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Kohl: »Keine Nebenregierung«

Die Lage in Ostdeutschland verlangt nach Gemeinsamkeit, doch die Bonner Parteien haben sich über die Pläne zur Zusammenarbeit gleich wieder zerstritten. Eine »konzertierte Aktion«, wie sie dem Bundespräsidenten vorschwebt, dürfte in den Arbeitsgruppen, die Kohl und Vogel einberufen haben, schwerlich zustande kommen.
aus DER SPIEGEL 17/1991

So richtig unangefochten zieht derzeit nur ein Wessi seine Bahn durch Deutschland-Ost. Wo immer er auftaucht, sind dem Bundespräsidenten herzlicher Beifall und andere Zeichen der Zuneigung sicher.

Mit pädagogischem Gespür geht Richard von Weizsäcker auf die gedrückte Stimmung der neuen Bundesrepublikaner ein, bescheinigt ihnen, daß der »Anpassungsschock« schon eine »lange, beängstigende Zeit« andauere.

»Keinem Menschen, der um seine Zukunft bangt«, sei geholfen, sagt der erste Mann im Staat und denkt dabei an die Parteistrategen, »wenn wir weiter darüber streiten, wer in welcher Frage seit wann immer schon recht gehabt hat, was wahllüsterne Schönfärberei oder was Irrtum war«. Angesichts der »großen Not« im Osten, mahnt er, gelte es jetzt »zusammenzustehen«.

Weizsäckers strenge Worte treffen das Grundgefühl der Ossis und das schlechte Gewissen der Wessis von Bonn. Denn die Sehnsucht nach Zusammenarbeit von Regierung und Opposition in der Not hatte ja schon in der alten Bundesrepublik Tradition. Fast alle großen innenpolitischen Reformen der siebziger Jahre kamen am Ende im Gemeinschaftsverfahren zustande; die Mordanschläge der Terroristen im Jahre 1977 riefen die »Gemeinsamkeit der Demokraten« auf Zeit hervor. Ein ähnlich »konzertiertes Zusammengehen« wie damals erhofft sich der Bundespräsident auch diesmal.

Mit der gigantischen Anstrengung bei der Sanierung der Ex-DDR läßt sich der Wunsch nach Zusammenarbeit gut rechtfertigen. Das erste Stichwort gab Weizsäcker auf der Trauerfeier für Detlev Rohwedder. Das Attentat auf den Chef der Treuhand, dazu der Aufruhr im von Arbeitslosigkeit und Depression gezeichneten Osten, leiteten den Umschwung im harthörigen Bonn scheinbar ein.

Das jüngste Gemeinschaftswerk von Bundeskanzler Helmut Kohl und SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel findet Weizsäckers Wohlgefallen. Von Anfang an wurde es allerdings als pragmatische Operation gehandhabt; schmückende Worte wie »Großer Konsens« (Die Zeit) unterbleiben; von Großer Koalition gar redet niemand ernsthaft. In zwei »Arbeitsgruppen« werden Regierung und Opposition gemeinsam über zusätzliche Maßnahmen gegen das Wirtschafts- und Verwaltungschaos in der Ex-DDR nachdenken.

In Thüringens Hauptstadt Erfurt, wo er vorige Woche die Serie seiner Antrittsbesuche in den neuen Bundesländern abschloß, lobte Weizsäcker sogleich die »vertiefte Einsicht« der Parteien »in die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten, anstatt darauf aus zu sein, sich gegeneinander zu profilieren«.

Schöne Erfurter Rhetorik, denn da war man in Bonn schon wieder bei der von Weizsäcker gerügten Rechthaberei. Kein Wunder, denn über Sinn und Zweck der überparteilichen Veranstaltung war offenkundig wenig geredet worden.

Ob die Arbeitsgruppen nicht besser Kommissionen oder gar Gesprächskreise genannt werden, ob sie verhandeln oder nur ein wenig plauschen sollten - die Wortklauber in Regierung und Opposition erlebten ihre große Stunde. Ehe die neue Gemeinsamkeit segensreiche Wirkung entfalten konnte, ging es ans Widerrufen.

»Wahllüsterne« Interessen drängten das »Zusammenstehen« a la Weizsäcker zurück. Das Bonner Denken konzentrierte sich auf die für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entscheidende Landtagswahl in Rheinland-Pfalz.

Die Union, bundesweit im Meinungstief, dürfe nicht den Eindruck wecken, die Regierung komme ohne die SPD nicht mehr aus, monierte Kohl-Kritiker Heiner Geißler, als sei er wie gehabt Generalsekretär und Oberpolitstratege.

Mit einer Regierung, die eben noch »die erste freie gesamtdeutsche Wahl mit einem massiven Betrug belastet« habe, hielt Ex-Kanzlerkandidat und Oberrechthaber Oskar Lafontaine seinem von ihm geringgeachteten Vorsitzenden vor, könne die SPD keine »Sonderveranstaltungen« machen.

Die Matadore Vogel und Kohl waren einträchtig düpiert. Hatten sie etwa Stimmung und Lage ihrer Parteien falsch eingeschätzt bei ihrem Unternehmen Überparteilichkeit? Eher fällt es der Regierung schwer, sich von ihrem Monopol auf die Wiedervereinigung und die Sanierung der DDR, immer auch im Blick auf die Bundestagswahl 1994, zu trennen. Und die Opposition will sich nicht die Chance zur Generalabrechnung wegen des mißlingenden Umbaus im Osten entgehen lassen.

Die widerstrebenden Sozis können auf schlechte Erfahrungen mit Kohls Lockangeboten verweisen. Aber anders als bei den Staatsverträgen im vergangenen Jahr, wehrt sich Vogel gegen seine Schmäher, als die SPD Regierungsvorlagen nur nachbessern konnte, habe sie diesmal die »Initiative": Lehne die Regierung die Vorschläge der Opposition ab, könne man sie noch deftiger für die ostdeutsche Krise verantwortlich machen; übernehme sie aber Anregungen, dann mache sich die SPD ums Ganze verdient.

Kohl hält seinerseits den Streit um die Arbeitsgruppen für »wirklichen Schafskäse«. In der Fraktion sagte der Kanzler, auf der gegenwärtigen »Durststrecke« hätten die Deutschen großes Konsensbedürfnis. Da könne er ein Gesprächsangebot der Opposition nicht ablehnen. Und Gefahr bestehe keineswegs: »Wir machen keine Nebenregierung.«

Die Initiative zur parteienübergreifenden Zusammenarbeit lag beim Noch-Vorsitzenden der Sozialdemokraten. Es begann in typischer Vogel-Manier. Im Osterurlaub auf seiner Datsche im bayerischen Birnbach schrieb der Oppositionsführer einen Brief an Kohl, in dem er das »Ausmaß des Zusammenbruchs« in den neuen Ländern beklagte. Er unterbreitete dem Kanzler - weil die »bisher von Ihrer Regierung getroffenen Maßnahmen zur Überwindung der Krise nicht ausreichen« - eine Reihe von Vorschlägen: von der Beamten-Zwangsabordnung »als letztes Mittel« über eine klare Eigentumsregelung bis hin zu diversen Beschäftigungsprogrammen.

Damit »die Probleme im solidarischen Zusammenwirken bewältigt werden können«, möge Kohl »unverzüglich alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Kräfte« zu einer Krisenberatung »einladen«.

Der Regierungschef reagierte mit einer Einladung an Vogel. Als der SPD-Vorsitzende beim einstündigen Gespräch im Kanzleramt seine Lieblingsidee vom »Runden Tisch« wieder ins Spiel brachte, wehrte Kohl ("Ich mag den Begriff nicht") ab. Er schlug statt dessen zwei »Arbeitsgruppen« mit Ministern und Oppositionsexperten vor: eine für die Fragen der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit und des Eigentums; eine für die Struktur- und Beschäftigungsprobleme.

Jene Sozialdemokraten, die ihr Heil allemal in der Teilhabe an der Regierung bei Fragen von nationaler Bedeutung suchen, stimmten Vogels Ansinnen zu, von IG-Chemie-Chef Hermann Rappe über Parteivize Johannes Rau bis hin _(* Vorige Woche mit dem thüringischen ) _(Ministerpräsidenten Josef Duchac. ) zum brandenburgischen Regierungschef Manfred Stolpe.

Was Vogel schon als Erfolg verbuchte, bereitete anderen Genossen jedoch erhebliches Unbehagen.

In der Sitzung des Parteipräsidiums formulierte Lafontaine, der Gegensätze liebt, am schärfsten. Er sei in dieser Sache »grundsätzlich anderer Auffassung« und sage voraus: »Außer Getue kommt da nichts heraus.«

Björn Engholm, designierter Nachfolger Vogels im Amt des Parteichefs, wollte wissen, ob die Bedingungen der SPD für die Gruppenarbeit klar genug seien, »so daß wir da auch wieder raus können«. Schatzmeister Hans-Ulrich Klose fragte: »Nützt das am Ende nicht doch mehr der Regierung?« Andere warnten vor dem Eindruck von »Fingerübungen« für eine Große Koalition.

Daran denke niemand, antwortete Vogel. Im übrigen sei ja auch »keine Institutionalisierung« der Arbeitsgruppen geplant, nach »ein, zwei, drei Sitzungen« werde Schluß sein.

Fragt sich nur, was das Ganze dann soll. Um die Stimmung im Osten zu heben, müßten sich Regierung und Opposition schon mehr einfallen lassen als wenige Pflichtübungen in Gemeinsamkeit für die Psyche der Ossis. Deren Bitterkeit über Bonn dürfte sich durch derlei Schauveranstaltungen nur steigern. Zugleich ist Vogels Abschwächung ein Indiz dafür, wie wenig er sich mittlerweile von der Gemeinschaftsaktion erwartet, die ihm selber am meisten am Herzen lag. Während sich die SPD tatsächlich wegen des Zwangs zur Eintracht zerstritt, tat die Union nur so. Zunächst spielte der Fraktionsgeschäftsführer Friedrich Bohl, für die kleinen Gemeinheiten zuständig, die Not der Regierung herunter: »Wir haben die Gespräche nicht gewollt, wir brauchen diese Gespräche nicht.«

Als am Montag abend Kritiker der Übereinkunft im CDU/CSU-Fraktionsvorstand forderten, auch Abgeordnete mußten in die Arbeitsgruppen entsandt werden, eilte Helmut Kohl aus dem Kanzleramt herbei: Das müsse eine Sache zwischen Regierung und Opposition bleiben. Jede weitere Ausdehnung verstärke nur den von der SPD gewollten Eindruck, ohne ihre Hilfe gehe es nicht mehr.

Von da an verhielten sich die Gegner der Kohlschen Oppositions-Umarmung wieder still. Der Ärger über des Kanzlers Selbstherrlichkeit wurde bald übertroffen von der Freude über die Selbstzerfleischung der SPD. Fast unbeachtet verabredeten Unterhändler aus Regierung und Opposition die Prozeduren der kleingeredeten Arbeitsgruppen und ihre Zusammensetzung.

Amüsiert beobachtete auch ein freidemokratischer Meistertaktiker den bemerkenswerten Versuch, Überparteilichkeit zugleich zu beschwören und zu widerrufen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte den Argwohn einiger Parteifreunde, hinter der ungewohnten Kohl/Vogel-Eintracht stünden heimliche Wünsche nach einer Großen Koalition, nicht geteilt. Statt dessen prophezeite er, daß es zwischen Union und SPD umgehend Streit geben werde und dazu ein Durcheinander in beiden Parteien. Darin darf er sich bestätigt fühlen.

Der Kanzler sieht der im Vorweg minimierten Handlungsgemeinschaft mit der Opposition gelassen entgegen. Niemand brauche sich von der SPD nervös machen zu lassen, ließ er seine Parteifreunde vorige Woche wissen, die Regierung habe »ihre Hausaufgaben gemacht«, und der Erfolg werde in zwei bis drei Jahren erkennbar sein: »100 Milliarden in 18 Monaten, das bleibt nicht ohne Folgen.«

Daß es nur auf ein paar Milliarden und die Zeit ankommt, bis sich die Dinge in der DDR zum Besseren wenden, wie Kanzler Kohl weissagt, und im Bonner Polit-Betrieb ansonsten alles beim alten bleiben darf - diesen Glauben teilt Gemeinsamkeits-Anreger Richard von Weizsäcker nicht. In Erfurt mahnte der Bundespräsident, den Kanzler und die Parteistrategen im Sinn: »Das Gemeinschaftsprogramm Aufschwung Ost ist ein gutes und notwendiges, aber nur das erste Beispiel für die neue Qualität der Herausforderung des Westens. Weitere werden folgen müssen.«

* Vorige Woche mit dem thüringischen Ministerpräsidenten JosefDuchac.

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