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ROSENTHAL Kontakt durch Wandern

aus DER SPIEGEL 41/1966

Wie Manager der Rosenthal-Porzellan AG in Selb/Bayern waren vollzählig in Bundhosen und Wanderschuhen angetreten. Chefsekretärin Hannelore Gärtner händigte jedem einen Brief aus, in dem es hieß: »Sie wandern mit Herrn X«.

Am nächsten Morgen - um neun Uhr am vorletzten Sonnabend - verließen 40 Rosenthal-Manager ihre Nachtquartiere auf der Fränkischen Alb. Zu zweit wanderten sie einem idyllischen Zeltplatz in der Nähe von Altmühlmünster im Brunntal zu, »das sich rechtwinklig zum Altmühltal hinter Altmühlmünster erstreckt«, wie Rosenthal-Sekretärin Gärtner in der Wanderanweisung mitgeteilt hatte. Jeder war auf seine Karte und seinen Orientierungssinn angewiesen.

Mit Blücherscher Kühnheit ("Den Finger drauf, das nehmen wir") hatte Sekretärin Gärtner einige Wochen vorher die Spitze eines Zirkels in eine Landkarte 1 : 100 000 gepickt und um Brunntal einen Kreis mit 40 Kilometer Durchmesser geschlagen. 20 Rosenthal-Gruppen hatten das Ziel zu suchen und sich zu beeilen, denn der Spießbraten wird gegen 17 Uhr fertig sein« (Wander-Anweisung).

Philip Rosenthal, 49, Generaldirektor des Porzellankonzerns (Jahresumsatz über 200 Millionen Mark, 5500 Beschäftigte), schickte seine Spitzenkräfte damit zum dritten Male auf Tour. Der Himalaja-Bezwinger, Flieger und Schloßherr, der selbst nur mit sechs Prozent am Kapital der Firma beteiligt ist, will auf diese Weise das Betriebs- und Leistungsklima verbessern.

Er löst ohnehin einen Teil seiner Management-Probleme gern außer Haus. Konzerntagungen finden nicht am Firmensitz in Selb statt. Rosenthal mietet dafür etwa ein kleines Hotel bei Athen ("Morgens arbeiten, mittags schwimmen") oder ein Schiff vor der jugoslawischen Küste. Seine aus aller Welt kommenden Gestalter diskutieren »Probleme des designs« in Lappland, am Nil oder im feudalen Schloß Pommersfelden.

»Durch unverschämtes Glück« Konzernprimus geworden, verfeinert Rosenthal seine Fähigkeit, »auf ihrem Gebiet mir überlegene Mitarbeiter zu finden und zusammenzubringen«.

Im hektischen Alltag der Tassen- und Glasproduktion streben auch seine Manager auseinander: Die Techniker verlangen mehr Geld, als die Finanzdirektoren hergeben wollen, und den Kaufleuten sind die Produkte der Techniker zu teuer. Nach landläufiger Managerregel verbraucht in Westdeutschland jede Führungskraft die Hälfte der Zeit, um am Stuhl einer anderen zu sägen. Rosenthal: »Keiner hat Zeit, Verständnis für seinen Nachbarn aufzubringen.«

Der Philosoph in Bergschuhen und roten Strümpfen meint, daß geplagte Verkaufs-Chefs und Werksleiter einander nur dann näherkommen können, wenn sie vom Geschäft nichts hören und sehen.

»Wandern fördert Kontakte am schnellsten«, fand Rosenthal heraus. »Wer 30 Kilometer einen schweren Rucksack trägt und schwitzt, spricht sich mit seinem Wanderkameraden aus und versteht sich mit ihm, wenn er am Ziel ist.«

Aber die Rosenthaler wanderten nicht nur, sie verirrten sich auch. Die Gruppe Knorr (Verkauf Inland) marschierte zwei Stunden und stand dann wieder am Startpunkt. Die Gruppe Kaltenthaler (Finanzen) watete schimpfend durch die Altmühl und entdeckte erst 100 Meter weiter einen sicheren Steg.

Niemand wagte es, seine müden Füße zu schonen und ein Stück per Anhalter zu reisen. Die einzige Erleichterung, die angekündigt war: Vom Zeltplatz sollten Leuchtkugeln in den Himmel geschossen werden, um Verirrten den Weg zum Spießbraten zu weisen.

Philip Rosenthal und sein Mitwanderer, SPIEGEL-Redakteur Ferdinand Simoneit, trafen als letzte im Brunntal ein: Es war abends halb acht Uhr und längst dunkel.

Chauffeure hatten Zelte aufgebaut, aber die Mannschaft hielt sich lange am Lagerfeuer auf, weil alle die kalte Nacht unter den Zeltplanen fürchteten.

Der »Schöne Böhmerwald« wurde besungen, und Boß Rosenthal führte nach dem Essen sein neuestes Mund-Kunststück vor, das er beherrscht, seit er aus Richtung Persien den Elbrus bestieg. Seine satten Rülpser knallten zielsicher bei der Silbe »Ab«, der Rest »-dullah dullah« hallte im dunklen Bergwald nach. Alle übten »Ab-Dullah dullah«.

Am anderen Morgen setzte sich der Managementphilosoph Rosenthal unrasiert, aber zufrieden ans Steuer seines VW-Busses, um nach Selb zurückzufahren. Er ist überzeugt: »Solche Wanderungen ersetzen viele Sitzungen und offizielle Einladungen.«

Rosenthal-Zeltlager im Brunntal: Leuchtkugeln auf dem Weg zum Bratspieß

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