Kopfschütteln um Sven Hedin
Von »Stockholms Tidningen« ging über United Press die Nachricht in die Aetherwellen und in die Rotationspressen der ganzen Welt: Sven Hedin kann wieder sehen, nachdem er fast erblindet war. Es war eine Neuigkeit mit halbjähriger Verspätung. »Stockholms Tidningen« hatte sie bewußt so lange totgeschwiegen. Die anderen schwedischen Zeitungen berichteten überhaupt nicht darüber. Sie haben den alten Asienforscher schon lange isoliert.
Sven Hedin ist ein einsamer, fast vergessener Mann geworden. Wohl schmückt eine riesige Karte von Zentralasien den Eingangsflur des Hochhauses Norr Mälarstrand 66 in Stockholms »Manhattan«, und auf die andere Wand sind ein tibetanischer Tempel und als Fries eine Kamelkarawane aufgepinselt. Doch es ist lange her, daß Hedin diese kleinen Aufmerksamkeiten seiner Heimatstadt empfing. Selten fährt jetzt der automatische Fahrstuhl einen Besucher bis zum 7. Stockwerk.
Als der zweite Weltkrieg begann, wollten die Schweden mit dem Verfechter des Nazismus und Bewunderer Hitlers nichts mehr zu tun haben. Sein Leben lang ist Hedin Deutschenfreund gewesen. Das störte kaum einen Schweden. Vor 33.
Die Ostasien-Sehnsucht verdankte Hedin seiner Studienzeit in Deutschland. Ferdinand von Richthofen, sein Berliner Geographie-Professor, ist vier Jahre als Forscher durch Zentralchina gezogen.
Kampf den weißen Flecken auf der Landkarte war Hedins Lebensziel. Der Kampf wurde erfolgreich. Innerasien, besonders Tibet, wurde gründlich erforscht, meteorologische Stationen wurden eingerichtet, die Quellen des Indus und des Brahmaputra entdeckt, der bis dahin unbekannte Transhimalaya zwölfmal überquert. Das bis 7000 Meter hohe Massiv heißt ehrenhalber Hedin-Gebirge.
Zur wissenschaftlichen Auswertung der Expeditionen kam Hedins Geschick, populäre Reisebücher zu schreiben. Die drei Bände »Transhimalaya«, »Von Pol zu Pol« und »Rätsel der Wüste Gobi« machten ihn berühmt, in 28 Sprachen. Aber die höchsten Auflagen druckte Brockhaus in Deutschland.
Hedin wurde frühzeitig zum Verehrer der Menschen, die sich schon bei Lebzeiten gern als »große Männer« rühmen ließen. Wilhelm II. gehörte nach seiner Meinung dazu. Sie waren gute Freunde, als der damals schon berühmte Forscher unter kaiserlichem Protektorat die deutschen Weltkriegsfronten bereiste. Seine Bücher »Mit den deutschen Armeen im Westen« und »Der Krieg gegen Rußland« brachten Kopfschütteln im neutralen Ausland. Auch nach Doorn reiste der Schwede.
Im Briefzimmer seiner Stockholmer Wohnung, wo Hedin in riesigen Regalen alle wichtigen Briefwechsel nach Ländern von A-Z geordnet aufbewahrt, ist Wilhelm II. ein eigener Kartei-Kasten vorbehalten. Dicht gefüllt von Briefen und Bildern mit Widmungen in der großen Handschrift des Doorners. Bilder des letzten deutschen Kaisers stehen auch im Fensterbrett, neben Hindenburg und dem blau angemalten Fridericus zu Roß, den die »Reichshauptstadt Berlin« zum 19. Februar 1940 zum 75. Geburtstag schickte.
Tschiang Kai-schek ist nach Hedins Meinung ein anderer »großer Mann«. Oder war es wenigstens 1939, als Hedin ein Buch über den »Marschall von China« verfaßte. Vor allem, weil Tschiang gegen den Bolschewismus kämpfte.
Die Ablehnung des Bolschewismus führte Hedin in die Schar der Anhänger des Nationalsozialismus par distance. Kritik an Hitler läßt ihn noch heute hochfahren: »Hitler war ein Kerl! Er hat Deutschland in kurzer Zeit so groß gemacht, daß die feindlichen Mächte sechs Jahre brauchten, um es zu vernichten.« Jetzt würden so viele Lügen über den Führer verbreitet, meint Hedin.
Früher hätten auch angelsächsische Politiker Hitler bewundert. Und mit jugendlich-flinken Schritten läuft der kleine 83jährige Herr an eines seiner vielen hohen Bücherregale und fischt den Band »Great Contemporaries"*) heraus. Mit etwas maliziösem Lächeln schlägt er das Kapitel auf, wo Churchill seitenlang Hitler »with admiration« betrachtet.
Adolf Hitler war für Sven Hedin der Deutscheste aller Deutschen. Dies ist um so erstaunlicher, als der Sohn des Stockholmer Chefarchitekten Ludwig Hedin von seiner Mutter Anna Berlin jüdisches Blut geerbt hat. Und Sven Hedin war für Hitler und seine Trabanten das gute Aushängeschild mit einem Namen von internationalem Klang.
Außer einem eigenhändig signierten Bild Hitlers in rotlederner Schatulle mit eingeprägtem NS-Adler bewahrt der Forscher auch eine ganze Anzahl weißer Bütten-Briefumschläge im Hitlerschen Mammutformat auf. Einer ist ihm besonders teuer, vom Oktober 1942 aus dem Führer-Hauptquartier.
Hitler hatte drei Tage nach Empfang der Hedinschen Neuerscheinung »Amerika im Kampf der Kontinente« bereits das Buch gelesen. In einem langen Brief bedauerte er die Entwicklung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Denn im Grunde gehe es doch nur um den Kampf gegen den Bolschewismus, der das Abendland bedrohe.
Hedin war oft in NS-Deutschland, wohnte stets im »Kaiserhof«, traf Hitler bei der Olympiade, hörte ihn in der Deutschland-Halle für die Winterhilfe werben und konnte ihn jederzeit in der Reichskanzlei besuchen.
Doch sein 1937er Buch über das Dritte Reich »Deutschland und der Weltfriede«
*) »Great Contemporaries« (Große Zeitgenossen) von Winston Churchill, 1937 bei Thornton Butterworth Ltd. erschienen. durfte von seinem deutschen Verleger Brockhaus nicht ausgeliefert werden. Funk, damals Staatssekretär im Propagandaministerium, schrieb nach Stockholm: »Wir verbieten das Buch nicht. Aber wir werden selbst die Auflage und den Tag der Herausgabe bestimmen.« Es kam niemals. Die zehn anstößigen Seiten Hedin-Kritik der nazistischen Kirchen-, Juden- und Jugendpolitik wollte der Schwede nicht umschreiben.
Im Oktober 1939 bat er aus eigener Verantwortung Hitler, Finnland gegen die Sowjets zu helfen. Der lehnte ab, »aus diplomatischen Gründen«.
Ueber seine Gespräche mit Hitler, »ganz objektiv gesehen«, über Stimmung und Lage im Berlin der ersten Kriegsjahre schrieb Hedin jetzt das Buch: »Ohne Auftrag in Berlin«. Schwedische Verleger lehnten ab. Brockhaus schrieb ihm, die Zeit sei noch nicht reif dafür. Doch in Buenos Aires wird es gedruckt, beim Dürer-Verlag in Deutsch und Spanisch.
Auch die USA haben ein historisches Interesse daran, Hedins Hitler-Erfahrungen zu importieren. Das einzigartige kartographische Material vom Kaspischen bis zum Gelben Meer kaufte das amerikanische State-Department sowieso mit Freuden.
Die langen Jahre der Isolation gaben Hedin Zeit, das Lebenswerk zu ordnen. Dabei entstanden Essays, 57 an der Zahl, über geschichtliche Persönlichkeiten, mit denen Hedin engeren Kontakt hatte. Kaiser, Könige, Päpste, große Feldherren, Wissenschaftler, beginnend mit König Karl XV. Als der, norwegischer Monarch, Schriftsteller und Maler, 1872 starb, war der Forscher in spe sieben Jahre alt.
Die eigene Bücher-Produktion soll noch weitergehen. »The Sino-Swedish-Expedition 1927-35« steht auf dem Rücken von 30 großformatigen schwarzen Büchern. Aber 25 Bände sollen noch unter dem gleichen Titel erscheinen. Dann erst ist die wissenschaftliche Auswertung der letzten Hedin-Expedition durch Zentralasien beendet. Drei Bände über die Geschichte der Expedition schrieb er selbst. Die anderen verfaßten seine Mitarbeiter, Wissenschaftler aus Schweden, China und Deutschland.
In den letzten Jahren ließ Hedins Sehkraft mehr und mehr nach. Die treue Alma, ein Leben lang an der Seite des unverheirateten Bruders, tat alles für ihn. Denn selbst die scharfglasige Brille, die den traditionellen Klemmer auf der Hakennase abgelöst hat, half nicht mehr. Bis sich der alte Mann im Juni 1948 den Star operieren ließ.
Der Mensch Hedin wurde isoliert. Auf den Wissenschaftler Hedin aber sind die Schweden stolz. Der Ehrendoktor von Cambridge, Upsala, Heidelberg und München blieb eines der 18 ehrenvollen Mitglieder der Schwedischen Akademie. Als Zeichen königlicher Huld kam 1948 wieder ein Bild mit Grüßen von König Gustaf.