Kohls Kabinett: Die Luschen drücken
Schwartenmagen verzehrte der Kanzler und Bauchspeck, dem Pfälzer Wein sprach er kräftig zu. Dann ließ Helmut Kohl die Sau raus.
Den zum Schlachtfest in den Kanzlerbungalow geladenen Journalisten führte er vor, wie unheimlich stark er sich fühlt: Die Bundestagswahl ''87 hat er schon zwölf Monate vorher haushoch gewonnen. Das ist für ihn »überhaupt gar keine Frage« mehr.
Weiß doch der Mann aus Oggersheim, auch das machte er inmitten all der Würstchen klar, wie kaum ein anderer über die Gemütslage der Bundesbürger Bescheid. Was zum Beispiel der CSU-Kollege Hermann Fellner da zur Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter und über die Juden gesagt habe, die sich immer zu Wort meldeten wenn in deutschen Kassen das Geld klimpere, das sei Volkes Stimme gewesen.
Wie Fellner, so der Kanzler, denke die überwältigende Mehrheit der Deutschen. Darüber solle sich bloß niemand täuschen, Antisemitismus sei das aber nicht.
Haben ihn die Deutschen erst im Amt bestätigt, will Kohl seine Machtfülle so richtig auskosten. Zum ersten Male, brüstete er sich beim Schlachtfest, sei er dann wirklich frei, sich sein Kabinett nach eigenem Gutdünken zusammenzustellen.
Im Herbst 1982, nach dem Sturz Helmut Schmidts, habe er ja hopplahopp die Regierung bilden und Leute mit hineinnehmen müssen, an denen er damals aus mancherlei Rücksichten nicht vorbei konnte. Auch bei der Neuwahl im März ''83 waren ihm, so Kohl, die Hände gebunden: Eine Mannschaft, die - erst wenige Monate im Amt - einen glänzenden Wahlsieg errungen habe, konnte nicht gleich wieder verändert werden. 1987 aber glaubt Kohl endlich freie Auswahl zu haben, wenn auch nur beim CDU-Teil der Ministerriege. Der Grundsatz nämlich, daß jede der drei Koalitionsparteien selber entscheidet, wen sie auf die ihr zugefallenen Kabinettsposten entsendet, soll weiter gelten.
Zwar würde Kohl - Vergeben und Vergessen ist seine Sache nicht - ganz gern sein Mütchen kühlen an einigen Ministern. Etwa an dem CSU-Parteifreund Friedrich Zimmermann, der ihm öffentlich Führungsschwäche vorgeworfen hat, oder auch am Liberalen Hans-Dietrich Genscher. Der hatte seine Zweifel an Kohls Fähigkeiten unter Journalisten streuen lassen; etwa so: »Der Kanzler tut mir leid.«
Aber solchen Kabinettsgrößen kann selbst ein strahlender Wahlsieger Kohl nur schwer ans Zeug, wenn CSU wie FDP bei der Wahl ordentlich abschneiden _(Vor einer Ehrenformation auf dem Truppen ) _(übungsplatz Bergen im November 1985. )
und beide Parteien ihre Leute stützen. Auch Kohl Superstar muß schließlich zunächst in geheimer Wahl vom Bundestag als Kanzler bestätigt werden. Danach will er, so ein skatspielender Eingeweihter, »die Luschen drücken«.
Akut gefährdet ist CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner. Schon ''82 hatte Kohl den Militärexperten der CDU/CSU-Fraktion nur widerstrebend ins Kabinett aufgenommen. Wörner, damals einer der schärfsten Kohl-Kritiker, mußte berufen werden, weil die badenwürttembergische CDU hinter ihm stand. Heute, nach der unvergessenen Affäre um den angeblich homosexuellen General Günter Kießling, nach durchschnittlicher Leistung auf der Hardthöhe, steht der Minister allein.
Kohl braucht den Posten des Verteidigungsministers zu seiner Disposition. Damit ließen sich Wünsche etwa der CSU befriedigen. Die bayrischen Rechten dringen schon lange auf mehr Einfluß in der Außen- und Sicherheitspolitik - der Entspannungspolitiker Genscher ist ihnen zu schlapp. Die Position des Entwicklungshilfeministers, von CSU-Mann Jürgen Warnke besetzt, genügt der Münchner Parteileitung nicht mehr.
Gute Chancen für die Hardthöhe hätte dann Zimmermann. Als Ersatz für den CSU-Innenminister käme Frankfurts Oberbürgermeister Walter Wallmann in Betracht. Bleibt das Verteidigungsministerium aber bei der CDU, würde Kohl gern Wallmann, den er für seinen Gefolgsmann hält, zu Wörners Nachfolger berufen.
Kohl möchte sein Kabinett straffen, neue Gesichter vorzeigen. Er überlegt, das überständige Bauministerium aufzulösen und die restlichen Aufgaben zwei Abteilungen des Innenministeriums zu übertragen.
Verschwinden soll auch das Bildungsressort von Dorothee Wilms, das- mangels Kompetenzen - schon lange keinen Kabinettsrang mehr verdient. Zusammengelegt mit dem Forschungsministerium, könnte es ein Wissenschaftsministerium geben - der von Kohl geschätzte Heinz Riesenhuber wäre aufgewertet.
Zeitgemäß will Kohl ein Umweltministerium einrichten, das Innenministerium müßte dafür Zuständigkeiten abtreten. Hauptaufgabe des neuen Ressorts: jede Umweltbelastung mit einem Preis zu versehen, den der Verursacher zu entrichten hätte. Aussichtsreicher Kandidat für den neuen Job ist der rheinland-pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer, erklärter Gegner der zögerlichen Umweltpolitik von Zimmermann.
Nicht entschieden ist das Schicksal des Innerdeutschen Ministeriums, vielleicht wird es dem Kanzleramt angegliedert, in dem schon lange die politischen Kompetenzen für die Deutschlandpolitik liegen. Heinrich Windelen soll wegen Erreichens des Pensionsalters seinen Ministerstuhl räumen. Philipp Jenninger, seit jeher an der Deutschlandpolitik interessiert, könnte Nachfolger werden; er würde sich am liebsten als Minister im Kanzleramt um die deutsch-deutschen Beziehungen kümmern.
Jenningers bisheriger Posten des Bundestagspräsidenten wäre dann frei für Alfred Dregger. Auch wohlmeinende Parteifreunde halten den 65jährigen im kräftezehrenden Amt des Fraktionsvorsitzenden für überfordert. Kohl will die Gelegenheit nutzen, die Fraktionsspitze mit einem Mann seines Vertrauens zu besetzen. In der engeren Wahl: Wolfgang Schäuble, den er freilich ungern als Kanzleramtsminister missen möchte oder CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, dem so sein Anteil am Wahlsieg ''87 zu vergelten wäre.
Die Chancen Norbert Blüms, den Fraktionsvorsitz zu ergattern, sind gesunken. Einen Mann von immer noch großer Popularität mit der Machtfülle des Fraktionschefs auszustatten (Dregger: »Der wichtigste Posten nach der Kanzlerschaft") behagt Kohl, stets auf der Hut vor möglichen Konkurrenten, ganz und gar nicht. Blüm soll Arbeitsminister bleiben.
Pikiert ist Kohl auch, daß Blüm ihm gerade erst einen Korb gegeben hat. Mitte Januar schlug der Minister seinem Kanzler endgültig den Wunsch ab, doch noch gegen Kurt Biedenkopf anzutreten und Kohls Widersacher die Führung des künftigen CDU-Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen streitig zu machen.
Gedrängt von CDU-Generalsekretär Geißler, hat sich Kohl dazu durchgerungen, Intimfeind Biedenkopf einen Kabinettsposten anzubieten und so unter Kontrolle zu bringen.
Der aber sperrt sich. Biedenkopf möchte sich mit einem Platz in der Bonner Fraktionsführung bescheiden und von dort, auf seine Weise, den Kampf gegen Kohl fortführen. Seit der Pfälzer auf dem Kanzler-Stuhl sitze, hat der Professor beobachtet, sei die CDU als Quelle politischer Innovation fast völlig ausgetrocknet. Die Zeit der Dürre zu beenden und dabei Kohl vorzuführen hat sich Biedenkopf fest vorgenommen.
Vor einer Ehrenformation auf dem Truppen übungsplatz Bergen imNovember 1985.