SPIONAGE / LÜDKE Kongreß beginnt
Es war ein roter Oktober. Kaum ein Tag verging, da nicht einer aus der Kälte kam, nicht neue verdächtige Kunde von Fliegerhorsten oder Müllkippen drang: keine Woche ohne neue Schlagzeilen über spektakuläre Erfolge östlicher Agenten und ebenso spektakuläre Fehlleistungen Ihrer Verfolger; ohne einen mysteriösen Selbstmord in bundesdeutschen Amtsstuben.
Am 8. Oktober starb der Flottillen-Admiral Hermann Lüdke durch eine Kugel In der Eifel. In München erschoß sich der stellvertretende Leiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), Generalmajor Horst Wendland, 56.
Mit seinem Gürtel erhängte sich Regierungsdirektor Hans-Heinrich Schenk, 40, Hilfsreferent im Bundeswirtschaftsministerium. Mit seiner Dienstpistole erschoß sich der Oberstleutnant Johannes Grimm, 54, in seinem Dienstzimmer im Bundesverteidigungsministerium.
Mit Hilfe einer Überdosis Schlafmittel suchte und fand Edeltraud Grapentin, 52, Lektorin im Bundespresseamt, den Freitod. Spurlos verschwand der Regierungshauptsekretär im Bundesverteidigungsministerium Gerhard Böhm, 61. Die letzte Nachricht, die er auf einem Bierfilz hinterließ, kündete von Selbstmordabsichten.
Bestätigt wurde in der vorletzten Woche die Verhaftung des DDR-Agenten Harald Gottfried, der als Diplom-Ingenieur im Kernforschungszentrum Karlsruhe gearbeitet hatte. Kolportiert wurde um die gleiche Zeit, was sich wie schier unglaubliche Tapsigkeit bundesdeutscher Spionen-Jäger ausnahm:
So sollten »sechs rote Spitzenagenten« ("Bild am Sonntag"), obwohl seit Wochen von Verfassungschutz und Kripo observiert, gewissermaßen unter den Augen ihrer Häscher per Flugzeug oder via Autobahn ins Land ihrer Auftraggeber ausgereist sein. Eine chiffrierte Funkwarnung aus der DDR
* Während der Kieler Woche 1963.
hatte sie in Marsch gesetzt: »Kongreß beginnt.«
So hieß es von der ledigen Angestellten Gisela Mock, 48, die als »Viola« im Führungsstab des Heeres tippte, auch sie sei der Bonner Abwehr »durch die Lappen« ("Hamburger Morgenpost") gegangen: Nach dem Verhör leichtfertigerweise wieder frei- und unbeaufsichtigt gelassen, habe sie sich schleunigst in die DDR abgesetzt.
Mittlerweile war Hiobsbotschaft über einen »neuen 'Sicherheitsfall'« ("Hamburger Abendblatt") von einem Müllplatz bei Dernau an der Ahr eingetroffen. Zwischen vermodernden Matratzen und Schutt hatte der Gemeindearbeiter Hubert Krämer dort Teile von vier »Hawk«-Flugabwehrraketen gefunden; die Seriennummern der Projektile waren noch zu entziffern.
Und eben um diese Zeit vermochten Fahnder der Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamts zu erhellen, wo eine schon seit anderthalb Jahren vermißte Rakete abgeblieben war: in Moskau. Es handelte sich um eine sogenannte Luft-Luft-Rakete vom Typ »Sidewinder« (einschließlich Zielsuchkopf), die aus dem Arsenal des Nato-Einsatzflughafen Zell bei Neuburg an der Donau gestohlen worden war.
Grassierender Selbstmord unter Militärs und Ministerialen, entlaufene Agenten, deutsche Raketen in deutschem Schutt oder gar in den Händen der Sowjets -- die zeitliche Häufung zwielichtiger Affären ließ allenthalben die Spekulationen über untergründige Zusammenhänge, eine allgegenwärtige rote Hand in der Bonner Staatsmaschinerie und klägliches Versagen der Staatssicherer wuchern.
»Schläft die Abwehr?« fragte »Bild«. »Unfaßbare Pleiten« erkannte die »Hamburger Morgenpost« und erklärte kategorisch: »Langsam reicht es nun.«
Bonner Politiker wie der SPD-Fraktionschef Helmut Schmidt entrüsteten sich: »Es gibt nichts zu beschönigen. Das Zusammenspiel der einzelnen Stellen ist erschütternd und sehr beunruhigend.« Der FDP-Wehrexperte Fritz-Rudolf Schultz erhob »absolute Klarheit« zum »Gebot der Stunde«, und aus Spanien ordnete Kanzler Kiesinger an: sofortige Berichterstattung. Die »Unruhe« ("Stuttgarter Zeitung") bemächtigte sich westlicher Nachbarn ebenso wie der Verbündeten in Übersee.
»Die mysteriösen »Selbstmorde« in der Bundeswehr könnten«, so fürchtete der Pariser »Figaro«, »eine Spionage-Affäre von europäischen Ausmaßen auslösen.« Und US-Verteidigungsminister Clifford deutete die Botschaften vom Rhein im Pentagon als »eine Angelegenheit von äußerstem Ernst«.
Es war eher eine deutsche Oper am Rhein, mit Irrungen und Wirrungen. Als sich der Vorhang hob, erwies es sich: Dieses Bonner Staats-Drama war nichts als eine zusammenhanglose Folge zufälliger Szenen -- teils Agenten-Burleske, teils Beamten-Tragödie teils Kranken-Geschichte.
Geheimdienstgeneral Wendland, seit längerem schon wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung, hatte sich die Pistole während eines depressiven Schubs an die Schläfe gesetzt. BND-Chef Gerhard Wessel, der erst im Mai dieses Jahres das Amt in Pullach übernommen hatte: »Als ich hinkam, war das Problem schon da.« Und er machte es aktenkundig.
Der Bonner Hilfsreferent Schenk hatte sich in der Wohnung seiner Mutter erhängt, weil den erst seit kurzem verheirateten Vierziger jedesmal Angst befiel, wenn er nachts vor dem Ehegemach stand. Oberstleutnant Grimm hatte aus -- unbegründeter -- Krebsangst zur Dienstpistole gegriffen.
Die Welle selbstmörderischer Depressionen (siehe Seite 202), die durchs Land ging wie einst nach der Veröffentlichung von »Werthers Leiden«, erfaßte die seit Jahren an Leib und Seele kränkelnde Lektorin Edeltraud Grapentin vom Presseamt ebenso Wie den Regierungshauptsekretär Böhm der schon häufig mit Selbstmord gedroht hatte und dann tagelang verschwunden war. Diesmal machte er Ernst: Am Donnerstag letzter Woche wurde er tot am Rheinufer bei Wesseling aufgefunden.
Einmalig war die Selbstmord-Serie nicht (letztes Jahr hatten sich vier Bonner AA-Leute das Leben genommen), aber doch so ungewöhnlich, daß die schillernde Vokabel »Spionage« kräftig haussierte. Sie besagt fast alles und fast nichts: Spionage ist kein Delikt im deutschen Strafrecht, vielmehr eine gängige Umschreibung unterschiedlichster Ausspähungsdelikte -- sei es Landesverrat von Felfe-Format, sei es eine Bagatellsache wie im Falle jener Studentin, die im Münchner Maximilianeum die Lage der Sitzungssäle skizzierte (und gleichwohl wegen landesverräterischer Beziehungen bestraft wurde).
In der zumal von Boulevardblättern entfachten Spionage-Hysterie aber nahmen nachrichtendienstliche Durchschnittsfälle für den Laien beklemmende Dimensionen an. So stand der Diplom-Ingenieur Gottfried vom Kernforschungszentrum zwar in DDR-Diensten -- aber es gab in der Reaktorstation nichts zu spionieren. Ein Sprecher des Kernforschungszentrums: »Es gibt bei uns nicht nur keine Geheimnisse. Wir sind sogar verpflichtet, alle Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.«
Von den sechs geflohenen angeblichen Top-Spionen waren vier -- zwei Ehepaare -- höchstens niederes Agenten-Fußvolk: Sie waren zwar von Verfassungsschützern observiert worden, aber für eine Verhaftung hatten die Verdachtsmomente nicht ausgereicht. So bestand weder der Anlaß noch die Möglichkeit, sie an der Ausreise zu hindern.
Die beiden anderen vermeintlichen Agenten, der Frankfurter Diplom-Physiker Breuer und Frau, sind dagegen nachrichtendienstlich nie aufgefallen; das Ehepaar ist aus familiären Gründen in die DDR übergesiedelt und hatte den Umzug monatelang vorbereitet. Und Gisela Mock befindet sich nach wie vor auf deutschem Boden.
Schließlich: Gemeindearbeiter Krämers »Hawk« -Fund auf dem Müllplatz zu Dernau an der Ahr war -- wie sich letzte Woche ergab -- kein Fall für den Staatsschutz, sondern Anfall von Staatsschrott: Bis 1965 waren die vier »Hawks« in der Luftwaffen-Raketenschule Eschweiler als Übungs-Zielobjekte verwendet worden. Dazu taugten sie nach mehrfachem Beschuß nicht mehr, also wurden die Raketen-Wracks auf dem Schulgelände als Schaustücke ausgestellt. Als die Schule dann nach den USA verlegt wurde, erschienen die Souvenirs früherer Lehrgänge des Mitnehmens nicht wert; sie kamen auf den Schrott.
Ein glatter Verratsfall hingegen war die Raketen-Köpenickiade des Krefelder Architekten Manfred Ramminger, des Schlossermeisters Josef Linowski und des Starfighter-Piloten Wolf Diethart Knoppe. Nur: Ein nachrichtendienstliches Goldstück war die technisch betagte »Sidewinder«-Rakete auch nicht.
Und daß die Rakete nach Moskau gelangte, ist nicht dein Schlafmützigkelt bundesdeutscher Agentenjäger zuzuschieben, sondern der dürftigen Bewachung westdeutscher Waffen- und Munitionsdepots (siehe Seite 38) sowie den liberalen Ausfuhrbestimmungen:
Ramminger und Linowski gaben die in Einzelteile zerlegte »Sidewinder« auf dem Düsseldorfer Flughafen als Luftfracht auf und deklarierten sie als Maschinenersatzteile im Wert unter 1000 Mark. So brauchten sie für die via Paris nach Moskau bestimmte Sendung nur eine sogenannte Kleinausfuhr-Erklärung abzugeben. Kleinausfuhr-Partien aber werden vom Zoll nicht extra vorabgefertigt und kontrolliert.
Die Bundesrepublik erwies sich in diesem Fall als Land der unbegrenzten Möglichkeiten wie sonst nur Amerika, über das der sowjetische Überläufer Viktor Krawtschenko ("Ich wählte die Freiheit") schrieb: »Wir hätten das ganze Empire-State-Build-Ing auf ein Schiff verladen können, und kein Mensch hätte sich darum geschert.«
So blieb nur ein Fall übrig, dem unter Sicherheitsgesichtspunkten außerordentliche Bedeutung zukommt: der Fall Lüdke. Was ihn abhebt vom Bonner Spionage-Allerlei, ist
* einmal die nachrichtendienstliche Brisanz dessen, was der ehemalige Stellvertreter der Abteilung Logistik beim Nato-Hauptquartier in Europa (Shape) verraten haben könnte;
* zum anderen das aus Kompetenz-Wirrwarr und Koordinierungsschwächen resultierende Unvermögen der Behörden, den Fall professionell zu behandeln und aufzuklären.
Denn weder war bis zum letzten Wochenende Lüdkes »Schuld erwiesen noch seine Unschuld« -- so Generalbundesanwalt Ludwig Martin. Dafür ziehen sich Kriminalpolizei, Geheimdienste und Bundesanwaltschaft wechselseitig des Dilettantismus und der Pflichtverletzung.
War Lüdke tatsächlich ein Spion, dann ist er in die Galerie der Spionagestars vom Schlage Frenzel und Felfe einzureihen. Deutschland, durch Mauer und Minengürtel zerrissen, doch durch Sprache, Kultur und Tradition immer noch verbunden, ist ideales Terrain für Geheimdienste aus Ost und West.
Wie in Grenzdörfern der Schmuggel, so wuchert auf deutschem Boden -- der Nahtstelle zwischen den Weltblöcken -- der Agenten-Dschungel. Jedes Jahr kommen in die Bundesrepublik tausend Agenten aus der DDR; auf die Reise geschickt vom Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung Aufklärung, oder vom Ministerium für Verteidigung, Hauptabteilung Koordinierung. Und auch alle anderen Ostblockstaaten senden Kundschafter in die Bundesrepublik.
Wacht am Rhein halten dreizehn bundesdeutsche Organisationen: das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und elf Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) sowie der Militärische Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD). Doch ihre Abwehrkraft ist geschwächt durch Kompetenzrivalitäten, Eifersüchteleien und Intrigen. Und in München-Pullach führt zudem der Bundesnachrichtendienst ein Eigenleben. Sein Auftrag: Spionage und Gegenspionage im Ausland.
Auf westdeutschem Boden operieren freilich nicht nur Agenten aus dem Osten und ihre deutschen Gegenspieler. Wie die Warschauer Paktstaaten nachrichtendienstliche Hauptquartiere in der DDR unterhalten, genießen in der Bundesrepublik -- laut Deutschlandvertrag von 1955 -- die amerikanischen, britischen und französischen Geheimdienste und Abwehrorganisationen Hausrecht.
Dank dieser Vergünstigung waren die alliierten Nachrichtendienste denn auch in der Lage, ihre Regierungen rechtzeitig über die Affäre Lüdke zu unterrichten. Es war ein Nato-Fall: Lüdke hatte im Nato-Hauptquartier Europa (Shape) »Richtlinien für die Streitkräfte der Paktstaaten auf dem Gebiet der Logistik« zu erarbeiten. Das besagt, daß der Admiral den Lebensnerv des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses bis in die feinsten Verästelungen kannte: das gesamte Nachschub- und Versorgungssystem.
Daß Lüdke im Nato-Hauptquartier zu Casteau (Belgien) relativ häufig Geheimakten auslieh, ohne den Empfang der Dokumente -- wie vorgeschrieben -- zu quittieren, hat sich mittlerweile herausgestellt. Den Nato-Chargen in Casteau erscheint das heute unerklärlich.
Verdacht kam nur durch Zufall auf -- am 23. September, als ein holländischer Photolaborant des Bonner Photogeschäfts Danker nach der Entwicklung eines Minox-Films neben Urlaubs- und Jagdaufnahmen auch Abbildungen von Dokumenten entdeckte, die den Stempelaufdruck »Secret« und »Nato secret« trugen.
Der Laborant unterrichtete seine Chefin Trude Helke. Und die aufmerksame Geschäftsfrau -- sie hatte bereits früher nach Photo-Kontrollen einen Wechselbetrüger entlarvt -- meldete den geheimnisvollen Entwicklungsauftrag dem 14. (politischen) Kommissariat der Bonner Kriminalpolizei.
Die Kriminalbeamten aber, die üblicherweise mit Synagogen-Schmierern, Links- und Rechtsradikalen zu tun haben, zeigten sich überfordert. Einmal konnten sie selbst keine Vorstellung davon gewinnen, welche Geheimqualität den abgelichteten militärischen Dokumenten zukam; sie baten deswegen den Militärischen Abschirmdienst im Wege der Amtshilfe um Belehrung. Zum anderen kannten sie die Rechtslage nicht, denn sie informierten keine Strafverfolgungsbehörde, wie das Gesetz vorschreibt.
Selbst wenn die Bonner Kriminalisten, wie sie heute behaupten, nur den Verdacht hegten, der Admiral könne lediglich ein Amtsgeheimnis preisgegeben haben, hätten sie dennoch unverzüglich einen Bonner Staatsanwalt informieren müssen. Paragraph 163 der Strafprozeßordnung: »Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes übersenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Staatsanwaltschaft.«
Und wäre den Polit-Polizisten, wie nahelag, in den Sinn gekommen, Lüdke könne vielleicht auch ein Staatsgeheimnis verraten haben, so hätten sie pflichtgemäß den Generalbundesanwalt in Karlsruhe unterrichten müssen. Auch bei Verdacht auf Hoch- oder Landesverrat ist nach Paragraph 163 zu verfahren. Nur wird »das Amt der Staatsanwaltschaft« in diesem Fall -- so bestimmt Paragraph 142 des Gerichtsverfassungsgesetzes -- »bei dem Bundesgerichtshof durch einen Generalbundesanwalt und durch einen oder mehrere Bundesanwälte ausgeübt«.
So unerreichbar fern in diesem Fall die Residenz des Rechts, Karlsruhe, war, so unerreichbar war den Bonner Kriminalbeamten groteskerweise auch die bundesdeutsche Zentrale der Spionage-Jäger am Ort. Denn in der Bundeshauptstadt residiert die mit Spezialisten für Spionageabwehr besetzte Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts (Wiesbaden).
Die Sicherungsgruppe darf allerdings nur auf Anweisung des Generalbundesanwalts tätig werden. Dennoch: Ein Anruf der Bonner Kripo bei den Beamten dieser Sicherungsgruppe hätte verhindert, daß ein eben erst in Gang gesetztes Verfahren bereits nach dem ersten Anstoß entgleiste. Die Sicherungsgruppe hätte über kurz geschlossenen Draht -- wie so oft -- die erforderliche Weisung aus Karlsruhe eingeholt.
Der verdächtige Admiral Lüdke weilte unterdessen in Süddeutschland auf der Pirsch. Kripo und MAD fahndeten nicht einmal nach ihm. Doch dann fand sich der Nato-Mariner am 27. September um zehn Uhr auf der Bonner Hardthöhe im Kasino des Bundesverteidigungsministeriums ein -- zum ehrenvollen Abschiedsempfang; die seit langem beschlossene Pensionierung stand an.
Nachdem die Amtshandlung beendet und die Urkunde überreicht worden war, speisten die Herren ein letztes Mal gemeinsam an einem Tisch. Nach dem Zeremoniell, das Verteidigungsminister Gerhard Schröder und sein Staatssekretär Karl-Günther von Hase in Kenntnis des aufgekommenen Verdachts gebilligt hatten, nahm Admiral Jeschonnek den Admiral a. D. Lüdke beiseite und führte den Kameraden auf dem etwa 800 Meter langen Weg zum »Haus Führungsstab Streitkräfte«.
Im Besprechungszimmer des Generalinspekteurs erwarteten den ehrenvoll Verabschiedeten Offiziere des MAD. In Jeschonneks Gegenwart, doch ohne Anwesenheit der Bonner Kripo, die vereinbarungsgemäß dabeisein sollte, führten die MAD-Leute ein geheimes Gespräch über die photographierten Geheimdokumente.
Während dieser »Anhörung« (Verteidigungsministerium), die in keiner Verfahrensordnung vorgesehen ist, behauptete Lüdke zunächst, er besitze überhaupt keine Minox-Kamera, dann, er habe den Apparat bei Photo-Porst gekauft, schließlich, er habe die Kamera zwei Jahre zuvor in Köln erstanden.
Mit den photographierten Dokumenten wollte Lüdke nie in Berührung gekommen sein. Und zumindest diese Aussage war eindeutig falsch. Der Admiral hatte sie in Casteau selbst erarbeitet -- wie dem Verteidigungsministerium zur Anhörungsstunde durchaus bekannt war. Denn auf der Hardthohe existierten seit langem Kopien der abgelichteten Ausarbeitungen über die »Infrastruktur« (militärische Bauten und Anlagen) im Nato-Gebiet.
Spätestens nach der gut zweistündigen Unterredung auf der Hardthöhe hätte sich für die MAD-Routiniers der vier Tage zuvor entstandene vage Verdacht verstärken müssen. Doch der Admiral, durch die Anhörung erstmals gewarnt, durfte unbehelligt den Heimweg antreten.
Zwar verständigten die Abschirmer gegen Ende der Anhörung die Kripo von dem Ergebnis ihrer Befragung, doch nachdem die Weichen einmal falsch gestellt waren, gab es kaum noch eine Chance zur Kursänderung. Denn selbst wenn die Kriminalisten findig genug gewesen wären, einen Bundesanwalt in Karlsruhe oder auch nur einen Bonner Staatsanwalt zu erreichen, wäre -- wie Generalbundesanwalt Martin später beklagte -- »der Zug bereits abgefahren gewesen Lüdke hätte vor einer Durchsuchung seiner Wohnung aufgrund richterlicher Anordnung nach einem Antrag der Bundesanwaltschaft ausreichend Zeit gehabt, belastendes Material beiseite zu schaffen.
Erst fünf Tage nach dem Ermittlungsbeginn telephonierte Kriminalobermeister Rutkowski vom 14. Kommissariat in Bonn dann tatsächlich mit einem Bundesanwalt. Sein Gesprächspartner, Alwin Kuhn, befand sich gerade in Urlaub und verwies den Polizisten deswegen an den Bereitschaftsdienst in Karlsruhe, der laut Generalbundesanwalt Martin an jenem Samstagvormittag »unter der sogar dem 14. Kommissariat bekannten Rufnum-
* In der Bundestags-Fragestunde am 25. Oktober.
mer 23941 des Bundesgerichtshofes zu erreichen« war.
Just in jenem Augenblick aber, als die Bonner Kriminalbeamten sich zum zweitenmal anschickten, endlich die Bundesanwaltschaft fernmündlich ins Bild zu setzen, betrat, wie tags zuvor beim MAD vereinbart, der Marineoffizier im grünen Jägerrock die Amtsstube. So verhinderte diesmal der Verdächtige -- unbeabsichtigt -- selbst, daß der Verdacht gegen ihn von letztlich kompetenter Stelle doch noch geprüft wurde.
Sieben Stunden lang wurde Lüdke, der seiner Familie einen Jagdausflug vorgetäuscht hatte, nun von der Kripo vernommen. Anschließend begleiteten ihn zwei Beamte mit seinem Einverständnis zu einer »Nachschau« (Martin> in seine Wohnung, in der sie sich eine knappe Viertelstunde ausschließlich im Arbeitszimmer des Admirals aufhielten.
Der Admiral blieb auf freiem Fuß, und übers Wochenende ruhten die Bonner Ermittlungen. Die Bundesanwaltschaft wurde von der Kripo erst am Montag benachrichtigt.
Dann endlich konnten die Karlsruher Strafverfolger den Fall Lüdke übernehmen. »Für eine Observierung, die nur eine Dauerobservierung hätte sein können« (so Generalbundesanwalt Martin) bestand allerdings zu diesem Zeitpunkt »unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Admiral nach der ersten Anhörung durch den MAD etwaige Spuren sofort hätte beseitigen können, kein ausreichender Grund« mehr.
Martin: »Wir ... überließen die weiteren Ermittlungen allerdings dem 14. Kommissariat. Dabei waren wir uns darüber im klaren, daß die bisherigen Ermittlungen nicht durchweg so gelaufen waren, wie es ein solcher Fall nahegelegt hätte.«
Welche Zugriffsstrategie nahegelegen hätte, veranschaulicht der Fall Frenzel. Als der SPD-Bundestagsabgeordnete Alfred Frenzel im Sommer 1960 in den Verdacht geriet, für den tschechischen Geheimdienst zu arbeiten, warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz den Parlamentarier nicht wie der MAD im Fall Lüdke durch eine verfrühte Vernehmung ohne anschließenden Zugriff, sondern observierte den Verdächtigen -- vier Monate lang. Zwölf Verfassungsschützer wurden eigens dafür abgestellt, Frenzel rund um die Uhr zu beschatten.
Schon nach dem ersten Auftauchen eines Verdachts unterrichteten die Kölner Abwehrspezialisten die Karlsruher Bundesanwälte, obwohl sie nach den Richtlinien über die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und den Strafverfolgungsbehörden so frühzeitig dazu ebensowenig verpflichtet gewesen waren wie der MAD im Fall Lüdke.
Diese geheimgehaltenen Richtlinien tragen unterschiedlichen Interessen bei der Aufklärung eines Spionagefalls Rechnung: Einerseits kann es aus Geheimdienst-Sicht oft unzweckmäßig sein, einen Verdächtigen sofort anzuzeigen, ihn festzunehmen oder verhaften zu lassen -- denn so könnten die gegnerischen Auftraggeber und etwaige Komplicen gewarnt werden. Andererseits sind die Staatsanwaltschaften und die Bundesanwaltschaften nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zu schnellem Zugriff verpflichtet.
Im Fall Frenzel funktionierte das Zusammenspiel mustergültig. Das monatelange Stillhalten des Generalbundesanwalts wurde belohnt: Die Verfassungsschützer präsentierten ihm schließlich den verdächtigen Frenzel auf frischer Tat zur Festnahme.
Und ebenso vage wie in den geheimen Richtlinien über die Kooperation zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden ist in Richtlinien, die als Verschlußsache behandelt werden, auch das Zusammenspiel der bundesdeutschen Geheimdienste untereinander geregelt.
So ist laut Koordinierungsbeschluß von 1958 der MAD gehalten, Verdachtsfälle aus dem Zivilbereich dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz mitzuteilen. Das BfV wiederum muß dem MAD erkannte Sicherheitsrisiken im militärischen Bereich kundtun. Auch der Bundesnachrichtendienst ist verpflichtet, das BfV und den MAD zu verständigen, wenn er bei Auslandsermittlungen Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik oder für die Bundeswehr aufspürt.
Wohl treffen sich die Chefs der deutschen Geheimdienste -- Gerhard Wessel (BND), Armin Eck (MAD) und Hubert Schrübbers (BfV) -- zu Arbeitsbesprechungen. »Aber«, so ein Abwehrexperte, »die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterrichtung ist miserabel.«
In Grenzen ist die Eigenbrötelei der rivalisierenden Dienste freilich existenznotwendig. Der BND-Chef käme in einen Gewissenskonflikt, wenn er zum Beispiel von seinem V-Mann im tschechischen Geheimdienst erführe, daß ein Beamter in einem Bonner Ministerium für den Prager Geheimdienst arbeitet. Gäbe der BND-Chef, wie die Richtlinien fordern, diesen Tip an die Abwehrabteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz weiter, liefe er Gefahr, daß durch eine mögliche Festnahme des Bonner Ministerialen die Tschechen einen Hinweis auf die undichte Stelle im eigenen Apparat bekämen; der Pullacher in Pragflüge auf.
Unverständlich bleibt hingegen die Rivalität zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz einerseits und den elf Landesämtern hei der Spionage-Abwehr -- wie im Januar 1966, als die Landes-Verfassungshüter von Nordrhein-Westfalen sieben Sowjetrussen unter Beschattung nahmen, deren Observierung zuvor sogar die Bundesanwaltschaft für nicht Rechtens erklärt hatte. Durch vorzeitige Veröffentlichung enttarnte das Bundesinnenministerium den Alleingang der Düsseldorfer Abwehr. NRW-Innenminister Willi Weyer zürnte öffentlich: Bonn habe die Vertraulichkeit gebrochen und seine V-Männer demaskiert.
Auch in diesem Bereich verpflichten Richtlinien die Abwehrmänner zu gegenseitiger Unterrichtung und Zusammenarbeit. Auch hier wehrt gelegentlich eine Abwehr die andere ab. Ein Bundesabwehrmann: »Die Länder reiten ehrgeizig auf ihrer Zuständigkeit herum, obwohl ihnen dafür Fachleute und Organisation völlig abgehen.« Ein Landesabwehrmann: »Die Kölner wollen überall mitmischen.«
Von solchen Rivalitäten waren Geheimdienste in keinem Land und zu keiner Zeit frei, weder in demokratischen noch in totalitären Staaten. Im Dritten Reich bekämpften sich Militärabwehr unter dem legendären Admiral Canaris, Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Kurz vor Kriegsende forderte SS-Standartenführer Walter Huppenkothen von der Gestapo vor einem Standgericht im KZ Flossenbürg den Kopf des Gegenspielers Canaris. Der Admiral endete am Galgen.
Wie in Deutschland lähmten auch im Ausland Konkurrenzkämpfe und Intrigen die Abwehrkraft der Geheimdienste. Doch allerorten setzte sich nach vielen Pannen die Einsicht durch, daß betriebsinterne Querelen nur dem äußeren Gegner Nutzen bringen. Der Osten und der Westen beschritten verschiedene Wege aus dem gleichen Dilemma:
In Rußland werden neuerdings Konflikte zwischen der sowjetischen Geheimpolizei (KGB) und dem militärischen Abwehr- und Nachrichtendienst (GRU) weitgehend dadurch vermieden, daß ein GRU-Offizier ständig beim KGB residiert und ein KGB-Angehöriger in der GRU-Zentrale sitzt. In England überwacht und koordiniert ein »Supremo« die Arbeit des Abwehrdienstes (SS, früher MI 5), der Spionage- und Gegenspionageorganisation (SIS, früher MI 6) und der militärischen Abwehr.
Auch in der Bundesrepublik haben die Pannen im Fall Lüdke nunmehr eine alte Diskussion um bessere Koordinierung oder gar Zentralisierung der Geheimdienste neu entfacht. Bevor die Bonner Parlamentarier jedoch Ende vergangener Woche ihre ersten konkreten Vorstellungen darüber entwickelten, welche Lehren aus den jüngst offenbar gewordenen Mißständen zu ziehen seien, forderten sie von der Regierung Aufklärung.
Nach mehrfachem Aufschub des Termins bat am Dienstag vorletzter Woche Kanzler Kiesingers Parlamentarischer Staatssekretär Baron Guttenberg die Fraktionschefs Barzel (CDU/CSU) und Mischnick (FDP) sowie den SPD-Fraktionsstellvertreter Martin Hirsch zur Aussprache über die Fälle Wendland und Lüdke ins Palais Schaumburg.
Zum Rapport standen neben Staatssekretär von Hase aus dem Bundesverteidigungsministerium auch Admiral Poser vom Führungsstab der Streitkräfte Unterabteilung II, Verwaltungs-Obmann des MAD, sowie MAD-Chef General Eck und BND-Chef General Wessel bereit.
Wessel gelang es. den Parlamentariern den Selbstmord seines kommissarischen Stellvertreters Wendland infolge »schwerer reaktiver Depression« einigermaßen plausibel zu machen. Der BND-Chef, dessen Dienst unlängst wegen seiner Mitarbeiterwerbung an deutschen Hochschulen ins Gerede gekommen war, redete vor den Vertrauensleuten des Bundestages nun über die Schwierigkeiten, Mitarbeiter loszuwerden.
So sei es ihm trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen, den gemütskranken Wendland in angemessener Stellung anderweitig unterzubringen etwa als Militärattaché in Washington, London oder Paris. Und Wendland sei personalpolitisch durchaus kein Einzelproblem im Bundesnachrichtendienst gewesen. Es gäbe in der Nachrichtenzentrale eine Reihe weiterer Kollegen, die zu alt, krank oder nervös geworden seien und mithin Ansatzpunkte für den Gegner böten.
Nervös wirkte vor den Vertrauensmännern des Kollegiums auch MAD-General Eck. Der Abschirmdienstler konnte vor allem nicht erklären, warum Lüdke, nachdem man ihn schon vorzeitig dem Spionageverdacht konfrontiert hatte, nicht wenigstens anschließend observiert worden war. Es blieb das Odium, einem prominenten Verdächtigen sei eine Sonderbehandlung zuteil geworden.
Und da am Freitag vorletzter Woche auch in der Fragestunde des Bundestages nach den Antworten des Staatssekretärs Adorno vom Verteidigungsministerium viele Fragen offengeblieben waren, beschlossen SPD und FDP, die Fehlleistungen im Fall Lüdke durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß aufhellen zu lassen. Der Ausschuß soll »aus je zwei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und einem Abgeordneten der FDP« bestehen und untersuchen, ob die Sicherheitsorgane der Bundesrepublik »in ihrer gegenwärtigen Organisation, Kompetenzverteilung, personellen und sachlichen Ausstattung ... ihrer Aufgabe gerecht« werden können und was gegebenenfalls geändert werden muß.
Während Bundeskanzler Kiesinger in Spanien reiste und sein Verteidigungsminister Schröder in Locarno unbekümmert Urlaub machte, beschäftigte sich im Berliner Bundeshaus auch das Rumpfkabinett unter Vizekanzler Brandt mit dem toten Admiral.
Und auch in dieser Runde, in der die SPD den Ton angab (sechs SPD-Minister saßen fünf CDU/CSU-Kollegen gegenüber), war man sich einig, daß es nunmehr notwendig sei, »Folgerungen zu ziehen bezüglich der Zuständigkeit in Sicherheitsfragen« (Regierungssprecher Ahlers). Zu deutsch: Das Neben- und Gegeneinander der bundesdeutschen Geheimdienstier und Strafverfolger soll in geordnete Bahnen gelenkt werden.
Schon während der Kanzlerschaft von Ludwig Erhard hatte der damalige Minister für den Verteidigungsrat, Heinrich Krone, einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Während Adenauers Staatssekretär Globke den vom Kanzleramt dirigierten BND und das dem Innenministerium unterstellte BfV fest an der Koordinationskandare gehalten hatte, teilte Volkskanzler Erhard die Abneigung des Durchschnittsbürgers gegenüber der zwielichtigen Arbeit der Geheimdienste.
Erhard pflegte die täglichen BND-Berichte zur Auslandsnachrichtenlage nicht einmal zu lesen. So konnte Minister Krone ohne Rücksicht auf seinen desinteressierten Kanzler fordern: Die Sicherheitsdienste gehören zur Verteidigung; deshalb müssen sie unter einen Hut.«
Unterstützt von dem damaligen Wehrexperten der SPD-Opposition Fritz Erler, gelang es Krone, den Ministerialdirektor Reinhold Mercker, der seit langem für den BND zuständig war, als Staatssekretär in sein Ministerium herüberzuziehen. Krone und Mercker steckten sich freilich fürs erste nur bescheidene Ziele. Sie wollten
* die Zuständigkeit des Kanzleramts für den BND dem Krone-Ministerium übertragen und
* durch regelmäßige gemeinsame Sitzungen der Spitzen aller Dienste für den Austausch der Erkenntnisse, »gewissermaßen als Sekretariat« (Mercker), zur gemeinsamen Auswertung sorgen.
Erhards Kanzleramts-Minister Westrick und sein Ministerialdirektor Hohmann aber fürchteten, daß ihrem Chef dadurch viel Macht verloren gehen könnte, und opponierten.
Mit dem Amtswechsel Erhard/Kiesinger im Herbst 1966 wurde das Krone-Ministerium dann aufgelöst, sein Arbeitsbereich dem Kanzleramt angegliedert. Danach entschlummerten die Koordinationsbestrebungen, und das Eigenleben der verschiedenen Dienste blühte ungehinderter denn je. »Der neue Kanzler«, so klagt der entlassene Minister Krone heute, »hat das Problem nicht gesehen.«
Die Zusammenarbeit der drei Dienste blieb fortan formlos und eher zufällig. »Bis heute«, moniert der FDP-Abgeordnete Dorn, »kann jeder Agent ein und dieselbe Nachricht nacheinander an alle drei Dienste verkaufen, ohne daß der eine merkt, der andere hat das schon.«
Nach der Lüdke-Affäre haben nunmehr Regierungs-SPD und Oppositions-FDP Reformpläne entwickelt, die weiter gehen als alles, was CDU-Krone und sein Mercker je angestrebt hatten. Vor allem der MAD, »Hausdetektiv der Bundeswehr« (Mercker), soll seiner Eigenständigkeit beraubt und fest in die allgemeine Spionage-Abwehr integriert werden. Der SPD-Abgeordnete Hermann Schmitt-Vockenhausen, Vorsitzender im Innenausschuß des Bundestages, plädiert gar für Fusion aller Dienste unter der zivilen Leitung des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz.
Die FDP tritt außer für eine zentrale Verwaltungsspitze und gemeinsame Auswertung aller Erkenntnisse auch für eine intensivere parlamentarische Kontrolle durch einen Sonderausschuß des Bundestages ein. Dorn: »Die Kontrolle ist ein Fulltime-Job, das können die Fraktionsvorsitzenden nicht nebenbei machen.«
Die Freien Demokraten bemühen sich überdies, der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes Exekutivbefugnisse zu verschaffen. Denn eines macht den Beamten der Sicherungsgruppe einen erfolgreichen Abschluß ihrer Ermittlungen oft nahezu unmöglich: Sie dürfen grundsätzlich weder festnehmen oder beschlagnahmen noch durchsuchen, weil die Bundeskriminalisten keine »Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft« sind, und müssen zum Zugriff örtlich Polizisten zu Hilfe holen.
Schon 1961 wollten daher Vertreter aller Fraktionen in das Gerichtsverfassungsgesetz einen Paragraphen 134 b einfügen: »Das Bundeskriminalamt und seine Beamten nehmen die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung wahr, wenn der Generalbundesanwalt oder der Untersuchungsrichter des Bundesgerichtshofs in einer Sache, in welcher der Bundesgerichtshof für die Untersuchung und Entscheidung im ersten und letzten Rechtszug zuständig ist, sie um Vornahme von Ermittlungen ersucht. Die Beamten des Bundeskriminalamts sind insoweit Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ...«
Im Februar 1962 billigte dann das Kabinett diesen Entwurf, weil das Bundeskriminalamt In die Lage versetzt werden solle, »alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten«.
Auch der Bundestag verabschiedete zwei Jahre später die Neuregelung, der Bundesrat aber stimmte nicht zu. Die Ländervertreter erhoben »verfassungsrechtliche Bedenken«, wollten »die Exekutivbefugnisse des Bundeskriminalamts nicht nochmals erweitern« und sahen damals auch kein »praktisches Bedürfnis für die vorgesehene Regelung«. Das gemeinsame Tätigwerden von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Staatsschutzes« behaupteten die Föderalisten, habe sich »durchaus bewährt«.
Am letzten Donnerstagmorgen griff die Bundesregierung den bejahrten Gedanken wieder auf. Um acht Uhr traf sich Frühaufsteher Karl Carstens, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, im kleinen Kabinettsaal mit seinen für Sicherheitsfragen zuständigen Kollegen von Hase (Verteidigung), Gumbel (Innen), Ehmke (Justiz) und Duckwitz (Auswärtiges). Zweieinhalb Stunden lang diskutierte nunmehr die Runde über die Möglichkeiten, dem Ostanrainer Bundesrepublik mehr Sicherheit und Selbstvertrauen zu geben, obwohl die Schwächen des ganzen Systems »seit langem bekannt sind« (Ehmke).
Die Staatssekretäre, die für den Kanzler einen Bericht über die jüngsten Affären und die nötigen Konsequenzen erstellen sollten, kamen überein:
* Die Sicherungsgruppe muß Exekutivrechte erhalten.
* Die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter soll, wahrscheinlich nach Weisung des BfV, besser koordiniert werden.
* Eine engere Zusammenarbeit zwischen Bundesanwaltschaft, Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden ist anzustreben. Bundeskanzler Kiesinger selbst vermochte nach seiner Rückkehr von der Pyrenäen-Halbinsel die Bedeutung des Sicherheits-Debakels kaum zu fassen: »Das ist ungeheuerlich«, stöhnte er. Ein Kanzler-Begleiter hingegen witzelte bei der Ankunft auf dem Flughafen Wahn: »Über Spanien lacht der blaue Himmel, über Deutschland lacht die ganze Welt.«