AUSTRALIEN Köpfe senken
Vor der Uno plädierte ein Anwalt der Menschenrechte, ein Australier. Die Invasion der Indonesier auf der Insel Timor sei ein Verstoß gegen internationales Recht und habe großes Leid und Hungersnot für die Bevölkerung gebracht -- so Australiens Uno-Botschafter Harry im Frühjahr 1976 vor der Vollversammlung.
In der Tat: Keine fünfhundert Kilometer nördlich von Australien begingen die Indonesier nach Angaben internationaler Organisationen einen Völkermord, der über den Greueln von Kambodscha und Vietnam fast vergessen wurde. Über 100 000 von 650 000 Timoresen kamen seit der indonesischen Besetzung der ehemaligen portugiesischen Kolonie im Dezember 1975 durch Bomben, Terror, Hunger und Malaria ums Leben.
Um den Widerstand der linken Unabhängigkeitsbewegung Fretelin in den Bergen von Timor zu brechen, strafte Indonesien damals die ganze Insel. Soldaten des General-Präsidenten Suharto trieben die Timoresen in KZ-ähnlichen Lagerdörfern zusammen, verwüsteten die Felder und blockierten Nahrungsmittellieferungen, so daß auf Timor eine Hungersnot »ebenso grauenhaft wie in Biafra« ausbrach, so das Internationale Rote Kreuz.
Australiens pathetische Verurteilung der Indonesier vor der Uno war, wie sich jetzt herausstellt, nur ein tönendes Spektakel. In Wahrheit hatte die liberal-konservative australische Regierung das indonesische Invasionsvorhaben gebilligt.
Das beweisen geheime Akten, die zwei australische Journalisten, Richard Walsh und George Munster, unter dem sachlichen Titel »Dokumente der australischen Außen- und Verteidigungspolitik von 1968 bis 1975« jetzt veröffentlichten.
Der Hintergrund: Um ein unabhängiges Ost-Timor, regiert von linken Befreiungsbewegungen, und damit ein »pazifisches Kuba« vor der Haustür zu verhindern, billigte Australien das indonesische Einschreiten. »Lassen Sie die Ereignisse (die Invasion) ihren Lauf nehmen«, hatte der australische Botschafter in Indonesiens Hauptstadt Djakarta, Richard Woolcott, damals nach Canberra gekabelt.
Kaum besser als Australien verhielten sich im Timor-Konflikt dessen militärischer Verbündeter USA und der Commonwealth-Partner England.
»Es liegt im ureigensten britischen Interesse, daß Indonesien Ost-Timor so schnell und unauffällig wie möglich vereinnahmt«, kabelte der Botschafter Ihrer Majestät heim nach London, »und wenn es Krach gibt und die Uno Lärm schlägt, dann sollten wir unsere Köpfe brav gesenkt halten und nicht gegen Indonesien stimmen.«
Der US-Botschafter in Djakarta empfing sogar die geheime Weisung von US-Außenminister Henry Kissinger. »Wenn die Indonesier einmarschieren, dann sollten sie es gründlich, schnell und möglichst ohne den Einsatz unserer Waffen tun«, erklärte der amerikanische Diplomat seinem australischen Kollegen Woolcott in Djakarta.
Dieser dachte auch wirtschaftlich. »Zeigen Sie den Indonesiern privat Verständnis«, riet Woolcott nun wieder seiner Regierung. Schließlich seien die Indonesier zuverlässige Partner, wenn es um die Aufteilung der Ölvorkommen S.182 an der australischen Hoheitsgrenze vor Timor gehe.
Solche Enthüllungen kamen dem australischen Premier Malcolm Fraser äußerst ungelegen. Denn seit der Uno-Debatte reagierte Indonesien auf jede australische Äußerung zum Timor-Konflikt allergisch; die Beziehungen zwischen beiden Ländern hatten sich abrupt verschlechtert.
Der konservative Fraser bemühte sich seither beharrlich um ein besseres Verhältnis zu seinem rohstoffreichen Nachbarn im Norden; zuletzt im Herbst 1979 bei einem freundlichen Gespräch mit Suharto.
Um die Indonesier und den Bündnispartner USA durch die Veröffentlichungen nicht zu ärgern, und vor allem, um seinen Landsleuten Australiens schmähliche Rolle zu verbergen, griff Fraser hart durch.
Aber gerade dadurch machte er das Enthüllungswerk erst recht publik und bescherte dem Land einen der größten Presseskandale seiner Geschichte.
Die angesehenen australischen Zeitungen »The Melbourne Age« und der »Sydney Morning Herald« wollten Auszüge aus dem Buch von Munster und Walsh drucken, als die Regierung über eine richterliche Verfügung »im nationalen Interesse« die Rotationsmaschinen anhalten ließ.
Die beiden Zeitungen erschienen daraufhin mit leeren Spalten -- da setzte ein Run auf das Buch ein. Fraser hatte versäumt, auch das Werk selbst verbieten zu lassen. Als dies endlich geschah, waren schon 600 Exemplare verkauft.
Obgleich der Inhalt der Enthüllungen von Munster und Walsh nun schon publik war, verschärfte die Regierung ihren juristischen Verbotskrieg noch.
Sie berief sich bei ihrem Eingriff auf ihr Urheberrecht an den Dokumenten, die den Journalisten zugespielt oder durch Diebstahl in die Hände gelangt seien. Bis zu einem klärenden Gerichtsurteil ist das Buch damit aus dem Verkehr gezogen.
Fraser fahndet sogar über die Grenzen des fünften Kontinents hinaus. Als das englische Magazin »The New Statesman« die brisanten Diplomatenkabel druckte, ließ er die Ausgabe durch seine Commonwealthfreunde in London beschlagnahmen -- etwas zu spät: Über 40 000 »New Statesman«-Exemplare zirkulierten bereits in Europa.
S.182Essenausgabe des Internationalen Roten Kreuzes im Juni 1980.*