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TELEGRAPHIE Krach im Kabel

aus DER SPIEGEL 7/1963

Mit Hilfe einer Verordnung, die in Zeiten des Dritten Reiches erging, möchte Bonns Postminister Richard Stücklen seine jüngst erlangte Vormachtstellung in der Kölner Deutsch -Atlantischen Telegraphengesellschaft (DAT) zementieren.

Kurz vor der Jahreswende verlangte er von Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Gerhard Kienbaum, der Minister möge gemäß Paragraph 11 der »Dritten Durchführungsverordnung zum Aktiengesetz« vom 21. Dezember 1938 die freien Stammaktionäre der Telegraphengesellschaft daran hindern, das der Bundespost zustehende mehrfache Stimmrecht bei der DAT zu beseitigen.

Trotz eines Aktienpakets von nur 20 000 Mark Nominalkapital, das sind 0,4 Prozent des DAT-Kapitals von 5,11 Millionen Mark, hat die Post auf der Hauptversammlung das größte Stimmgewicht. Grund: Jede ihrer Vorzugsaktien gewährt ein 255faches Stimmrecht, mithin stehen 51 000 Stimmen der Post nur 50 900 Stimmen der übrigen Stammaktionäre gegenüber. Die freien Anteilseigner wollen der Post das Stimmwunder nunmehr durch Hauptversammlungsbeschluß entwinden.

Absatz 2 des Paragraphen 11 der Durchführungsverordnung zum Aktiengesetz ermächtigt jedoch »die Minister« - damals des Reiches, nunmehr der Länder -, die Beibehaltung von Mehrstimmrechtsaktien auch gegen den Wunsch der übrigen Aktionäre anzuordnen, wenn »das Wohl der Gesellschaft oder gesamtwirtschaftliche Belange es fordern«.

Stücklens Bundespost hatte das umstrittene Aktienpaket der Deutsch -Atlantischen Telegraphengesellschaft im November vergangenen Jahres erworben, mithin kurz bevor CSU-Parteifreund und Schatzminister Werner Dollinger die weitere Privatisierung von Bundesbeteiligungen zum Wohle der christdemokratischen Gesellschaft ankündigte.

Initiator des Kölner Unternehmens war der legendäre Generalpostmeister von Stephan, der 1899 Großbankiers und Kabelhersteller zur Gründung der DAT veranlaßte. Stephan wollte vom britischen Seekabelmonopol unabhängig werden und verhieß den Aktionären neben nationalem Ruhm einen guten Profit.

Seine Prophezeiung ging in Erfüllung. Schon 1905 hatte das Unternehmen 9500 Seemeilen Meeresgrund mit seinen Telegraphiekabeln überzogen. Zwei Linien führten von Emden über die Azoren nach New York; eine weitere Leitung, von Emden nach Vigo in Spanien, übernahm die DAT von einer Konkurrenzgesellschaft.

Die Versailler Verträge setzten dem Interkontinentalen Vormarsch der DAT zunächst ein Ende. Bis auf kurze Stümpfe in der Nordsee und im Kanal verlor die Stephan-Gesellschaft ihren gesamten Kabelbesitz. Dafür aber gelang es ihr, drei noch ärger angeschlagene Telegraphiefirmen aufzukaufen.

Vom Jahre 1924 an ließ die DAT von Emden aus wieder ihre Drähte spielen: zunächst nach Großbritannien, später nach den Azoren und 1929 schließlich nach Vigo. Den nordamerikanischen Kontinent erreichte sie freilich nicht mehr. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, kappten die Alliierten gleich zu Beginn die Leitungsstränge.

Heute verfügt die Kölner Telegraphengesellschaft wieder über ihre Kabel nach Vigo und den Azoren, außerdem über acht Stränge des neuen internationalen Transatlantikkabels TAT 2 nach den USA, an dem die Bundespost beteiligt ist.

Das zweite Comeback der Stephan -Gründung wirkte sich auch auf die Coupons der etwa 1000 Stammaktionäre aus. Im vergangenen Jahr bekamen sie zehn Prozent Dividende und außerdem einen Bonus von drei Prozent. Für das laufende Geschäftsjahr erwartet DAT -Chef Professor Gladenbeck sogar noch mehr Gewinn.

Auch die von den USA geplante Installierung des sogenannten Syncom -Systems - ständige Fernmeldeverbindung zwischen den Kontinenten durch Erdsatelliten - vermag den Optimismus des Professors nicht zu trüben. Nach Meinung des DAT-Vorstandes bleiben die soliden Unterseekabel konkurrenzfähig. Gladenbeck: »Das 1959 verlegte Kabel kann nur 36 Gespräche gleichzeitig übertragen, ein gegenwärtig verlegtes 128 Gespräche, ein bereits fertig entwickeltes Kabel aber schon 400 bis 500 Gespräche gleichzeitig.«

Professor Dr. Dr. Friedrich Gladenbeck stieß erst im Herbst 1959 zu den Kölner Kabellegern. Aus »gesundheitlichen Gründen' hatte er zuvor seinen Posten als Staatssekretär im Bundespostministerium verlassen, um einen strapaziösen Job im Vorstand des geplanten Kanzler-Fernsehens anzutreten. Als das Bundesverfassungsgericht dem Kanzler jegliche Television in eigener Sache untersagte, gewährte die DAT dem Postpensionär Asyl.

Diese Personalinvestition zahlte sich für die Gesellschaft aus. In einem komplizierten Schiedsgerichtsverfahren - es kam aufgrund eines 1950 zwischen der Post und der DAT geschlossenen Vertrages in Gang - setzte Gladenbeck durch, daß die Bundespost der DAT acht Leitungen des neuen Transatlantik-Telegraphenkabels vermietete. Somit konnte die Firma endlich wieder im Nordamerikageschäft Fuß fassen. Gleichzeitig sagte Postminister Stücklen zu, die Post werde künftig ihre sämtlichen Kabeltelegramme durch DAT -Drähte nach Nordamerika befördern lassen.

Nachdem Gladenbeck der Post jene acht Telegramm-Kanäle entwunden hatte, gedachte Stücklen sich des Unternehmens durch Ankauf der Vorzugsaktien zu versichern.

Im Herbst vergangenen Jahres trat das Ministerium an den Besitzer des Aktienpakets, die Kölner Drahtfirma Felten & Guilleaume Cariswerk AG, heran und bat um Herausgabe der hochwertigen Papiere mit dem 255 fachen Stimmrecht. Da die Bundespost der mit Abstand größte Kunde von Felten & Guilleaume ist, war der Wunsch des Ministers den Kölner Kabelfabrikanten Befehl. Später tarnte Stücklens derzeitiger Staatssekretär

Professor Dr. Karl Herz, die Transaktion mit der Behauptung, Felten & Guilleaume hätten ihr Paket angesichts der bedrohlich aufkommenden Satelliten-Telegraphie veräußern wollen.

Der Einbruch des staatlichen Monopolunternehmens in das private Telegraphen-Reservoir rief die Düsseldorfer Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. auf den Plan. Noch im November vergangenen Jahres verlangte sie namens der etwa 1000 Stammaktionäre die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung, auf der über die Abschaffung der Vorzugsaktien abgestimmt werden solle.

Nach Paragraph 8 der Dritten Durchführungsverordnung zum Aktiengesetz können nämlich die Aktionäre mit 75 prozentiger Kapitalmehrheit - also auch ohne Stimmenmehrheit - sämtliche Vorzugsaktien der Gesellschaft einziehen lassen oder deren Vorzugsstimmrecht beseitigen. Lediglich wenn das Wohl der Gesellschaft oder gesamtwirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen, kann der Wirtschaftsminister des zuständigen Bundeslandes die Beibehaltung des Mehrstimmrechts verfügen.

DAT-Chef Professor Gladenbeck ist jedoch zuversichtlich, daß Nordrhein -Westfalens Wirtschaftsminister Kienbaum von dieser Ausnahmebestimmung des aus der Nazizeit stammenden Aktiengesetzes keinen Gebrauch machen wird. Minister Kienbaum hat der Post bereits mitgeteilt, die bisher von ihr vorgetragenen Gründe reichten für eine Beibehaltung des Mehrstimmrechts nicht aus.

Neuerdings haben Stücklens Postbeamte deshalb zur Selbsthilfe gegriffen. Sie drängten den ebenfalls in Köln ansässigen Gerling-Konzern, dem ein DAT-Paket im Nennwert von drei Millionen Mark gehört, die übrigen Stammaktionäre bei der Abstimmung über das Vorzugsstimmrecht im Stich zu lassen.

Sollten aber, so bedeutete das Ministerium dem DAT-Großaktionär, die posteigenen Vorzugsaktien durch Mehrheitsbeschluß abgeschafft werden oder ihres 255fachen Stimmrechts verlustig gehen, wolle die Post auf der nächsten Hauptversammlung die Stammaktionäre das Gruseln lehren. Eine fachmännisch aufgemachte Post-Expertise, die dem Unternehmen eine schlechte Prognose stelle, so deuteten die Postoberen an, würde die freien Aktionäre in Scharen zum Verkauf treiben. Der zu erwartende Kurssturz würde den Wert des Gerling-Pakets erheblich schmälern.

Stücklens Herz frohlockte bereits: »Ich glaube nicht, daß die erforderliche Dreiviertelmehrheit zustande kommt.«

Telegraphie-Manager Gladenbeck

Auf dem Grund des Allantik...

... ein Postmonopol?: Kabelverlegung auf dem Atlantik

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