Korruptionsskandal Transparency knöpft sich EU-Abgeordnete vor

Europaparlament in Brüssel
Foto: Mark Renders/ Getty ImagesTransparency International (TI) hat scharfe Kritik an der Reaktion des Europaparlaments auf den Korruptionsskandal geübt. Nick Aiossa, Vizedirektor der Organisation, hat in einer Anhörung vor Abgeordneten die geplanten Reformen als unzureichend bezeichnet und eine »Kultur der Straflosigkeit« bei Verstößen gegen Transparenz- und Ethikregeln beklagt.
Hintergrund ist der Skandal um mutmaßlich bestochene Parlamentarier, Koffer voller Bargeld und manipulierte Ausschusssitzungen, der Anfang Dezember letzten Jahres mit der Verhaftung der damaligen Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili ins Rollen.
Aiossa, der früher selbst im Europaparlament tätig war, sprach am Donnerstag in der Sitzung eines Sonderausschusses zur ausländischen Einflussnahme auf demokratische Prozesse in der EU, der schon vor dem Skandal eingerichtet wurde. Aiossas zehnminütige Rede geriet zu einer Generalabrechnung mit den Zuständen im Europaparlament.
»Kultur der Straflosigkeit«
»Das ist kein Lobbyskandal, sondern ein Korruptions- und Bestechungsskandal«, sagte Aiossa. »Dem sollte die Antwort des Europaparlaments entsprechen.« Doch das sei nicht der Fall. Der 14-Punkte-Plan für Reformen etwa, den Parlamentspräsidentin Roberta Metsola kürzlich vorgestellt hatte, sei ein Schritt in die richtige Richtung, gehe aber nicht weit genug.

Parlamentspräsidentin Metsola
Foto: JULIEN WARNAND / EPASo seien Whistleblower nach wie vor unzureichend vor Nachteilen geschützt, wenn sie auf Missstände aufmerksam machten. Die Schutzmechanismen des EU-Parlaments seien nicht nur schlechter als die im Rat der Mitgliedsländer und der EU-Kommission. »Sie gehören zu den schwächsten in der gesamten EU«, sagte Aiossa. Dabei könne das Parlament bessere Mechanismen jederzeit selbst einführen, ohne die Zustimmung von Rat oder Kommission zu benötigen.
Das größte Problem sei jedoch das Verhalten der Abgeordneten selbst. Die ohnehin schwachen Ethikregeln würden kaum befolgt, auch weil Verstöße so gut wie nie geahndet würden. Das liege vermutlich auch daran, dass Strafen von Präsidentin Metsola ausgesprochen werden müssten, was offenbar auch »aus politischen Gründen« unterbleibe. Eine unabhängige Aufsicht über die Einhaltung der Ethikregeln existiere ebenfalls nicht.
Das Ergebnis sei eine »Kultur der Straflosigkeit«, sagte Aiossa. Wie wenig die Regeln bisher befolgt wurden, lasse sich auch daran ablesen, dass nach dem Beginn des Korruptionsskandals plötzlich diverse Abgeordnete Reisen und Geschenke nachgemeldet hätten. Diese Kultur werde kaum verschwinden, »solange es kein Sanktionsregime mit abschreckender Wirkung gibt«. Auch Metsola hat kürzlich mehr als hundert Geschenke und fünf Reisen nachträglich öffentlich gemacht.
Wenn es um den Kampf gegen Betrug, den Schutz von Whistleblowern und der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Ländern gegangen sei, »haben Sie immer zu unseren größten Unterstützern und Fürsprechern gehört«, sagte Aiossa den Abgeordneten. »Leider gehörten Sie zu unseren größten Gegnern, wenn es darum ging, diese Standards sich selbst aufzuerlegen.«
Den Bedarf an schärferen Regeln sehen zudem nicht alle im EU-Parlament – nicht einmal in Metsolas eigener Parteienfamilie, der christdemokratischen Europäischen Volkspartei. Angelika Niebler etwa, Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe, sagte kürzlich, sie sehe »keinen großen Nachholbedarf« beim Regelwerk. Sie kenne auch kein Parlament, das so transparent sei wie das europäische. Schärfere Regeln hätten den Skandal nicht verhindert, sagte die CSU-Politikerin.

Mutmaßlicher Drahtzieher Panzeri
Foto: STEPHANIE LECOCQ / EPARaphaël Glucksmann, Vorsitzender des Sonderausschusses für ausländische Einflussnahme, klang in der Sitzung am Donnerstag beinahe resigniert. Seit mehr als zwei Jahren warne das Gremium vor den »systemischen Defiziten« beim Schutz vor dem Einfluss »extrem reicher autokratischer Regime« – offenbar ohne Erfolg. Fremder Einfluss könne viele Formen annehmen, sagte der französische Sozialdemokrat. »Dieses Mal waren es Koffer voller Geld.«
Der Korruptionsskandal dürfte das Parlament indes auch über die kommenden Wochen beschäftigen. Der italienische Ex-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri, mutmaßlicher Kopf des Korruptionsnetzwerks, hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine Kronzeugenregelung angenommen und im Austausch gegen Strafmilderung eine umfangreiche Aussage angekündigt. Nach Angaben von Eva Kailis Anwalt Michalis Dimitrakopoulos werde Panzeri demnächst Abgeordnete aus Frankreich, Belgien, Italien belasten – und erstmals auch welche aus Deutschland.