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RÜSTUNG Königliches Geheimnis

Seit mehr als einem Jahrzehnt leugnen US-Rüstungsplaner die Existenz eines Kampfflugzeuges, das von keinem Radar geortet werden kann. Jetzt stürzte eines ab. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Ein durchdringend rauher Ton röhrte durch das weite Wüstental, 30 Kilometer nördlich der Spielerstadt Las Vegas. Die Bediensteten der Luftwaffenbasis Nellis, die sich im Freien aufhielten, sanken der Länge nach hin, die Köpfe - wie befohlen - von einem speziellen Flugzeughangar abgewandt.

Nur wenige Auserlesene konnten beobachten, wie sich die Tore der strengbewachten Halle öffneten und ein Geheimnis,

ganz in Schwarz, herausrollte, wenig später über die Piste raste und abhob.

Fluglotsen und Flugabwehrspezialisten der U.S. Air Force blickten während der folgenden dreiviertel Stunde gebannt auf die Radarschirme. Gelegentlich tauchte darauf ein schwacher Schimmer auf, der - erfahrungsgemäß - allenfalls von einem Vogel, nicht aber von einem Flugzeug hätte stammen können.

Dann jedoch kam über Lautsprecher die gegenteilige Nachricht: »Ihr seid soeben überflogen worden« - von Amerikas geheimem Kampfaufklärer. Air-Force-Piloten nennen den Jet nach dem unsichtbaren Riesenhasen liebevoll »Harvey«, außenstehende Militär-Experten SRF-19A _(SRF: für Stealth (Tarnung), ) _(Reconnaissance (Aufklärung), Fighter ) _((Kampfflugzeug), 19 = lau fende ) _(Durchnumerierung der ) _(Air-Force-Flugzeuge, A = erstes ) _(Baumuster. )

, im Pentagon hat er gar keinen Namen, denn offiziell gibt es ein solches Flugzeug nicht.

Vorletztes Wochenende wurden die Geheimhaltungskünste der Militärs auf die Probe gestellt. Im kalifornischen Naturschutzpark »Sequoia National Forest« stürzte - wenn nicht alles täuscht - einer der Ghostfighter bei einem Testflug ab und entfachte einen 60 Hektar großen Flächenbrand.

Die Absturzstelle wurde unverzüglich zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Mit den Feuerwehren rückten Soldaten an und riegelten das Absturzgebiet ab. Ein Feuerwehrmann, der nur 400 Meter vom Aufschlagpunkt entfernt gespritzt hatte, berichtete nach Abschluß der sechsstündigen Löscharbeiten: »Von Wrackteilen keine Spur.«

Bis zum bitteren Ende wollten die Geheimnisbewahrer das Flugzeugprojekt, für das sie als oberste Geheimhaltungskategorie »Royal Secret« (königliches Geheimnis) erfunden hatten, als nichtexistent betrachtet wissen.

Überraschender noch: Die Tarnaktion um den neuen Jet ist seit über zehn Jahren erfolgreich, obwohl *___seit 1984 wenigstens ein F-19-Ge schwader existiert; *___Lockheed inzwischen 20 »Harveys« pro Jahr fertigt; und *___die SRF-19A schon eingesetzt wurde, etwa vom britischen ____US-Luftstütz punkt Mildenhall.

Die Entwicklung des neuen Jets hatten die Rüstungsplaner Mitte der siebziger Jahre beschlossen. Auslöser waren die erheblichen Verluste der israelischen Luftwaffe im 73er Nahostkrieg gewesen. Rund drei Dutzend Jets amerikanischer Bauart waren damals von der arabischen Flugabwehr mit sowjetischen Sam-Raketen abgeschossen worden.

Die Lektion, daß auch bordgestützte elektronische Abwehrmittel, mit denen die israelischen US-Jets ausgerüstet waren, das gegnerische Radar nur unzulänglich ausschalten konnten, machte nach Ansicht der Rüstungsplaner die Entwicklung von radarunsichtbaren Militärflugzeugen vordringlich.

Mit der Erforschung dieser Technik hatten die großen US-Flugzeugwerke früh begonnen. Sie waren einem Beute-Patent gefolgt: Im Zweiten Weltkrieg hatten deutsche Ingenieure die Schnorchel von U-Booten mit einer Tarnfarbe gestrichen, die Radarstrahlen teilweise verschluckte und so die Entdeckung erschwerte.

Bei der Weiterentwicklung dieses Prinzips sowie in der Planung neuer Flugzeugformen, bei denen radarstrahlenbrechende Konfigurationen vermieden wurden, waren die Lockheed-Ingenieure besonders erfolgreich. Sie erhielten den Zuschlag für das Projekt.

Es wurde unter dem Code »Have Blue« der Pentagonabteilung Darpa zugeteilt, die für die Entwicklung futuristischer Waffen verantwortlich ist und vom Geheimdienst CIA gemanagt wird.

Die CIA verlegte das Entwicklungsbüro auf eine CIA-»Ranch« in der Wüste von Nevada. Dort machte die Lockheed-Truppe unter Leitung des legendären Flugzeugbauers Clarence ("Kelly") Johnson, der schon in den 50er Jahren den Spionage-Düsensegler vom Typ U-2 in Windeselle entwickelt hatte, rasante Fortschritte. 1984 war das erste F-19-Geschwader einsatzbereit.

Die flunderflache einsitzige SRF-19A hat eine Spannweite von gut sieben und eine Länge von rund 15 Metern. Hinter dem niedrigen Cockpit liegen die Lufteinlässe für die beiden in den Rumpf integrierten Triebwerke. Deren Ausstoß wird mutmaßlich durch flüssigen Stickstoff gekühlt und durch eine Art Jalousie reguliert - jeweils Vorkehrungen, um die Entdeckung durch Infrarotsensoren zu erschweren.

Wichtigstes Ausstattungsmerkmal ist die Tarnbeschichtung. Sie besteht aus Werkstoffkombinationen mit exotischen Eigenschaften, die Radarstrahlen absorbieren. Zur zusätzlichen Verwirrung der Verfolger am Boden tragen elektronische Bordgeräte bei, die Falschsignale an das Feind-Radar senden.

Zu Test- und Aufklärungsflügen wird die SRF-19A, deren Leitwerk an den Rumpf klappbar ist, mit C-5-Transportern zum Einsatzgebiet geflogen. Der allwettertaugliche Jet fliegt nur nachts, niemand soll ihn sehen und niemand seine Spur verfolgen können: Start- und Landeplatz sind immer verschieden.

SRF: für Stealth (Tarnung), Reconnaissance (Aufklärung), Fighter(Kampfflugzeug), 19 = lau fende Durchnumerierung derAir-Force-Flugzeuge, A = erstes Baumuster.

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