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Bundespräsident KOHLS GRÖSSTE PANNE

Steffen Heitmann ist kaum zu halten. Der Kanzler sorgt mit seinem Kandidaten für das Bundespräsidentenamt mittlerweile für offenen Aufruhr in der Unionsspitze. Die CDU-Spitze diskutiert, wie sie den Ostdeutschen wieder los wird - und wen sie statt dessen als Weizsäcker-Nachfolger präsentieren kann.
aus DER SPIEGEL 42/1993

Helmut Kohl liebt den Applaus. Und er bekommt seine Ovationen, weil er weiß, was wo ankommt.

Bei den Bayern kommt Steffen Heitmann an. Den Delegierten des CSU-Parteitags am vorletzten Samstag sagte der Kanzler kernige Worte über seinen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt:

»Was eigentlich in Wahrheit die ganze Linke an Steffen Heitmann stört, ist, daß er ein Wertkonservativer ist . . . Deshalb rufe ich uns alle auf, mit äußerster Entschiedenheit gegen die bösartige und gemeine Kampagne gegen Steffen Heitmann anzugehen.«

Stehend klatschten die bayerischen Parteifreunde dem Kanzler zu.

Daheim in Bonn klatscht keiner mehr. Im CDU-Präsidium mußte der Parteivorsitzende zwei Tage später die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen: Im engsten Führungszirkel wächst die Ablehnung gegen Heitmann. Aufruhr gegen den Bundeskanzler macht sich breit.

Kohl weiß inzwischen, daß er sich nach angemessener Schamfrist von Heitmann trennen muß. Ein neuer konsensfähiger Kandidat für die Nachfolge von Richard von Weizsäcker soll her. Nur so glaubt der Kanzler das Regierungsbündnis mit den Liberalen beisammenhalten und über 1994 hinaus fortführen zu können.

Die Präsidiumssitzung vom vergangenen Montag wurde für den Parteichef zum Tribunal. Selbst ehemalige Heitmann-Befürworter wandten sich offen gegen Kohls Mann.

Verteidigungsminister Volker Rühe verhehlte nicht länger seine Enttäuschung über Heitmann. Bis vor kurzem hatte er zu dem Dresdner Kirchenrechtler gestanden.

Typisch, schimpfte Rühe, daß Heitmann bisher in den Führungsgremien der CSU aufgetreten sei, nicht aber in denen der CDU. Die CSU versuche, Heitmann für ihre rechtsgerichtete politische Strategie zu vereinnahmen, ihn zum »Rammbock für eine bestimmte politische Richtung« zu machen.

Rühes Verdikt: Stelle sich Heitmann weiter als Vertreter eines rechten Konservativismus dar, dann sei »das mit dem Amt des Bundespräsidenten nicht kompatibel«. Im Klartext: Dann sei er als Bundespräsident ungeeignet.

Der Förderer von Heitmann, Kohl, schwieg.

Gespannte Stille im Präsidium, als Kurt Biedenkopf sich zu Heitmann meldete. Auch der sächsische Ministerpräsident, der seinen Justizminister eben noch intern und öffentlich als hervorragend geeignet für den Posten des Staatsoberhauptes gepriesen hatte, mäkelte nun an dem Kandidaten herum.

Was von dem so alles an Ansichten und Überzeugungen kundgetan worden sei, das habe ihn, formulierte Biedenkopf zurückhaltend boshaft, »überrascht«. Solche Seiten habe er an Heitmann nicht gekannt.

Der Sachsen-Regent hatte die Stirn, auch das Verfahren der Heitmann-Nominierung zu kritisieren. Das sei »gar nicht glücklich« gelaufen.

Kohl schwieg immer noch, den Kopf zornesrot.

War es doch gerade Biedenkopf gewesen, der Heitmanns Nominierung durchgesetzt hatte, wenn auch nicht ganz aus freien Stücken. Lange Zeit hatte der Kohl-Gegenspieler aus Dresden den Sozialdemokraten Johannes Rau als Präsidentschaftskandidaten favorisiert. Im Gegenzug erhoffte er sich bei einer künftigen Großen Koalition in Bonn den Posten des Kanzlers oder des Vizekanzlers.

Als Biedenkopfs Umtriebe jedoch bekannt wurden, rebellierte sein eigenes Kabinett. Die Sachsen schworen den Ministerpräsidenten auf den sächsischen Justizminister ein. Den mußte Biedenkopf dann notgedrungen in Bonn als »sächsischen Kandidaten« vorschlagen.

Arbeitsminister Norbert Blüm stellte sich vor Heiner Geißler und Friedbert Pflüger, jene Heitmann-Kritiker aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Kohl öffentlich als »armselig« abgekanzelt hatte (siehe Kasten Seite 20): Er halte nichts »von dieser Rummelplatzboxerei mit wildem Umsichschlagen«.

Als nächster maulte Heinz Eggert, Kohls Vize und sächsischer Innenminister. Er sei ja »von Anfang an skeptisch gegenüber Heitmann gewesen«.

Weiter kam Eggert nicht. Kohl schrie los.

Jetzt reiche es ihm. In eben diesem Präsidium habe Eggert vor kurzem noch zu Protokoll gegeben, daß auch er Heitmann für bestens geeignet halte.

All seinen Ingrimm und Ärger - auch über seine eigenen Fehler - lud Kohl auf Eggerts Haupt. Ins Gebrüll des Kanzlers hinein stellte sich Biedenkopf vor seinen Innenminister: »So können wir hier nicht miteinander umgehen.«

Nur einer schwieg im allgemeinen Aufstand - Wolfgang Schäuble. Dafür redete der mächtige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende in der Öffentlichkeit - und der Mann weiß, was er tut - erstmals von der Möglichkeit des Scheiterns Heitmanns.

Schäuble kleidete die Botschaft umsichtig in den Satz, ein Scheitern des CDU-Kandidaten auf dem Weg zur Wahl des Bundespräsidenten hätte keinen Schaden für Kanzler Kohl zur Folge. Dessen Einsatz für einen Ostdeutschen könne ihm nicht zum Nachteil ausgelegt werden.

Vorsichtig ebnete Schäuble den Weg für Heitmanns Abgang: »Ich habe die Frage, ob mir die Herkunft aus den neuen Ländern wichtiger als die Parteizugehörigkeit sei, gelegentlich mit Ja beantwortet«, sagt er zur Frage, ob nicht doch noch ein überparteilicher Konsens über einen alternativen Ost-Kandidaten denkbar sei.

Im engsten Vertrautenkreis hat Kohl selbst eine Rücknahme der Heitmann-Kandidatur zum Thema gemacht.

Einstweilen, so der Plan, solle die Kampagne für den Ostdeutschen weiterlaufen. Ihn jetzt schon abzuservieren, empfehle sich nicht. Man habe schließlich den Mann in die Auseinandersetzung hineingetrieben.

Auch wären die Erschütterungen in den Unionsparteien zu groß, wenn man zu früh in die Knie ginge. Heitmann solle noch eine Weile die Chance haben, Darstellungsfehler zu korrigieren und sein Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern. Aber Kohl und seine Berater zweifeln, ob es noch gelingen wird, ausreichend viele FDP-Stimmen in der Bundesversammlung für Heitmann zu gewinnen. Bald schon könne sich erweisen, daß der CDU-Mann in den beiden ersten Wahlgängen nicht die erforderliche absolute Mehrheit in der Bundesversammlung erreichen kann. Die Partei werde dann leichter verstehen, daß gehandelt werden müsse.

Kohl und seine Leute sehen das Risiko als zu groß an, daß spätestens im dritten Wahlgang der Sozialdemokrat Rau mit den Stimmen der FDP gewählt wird und so eine Vorentscheidung für ein Zusammengehen der Liberalen mit den Sozialdemokraten auf Regierungsebene nach der Bundestagswahl 1994 fällt. Schon die Auswahl von Hildegard Hamm-Brücher, einer engagierten Anhängerin der sozial-liberalen Sache, als FDP-Zählkandidatin für die beiden ersten Wahlgänge weise in diese Richtung.

Auf keinen Fall wollen die Unions-Strategen den CDU-Kandidaten erst zwischen dem zweiten und dem dritten Wahlgang austauschen. Heitmann solle besser einige Wochen vor Zusammentritt der Bundesversammlung am 23. Mai 1994 auf einen Wink von Kohl hin seine Kandidatur zurückziehen.

Der geheime Plan zur Beseitigung des ungeliebten Kandidaten soll Rettung in der Not bringen, in die der Profi Kohl seine Partei durch ungewöhnliche Fehler gebracht hat. Der Kanzler hat sich bei der Suche nach einem Kandidaten schlicht vertan.

Schon früh hatte Kohl verkündet, ein Ostdeutscher sollte nächster Bundespräsident werden. Doch er hatte keinen Kandidaten in der Hinterhand.

Eine hektische, aber erfolglose Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit setzte ein. Den von Schäuble ins Spiel gebrachten Richard Schröder, den einstigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion in der DDR-Volkskammer, wollte Kohl nicht. Er witterte finstere Umtriebe in Richtung Große Koalition.

In der Not hat Kohl sich so den unbekannten Sachsen aufdrängen lassen. Der Kanzler beklagt sich heute, er habe ja nicht mal Gelegenheit gehabt, den Mann wirklich kennenzulernen: eine Panne namens Heitmann.

Nun ist der CDU-Kanzler entschlossen, seine Koalition mit der FDP zu bewahren und fortzusetzen. Und kein Heitmann soll ihn daran hindern.

Wen aber an dessen Stelle schieben? Roman Herzog? Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist zwar kein Ostdeutscher, war aber schon von der CSU ins Gespräch gebracht worden. Auch die FDP würde nicht nein sagen können.

Die bayerischen Freunde, die Kohl noch kürzlich wegen seiner großen Worte für Heitmann feierten, wollen den CDU-Chef nun festnageln. Beim Strategiegespräch zum Wahlkampfauftakt zwischen CDU und CSU in dieser Woche plant Edmund Stoiber, den Kanzler zum Durchhalten aufzufordern: »Rein in die Kartoffeln und raus aus die Kartoffeln, das geht jetzt nicht mehr.«

Der Münchner Ministerpräsident denkt vor allem an seine Interessen, den Erhalt der absoluten Mehrheit der CSU bei der Landtagswahl 1994. Für den rechts ausgerichteten Wahlkampf der Christsozialen wäre ihm eine Symbolfigur Heitmann »sehr lieb«.

Daß darüber die Bonner Koalition zerbrechen könnte, findet der CSU-Regent nicht so tragisch. Auch wenn der Dresdner in der Bundesversammlung durchfiele und Rau Bundespräsident würde, dann sei das nicht schlimm. Die gegenwärtige Koalition, meint Stoiber, werde ohnehin kaum eine ausreichende Mehrheit bei der nächsten Wahl erhalten.

Eine Große Koalition könne auch, meint er, mit dem Präsidenten Rau prima leben.

Bei Kohl wächst die Einsicht, daß er sich von Heitmann trennen muß

Der Kanzler hat sich bei der Suche nach einem Kandidaten schlicht vertan

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