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RUNDFUNK / SPRINGER-PLÄNE Kommerzielle Orgelmusik

aus DER SPIEGEL 40/1967

Wenn sich die geheimen Wünsche des Massenmedien -- Millionärs Axel Springer erfüllen, werden in Jahresfrist 70 Millionen Rundfunkhörer zwischen Berner Oberland und Norddeutscher Tiefebene die Stimme eines neuen Senders deutscher Zunge vernehmen: der Radiostation »Vox human a«.

Der Zukunftssender soll auf 1200 Meter Höhe am Alpenrand im Fürstentum Liechtenstein errichtet werden, täglich 840 Minuten lang Musik, Nachrichten und politische Kommentare ausstrahlen und nach jeder 57. Minute 180 Sekunden Werbung einblenden. Jede Werbesekunde soll dem Springer-Konzern 25 Mark einbringen. Diese geheimen Gedanken stehen in einem 21 Seiten langen Exposé, das Springer-Experten ausarbeiteten.

Da der Zeitungszar bisher in der Bundesrepublik mit seinen Funk- und Television-Projekten nicht landen konnte, kam sein juristischer Ratgeber und Chefelektroniker Herman Ferdinand Arning auf die Idee, das Unternehmen außerhalb der Staatsgrenzen zu starten -- auf dem Boden der letzten Monarchie im deutschen Sprachgebiet, die als einziges Land Europas noch keine Radio- und Fernsehstation besitzt.

Den Weg nach Liechtenstein hatte ihm sein früherer Büronachbar im Springer-Haus, Verlagskaufmann Ewald Schmidt di Simoni, 69, gewiesen, der dem Konzernherrn vor Jahren als Berater zur Seite stand. Der grauhaarige Hüne wollte 1958 die Freie Fernseh GmbH -- das sogenannte Adenauer-Fernsehen -- in der Bundesrepublik starten. Als der Versuch an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts scheiterte, widmete sich der alte Ullstein-Mann wieder privaten Geschäften.

Im November 1965 rief Schmidt di Simoni seinen früheren Nachbarn Arning nach Vaduz und stellte ihm im Hotel Sonnenhof zwei liechtensteinische Honoratioren vor: den Kopf der Regierungspartei, Rechtsanwalt Dr. Gregor Steger, der neben seiner Advokatur als Mini-Minister das Regierungsamt Arbeit und Sozialwesen verwaltet, und den vielseitig engagierten Treuhand -- Firmenchef Dr. Anton Gantner.

Nach zweitägiger Aussprache beauftragte Arning laut Sitzungsprotokoll vom 8. und 9. November 1965 die Herren Steger, Gantner und Schmidt di Simoni, eine Art Springer-Lobby zu bilden und »sich um die Erteilung einer Rundfunk- und Fernseh-Konzession des Fürstentums Liechtenstein zugunsten einer zu gründenden juristischen Person zu bemühen. Es besteht Einigkeit zwischen den Beteiligten darüber, daß Herr RA Arning alle Inhaber der Gründerrechte der genannten Anstalt bestimmt«.

Wenig später wurde erwogen, die Springer-Gruppe mit Zweidrittel des Gesellschaftskapitals an dem Unternehmen zu beteiligen; den Rest könne eine liechtensteinische Gruppe erhalten. »Dabei würde abzusprechen sein«, schrieb Schmidt di Simoni in einer Projektanalyse, »ob unsere Partner etwa die Vermögensverwaltung des fürstlichen Hauses oder ob es andere Gruppen sein würden.« Im Verwaltungsrat sollten das fürstliche Haus und das Kabinett »in Erscheinung treten«.

Doch bevor diese Frage endgültig geklärt war, mußten die Springer-Helf er eine gründliche Stimmungskampagne betreiben. Das konservative Liechtenstein dient zwar Tausenden von Ausländern als Steueroase, aber wenn ausländischer Einfluß landeseigene Institutionen bedroht, werden die Bürger im Parlament aufsässig.

Deshalb mußten Brücken gebaut werden -- zum Landtagspräsidenten« zum Fürstenhof und schließlich auch zum Bischof von Chur, der im katholischen Liechtenstein großen Einfluß genießt.

In der Annahme, daß kaufmännische Argumente am besten überzeugen, faßte Schmidt di Simoni die wirtschaftlichen Überlegungen in einer Denkschrift zusammen. Er rechnete aus, daß für den Bau der Senderanlagen 16,6 Millionen Mark und während der Anlaufzeit 13 Millionen Mark Betriebsmittel gebraucht werden. Dieses Kapital werde mindestens 27 Prozent, wahrscheinlich sogar 30 Prozent Rendite einbringen.

Die Kunden für die Reklamesendungen sollen in der Bundesrepublik, in Österreich und in der Schweiz geworben werden. »Bei einer täglich durchschnittlichen Verkaufsmenge von 42 Minuten«, so kalkulierte der Planer, »erlösen wir im Jahr 15,72 Millionen Mark.« Davon könne die liechtensteinische Staatskasse eine größere Summe als Lizenz erhalten. »Einer solchen Sendegesellschaft würden nach Abzug der Kosten jährlich etwa acht Millionen Mark verbleiben.«

Als Modell dienen die vier großen westeuropäischen Kommerzialsender: Radio Luxemburg, Europa I auf dem Felsberg bei Saarlouis, Radio und Télé Monte Carlo und Radio Andorra. Die französische Gesellschaft, die Europa I betreibt, konnte 52 Prozent Dividende ausschütten.

Um interne Informationen hereinzuholen, heuerte Schmidt di Simoni für kurze Zeit den ehemaligen Saarbrücker Werbefunkdirektor Hermann Glessgen an, der während des Krieges Kulturdirigent im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren gewesen war.

Er hatte die Idee, den Zukunftssender »Vox humana« zu nennen. Das klinge fromm und gottesfürchtig, denn Vox humana bezeichnet in der kirchlichen Orgelmusik ein Register mit leicht zitterndem Klang, das die menschliche Stimme simuliert. Außerdem wecke der Name humanistische Assoziationen, was dem Landesherrn Franz Josef II. und der ganzen Fürstenfamilie gut gefallen würde.

Über die Zuteilung von Sendefrequenzen machten sich die Gründer wenig Sorge. Die dafür zuständige internationale Kommission in Genf kargt zwar mit Wellen und Kanälen, der Sender Liechtenstein könne aber ungestraft und ohne zu stören zunächst die Kanäle entlegener Stationen mitbenutzen, empfahlen Springers Elektronik-Experten. Für den Langwellenbereich schlugen sie Kanal sieben, 209 Kilohertz des sowjetischen Senders Kiew vor. Außerdem soll die humane Stimme aus Liechtenstein auf der Mittelwelle und im UKW-Bereich auf breiter Front durchdringen.

»Das Programmschema bietet sich von selbst an«, schrieb Schmidt di Simoni in seiner Projekt-Skizze. »Es baut auf Musiksendungen über Schallplatten auf, wobei das Engagement eines bewährten und ankommenden Diskjockeis eine entscheidende Bedeutung hat.«

Vox humana werde sich an alle jungen Hörer wenden, »die mit transportablen Transistorengeräten ausgerüstet sind«. Bei der Auswahl der Themen »könnte und sollte eine starke Anlehnung an die (Springer-)Jugendzeitschrift Bravo stattfinden«. Der Sender soll aber auch Nachrichten und meinungsbildende Kommentare ausstrahlen und später eine Television-Anlage erhalten.

Um die technischen Details auszuloten, nahm ein Beauftragter Messungen in der Nähe des Dorfes Planken vor, dessen Höhenzüge als Standort ausersehen sind. Während der Vorarbeiten traf sich Arning mehrmals mit dem wichtigsten Konsortialmitglied Dr. Steger und mit dem Spitzenfunktionär der liechtensteinischen Oppositionspartei, Dr. Ivo Beck, der ebenfalls für das Projekt gewonnen wurde. Selbdritt feilten die Advokaten an der Partitur der Springerschen Orgelmusik.

Anfang Juni wollten sie endlich den Konzessionsantrag stellen, über den der liechtensteinische Landtag dann in Kürze -- wie man meinte, wohlwollend -- entscheiden würde. Arning verabredete sich mit seinen Partnern in Vaduz, doch kurz vor dem Termin sagte er plötzlich ab: Ich muß mit einer kleinen Delegation des Präsidiums der Deutschen Zeitungsverleger das erwogene Hilfsprogramm für die deutsche Tageszeitung mit dem Bundesfinanz- und dem Bundeswirtschaftsminister durchverhandeln.«

Springers juristischer Feuerwehrmann mußte in der Nothilfe-Kommission der Verlage Angriffe gegen die Machtkonzentration seines Herrn abwehren. Von Woche zu Woche geriet der Konzern immer stärker in die politische Schußlinie. Auch in Springers elektronischer Traumfabrik, der Planungsabteilung für private Funk- und Fernsehunternehmen, gingen Minen hoch. Die Enthüllungen über die Schnüffelei von Arning-Agenten im Zweiten Fernsehen (SPIEGEL 33/1967) belasteten den Chefjustitiar stark. In der Siedehitze der Gefechte wollte er Vox humana nicht aufs Spiel setzen. Deshalb verschob er immer wieder seine Reise.

Schließlich wurden die Vasallen in Vaduz nervös. Sie warten auch auf Geld, denn der Springer-Mann versprach ihnen für ihre Bemühungen lukrative Vergütungen, schüttete aber erst einen Teil aus. »Wenn Arning sich nicht beeilt«, klagte kürzlich einer der Helfer, »fällt es schwer, die Stellung zu halten.«

Die Londoner BBC bemüht sich zur Zeit in Liechtenstein ebenfalls um eine Konzession. Außerdem drängt eine amerikanische Gruppe, die sich mit dem Firmennamen »International Radio and Television Corporation« tarnt, nach Vaduz.

Die Konsorten haben sich schriftlich verpflichtet, »bei Auftauchen oder Bekanntwerden anderer Interessengruppen Herrn RA Arning zu verständigen und alle nur möglichen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Erlangung von Rundfunk- und Fernseh-Konzessionen dieser anderen Gruppen zu verhindern«.

Sie sind fest entschlossen, die kommerzielle Orgel möglichst bald -- mit oder ohne Springer -- in Gang zu setzen.

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