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ISRAEL Kosaken Gottes

Der Rücktritt des Außenministers Dalan stärkt Falken und religiöse Fanatiker im Kabinett Begin. Doch in der Bevölkerung stoßen sie auf Widerstand. Ist nun Begin in Gefahr?
aus DER SPIEGEL 44/1979

Im Krankenbett, vor ein paar Monaten, hatte Mosche Dajan einen Traum. Auf der Flucht vor Unbekannten versuchte er, neben dem Friedhof seines Heimatdorfes Nahalal, einen Berg zu erklimmen:

»Ich träumte von Zuflucht in einer kühlen Höhle. Ich wollte meine leidige Last abschütteln. Ich fühlte mich physisch fertig und mußte 16 Stunden täglich arbeiten, bis zur totalen Erschöpfung.«

Enttäuscht, müde, krank, erfüllt sich der einäugige Kriegsheld, zu Lebzeiten schon Mythos für die Juden in aller Welt, am vorletzten Sonntag seinen Traum: Nach 853 Amtstagen als Außenminister schüttelte Dajan die »leidige Last« ab.

Mitten in einer Morgen-Sitzung des Kabinetts erklärte er abrupt seinen Rücktritt -- und warf damit einen anderen Patienten aufs Krankenbett: die seit langem schon gebrechliche Regierung des ebenso maladen Ministerpräsidenten Menachem Begin.

Denn mit Dajan ging der Mann, der vielen Israelis, Arabern und Amerikanern die einzige Gewähr schien, daß die Friedensvereinbarungen von Camp David nicht nur Vereinbarungen auf dem Papier blieben.

Der Premier hatte sich vom Schock der Dajan-Demission noch nicht erholt, da traf ihn ein zweiter Schlag: Einstimmig erklärte Israels Oberstes Gericht die israelische Westjordanien-Siedlung Elan Moreh unweit von Nablus für rechtswidrig und verfügte die Räumung innerhalb von 30 Tagen.

Es war eine bittere persönliche Niederlage für Begin, denn die intensive Besiedlung Westjordaniens war -- und ist wohl immer noch -- eines seiner vordringlichsten Ziele.

Und Elan Moreh war ein Symbol: Vor vier Jahren hatten sich dort etwa hundert Mitglieder der erzkonservativen Gusch-Emunim-Bewegung niedergelassen; die Bauern des arabischen Dorfes Rubej, denen ein Teil des Geländes gehörte, wurden kurzerhand vom israelischen Staat enteignet. Begin 1977 bei seinem Amtsantritt: »Es wird noch viele Elan Moreh geben.«

Elan Moreh jedoch und damit die gesamte Besiedlungspolitik der Israelis wurde zur Überlebensfrage für Begins Kabinett und zum Haupthindernis für die Erfüllung des Vertrages von Camp David.

Dort hatten die Israelis einer arabischen Autonomie auf dem Westufer des Jordan zugestimmt -- aber, so interpretierten sie später, nur unter ihrer Oberhoheit.

Masche Dajan, dessen »Geduld und Pragmatismus, Zähigkeit und Originalität mehrmals das Camp-David-Treffen retteten« (so der amerikanische Außenminister Cyrus Vance), lehnte diese Farm von Autonomie jedoch entschieden ab.

Anders als die meisten seiner Kabinettskollegen erkannte er bald, daß sich Israel mit jeder neuen Siedlung weiter von seinen Verbündeten im Westen entfremdete und daß schließlich, aufgrund der westlichen Reaktion, auch in Israel das Verständnis für die Palästinenser zunahm.

Israel, dozierte Dajan immer häufiger, müsse mehr Flexibilität und Friedfertigkeit gegenüber den legitimen Interessen des palästinensischen Volkes aufbringen.

Er selbst suchte den Dialog zumindest mit den gemäßigten Palästinenstern. Schon Anfang des Jahres sprach er vom »politischen Wert« der PLO. Die Entrüstung im eigenen Land suchte er mit der Bemerkung zu besänftigen, er habe sich auf englisch versprochen.

Unmißverständlich aber war, daß sich Dajan ein halbes dutzend Mal mit extremistischen Palästinensern in Westjordanien traf. Einer dieser Gesprächspartner, der PLO-Parteigänger Chamsi Natsche aus Hebron, zollte dem Israeli öffentlich Anerkennung: »Dajan bleibt ein Gegner, aber er versteht uns.«

Er verstand auf jeden Fall, daß der Frieden mit Ägypten ohne glaubwürdige Fortschritte in den Autonomie-Verhandlungen brüchig bleiben und daß jede Autonomie ohne palästinensische Beteiligung sinnlos sein würde.

Wenn Israel mit Demonstrationen, einseitigen Gesten seinen guten Willen unter Beweis stelle, so Dajan, dann sei eine Einigung mit den Westufer-Palästinensern innerhalb eines Jahres durchaus denkbar: »Sie lieben uns nicht, aber sie brauchen uns. Sie wissen, daß sie uns nicht bezwingen können, und sind deshalb zur Koexistenz bereit.«

Solche Töne gingen Begin und den klerikalen Scharfmachern in seiner brüchigen Regierungskoalition entschieden zu weit. Kurzerhand übertrug Begin die Federführung für die Autonomie-Gespräche ausgerechnet dem religiös-nationalen Innenminister Josef Burg, einem Exponenten der fanatischen Siedlungspolitik des außerparlamentarischen Gusch-Emunim-Blocks. In Burgs Augen kommt »jede nochmalige Zweiteilung der Urheimat des jüdischen Volkes« einer Gotteslästerung gleich.

Dajan fühlte sich isoliert, »ein Fremder unter Fremden«, nur noch widerwillig nahm er seit Wochen an Kabinettssitzungen teil: »Was ich tun wollte, konnte ich nicht tun, was ich tun konnte, wollte ich nicht.«

Da gab es für einen Mann mit der Selbsteinschätzung Dajans ("Ich lasse mich nicht zum Minister für diplomatische Empfänge oder Cocktail-Parties degradieren") nur noch einen Ausweg -den Rücktritt.

Vor knapp vier Wochen schon hatte er seine Demission einreichen wollen -- in letzter Minute konnte ihn Begin zum Bleiben bewegen.

Doch als dann die Siedlungs-Ideologen um Innenminister Burg und Landwirtschaftsminister Scharon im Kabinett forderten, Israel müsse weiteren arabischen Privatbesitz enteignen, machte Dajan endgültig ernst.

Im Kabinett wird nach dem »Erdbeben in Israel« ("Le Figaro") vermutlich der Einfluß der konservativen, vaterländisch gesinnten Ultras wachsen -- aus Schwäche allein schon dürfte sich die Regierung Begin betont starr, also unversöhnlich, geben.

Doch ein Rechtsruck ist derzeit in Israel weniger populär denn je. Schon am Vorabend der Dajan-Demission demonstrierten in Tel Aviv hunderttausend Anhänger der »Peace now«-Bewegung gegen die Siedlungspläne der Gusch Emunim, der »Kosaken Gottes«, wie der Wirtschaftswissenschaftler Ren Porath sie nannte.

Vor allem aber sind auch in der Knesset immer weniger Abgeordnete bereit, dem starren Kurs Begins zu folgen. Zwar lavierte er sich in der vorigen Woche noch einmal durch fünf Mißtrauensanträge der Opposition.

Aber die Mehrheit seiner Koalition ist bereits von 78 auf 63 Stimmen zusammengeschrumpft -- in einem Parlament, das 120 Abgeordnete zählt. Und zehn weitere Knesset-Mitglieder stehen angeblich schon bereit zum Absprung aus dem Regierungslager.

Die Jerusalemer Abendzeitung »Jedioth Acharonoth«, dem Premier durchaus wohlgesonnen, sagte schonungslos: »Die Regierung wurde nur dank der Koalitionsdisziplin gerettet. Im Volk hat sie keine Mehrheit mehr.«

Auf die Zukunft der Regierung Regin nehmen denn auch inzwischen sogar Kabinettsmitglieder keine Wetten mehr an. Schon drohte der Expansionist Scharon, auch er werde zurücktreten, wenn Regin wirklich dem Spruch des Obersten Gerichts nachkomme und Elon Moreh räumen lasse.

Doch Begin kann es sich nicht leisten, von aller Welt als Rechtsbrecher angeprangert zu werden. Vermutlich wird der Jurist Begin also Zuflucht zu einer juristischen Spitzfindigkeit suchen, um einen weiteren Aderlaß zu verhindern.

Befragt, ob die Regierung überhaupt noch lebensfähig sei, kommentierte Verteidigungsminister Ezer Weizman vielsagend: »Comme ci, comme ca.«

Den einzigen Ausweg aus der Krise sehen sogar zunehmend mehr Regierungsanhänger in vorgezogenen Wahlen. Als Zeitpunkt visieren Begins Parteifreunde den März 1980 an. Denn kurz zuvor, am 26. Februar, werden Israel und Ägypten, wie vereinbart, erstmals Botschafter austauschen -- ein Ereignis, das die Regierung als Erfolg verbuchen wird.

Die Ägypter haben für einen Umschwung in Israel schon einen konkreten Wunsch angemeldet. »Begin hat seine Rolle gespielt«, schrieb die Kairoer Zeitung »El-Achbar«, »jetzt kann er abtreten. Nein, er muß das sogar, um demjenigen die Führung zu überlassen, der mit der neuen Sachlage am besten fertig wird.«

Das kann, »EI-Achbar« läßt da keinen Zweifel, nur ein Mann sein: Mosche Dajan.

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