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BOLIVIEN Kokain-Politik

Zehn Stunden lang befand sich Präsident Siles Zuazo in der Gewalt seiner Entführer, ehe er von Einheiten der Armee befreit wurde. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Regierungswechsel ohne Wahlen und Staatsstreiche ohne Grund sind in Bolivien die Regel. So war denn auch kaum jemand überrascht, als jüngst die Rundfunksender meldeten, daß Hernan Siles Zuazo, der 193. Präsident in der 159jährigen Geschichte des Landes, von 60 Unbekannten entführt worden war.

Ungewöhnlich war lediglich das Verhalten der Uniformierten im Lande: Der größte Teil des Militärs und der Polizei brachte schon kurz nach der Entführung seine »völlige Ablehnung des Verbrechens« zum Ausdruck und gelobte »die Respektierung der verfassungsmäßigen Ordnung und des demokratischen Prozesses«.

Ohne Unterstützung aus dem sonst so putschfreudigen Offizierskorps mußten die Entführer bald aufgeben. Nur zehn Stunden nach Beginn einer sofort eingeleiteten Suchaktion befreiten Soldaten den Präsidenten aus seinem Gefängnis in einer Lagerhalle in La Paz' Stadtviertel Miraflores.

Ein Leutnant der Militärpolizei, der zur persönlichen Sicherheitstruppe des Präsidenten gehörte, hatte das Kidnapper-Kommando in die Residenz geführt. Ein Oberst Rolando Saravia soll das Haupt der Verschwörung gewesen sein.

Der ist in Bolivien kein Unbekannter. Zwischen 1974 und 1978 war er vom Militärdienst suspendiert, weil er versucht hatte, den damaligen Militärdiktator Hugo Banzer zu entführen. Voriges Jahr plante er ein Komplott gegen Siles Zuazos Linksregierung.

In einem Rundfunkinterview nur kurz nach seiner Befreiung bezeichnete der Präsident seine Kidnapper als »gedungene Männer«, die wirklich Verantwortlichen seien »in anderen Teilen der öffentlichen Verwaltung« zu suchen.

Unter den mehr als 100 verhafteten Putschverdächtigen - in der Mehrheit Armeeoffiziere, Polizisten und Revolvermänner paramilitärischer Gruppen - befindet sich auch der rechtsextremistische Anwalt Arce Carpio. Während der Banzer-Diktatur amtierte er kurzfristig als Innenminister. Seinem damaligen Chef, General Banzer, werden enge Geschäftsverbindungen zur Drogen-Mafia und aktuelle Putschgelüste nachgesagt.

Gerüchte über einen bevorstehenden Staatsstreich kursierten in Bolivien schon seit Wochen. So meuterten die Offiziere einer Militärschule in Cochabamba gegen die Absetzung ihres Kommandeurs und verlangten statt dessen, daß der Oberbefehlshaber der Armee,

der als Anhänger demokratischer Verhältnisse gilt, von seinem Posten entfernt werde.

Selbst von einem zivilen Staatsstreich, angeführt vom Vizepräsidenten Paz Zamora und dem Gewerkschaftsverband COB, war zeitweilig die Rede, da das Land unter Siles' Regierung immer weiter in den wirtschaftlichen Bankrott schlingerte.

Auf rund fünf Milliarden Dollar belaufen sich die Auslandsschulden, das Haushaltsdefizit beträgt über ein Viertel des bolivianischen Bruttosozialprodukts. In anderen lateinamerikanischen Ländern liegt dieser Fehlbetrag bei fünf bis acht Prozent des Sozialprodukts. Die Inflationsrate lag im vergangenen Jahr bei 328 Prozent und stieg inzwischen über die 600-Prozent-Marke.

Der Bolivianer Roberto Suarez, größter Kokainhändler Lateinamerikas, der eine Privatarmee und -luftwaffe mit zwölf Kampfjets unterhält, bot schon einmal im branchenüblichen Größenwahn an, die Schulden seiner Heimat zu begleichen - im Tausch für die Freilassung seines Sohnes, den Agenten der US-Antidrogeneinheit in Miami festgenommen haben.

Mehr als die Hälfte der Kokain-Weltproduktion stammt aus Bolivien. Zwischen 1972 und 1981 stieg das Ernteergebnis von 2000 Tonnen Koka-Blätter auf über 82 000 Tonnen, die zu jener weißen Paste verarbeitet werden, welche die Grundsubstanz für das Kokain liefert.

Gegen den Handel »müßte man die Armee einsetzen«, meint ein Beamter aus La Paz, aber das hätte zur Folge, daß »sich unter den indianischen Bauern eine Guerilla bilden würde«.

Zwar glaubt die Regierung nicht, daß die mächtigen Drogenhändler »direkt in den gescheiterten Coup verwickelt sind«, so Staatssekretär Sanchez vom Innenministerium, doch »könnten Kokain-Geld oder einige Offiziere, die mit dem Rauschgiftgeschäft in Verbindung stehen«, eine Rolle gespielt haben.

Dafür spricht auch, daß zu den Entführern ausgerechnet der Chef und drei weitere Offiziere jener 140-Mann-Elitepolizei, der »Leoparden«, zählen, die Präsident Siles vor sechs Monaten mit US-Hilfe und -Ausbildung zur Drogenbekämpfung aufgebaut hatte.

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