat«.

Mit einer Gegenoffensive wider ihre Kritiker hatte sich die Vorsitzende bisher zurückgehalten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie habe ein schlechtes Wahlergebnis in Berlin verschuldet. Jetzt aber will sich die Frau an der CDU-Spitze Illoyalitäten und Gemoser aus der zweiten Reihe nicht länger bieten lassen. Ihre Aufgabe sei es, die CDU stark zu machen, sagte Merkel vergangene Woche und drohte: »Ich achte genau darauf, wer dabei mitmacht und wer nicht.«

Führung muss Merkel auch zeigen, damit der Dezember-Parteitag der CDU in Dresden nicht zum nächsten Tiefschlag für

sie wird. Zwar steht die Vorsitzende selbst nicht zur Wahl, wohl aber ihr Generalsekretär Laurenz Meyer, den die meisten aus der CDU-Führung für einen »Totalausfall« und eine grandiose Fehlbesetzung durch Merkel halten. Ein schlechtes Ergebnis für ihren Wahlkampfmanager würde als Denkzettel für die Chefin gewertet. Merkel muss zudem fürchten, dass ihr Parteivolk CSU-Chef Stoiber einfach zum Wunschkandidaten kürt, indem es ihm den meisten Applaus spendet.

Dass die Wahl 2002 mit einem Kandidaten Stoiber für die Union zu gewinnen ist, glauben indes weder die CSU-Spitze in München noch die Köpfe der Berliner CSU-Landesgruppe. Das Ziel heißt Schadensbegrenzung. In der Union geht nicht nur die Angst vor »englischen Verhältnissen« mit einer marginalisierten konservativen Opposition um, sondern auch die handfeste Sorge vor allzu leeren Kassen. Jede Stimme bringt Bares, dank Wahlkampfkostenerstattung.

Als Unionskönig aus dem Süden scheint Stoiber zwar derzeit leichtes Spiel zu haben. Doch mit einer Kandidatur könnte der Glanz schnell verblassen. Mag der Hofstaat in München noch so beflissen um den »Herrn Ministerpräsidenten« herumwieseln, Stoiber selbst schwant wohl, dass er auf der bundespolitischen Bühne eine Nummer kleiner aussehen könnte als in der Heimat, wo die Opposition lediglich die Rolle einer Folkloretruppe spielt.

Ein weiterer Berliner Auftritt vergangene Woche geriet jedenfalls für Stoiber zum Reinfall. Eskortiert von mehreren Sprechern und Mitarbeitern, hielt der CSU-Chef im Saal des Fraktionsvorstands zur Pressekonferenz Einzug. 20 Minuten ließ der Bayer die Journalisten warten, um anschließend mit bedeutungsvoller Miene heiße Luft zum Thema Gesundheitspolitik abzusondern.

Die Bundesregierung, schimpfte Stoiber, arbeite mit ihrer Budgetierung zu Lasten von Patienten und Ärzten. CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer schob seinem Chef diskret einen Zettel herüber - schließlich hatte Seehofer als Bundesgesundheitsminister das Arzneimittelbudget selbst eingeführt. Die rotgrüne Koalition aber beschloss, dieses am vergangenen Donnerstag im Bundestag abzuschaffen.

Stoiber und die Seinen, sagt ein Berliner CSU-Mann schadenfroh, »werden sich in der Hauptstadt noch gewaltig umschauen«.

TINA HILDEBRANDT, FABIAN LEBER,

CONNY NEUMANN

* Beim CSU-Parteitag am 12. Oktober in Nürnberg.* Am vergangenen Donnerstag in der BerlinerCDU-Wahlkampfzentrale.

Fabian Leber
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