NPD Kräftig mitgeschaukelt
Durch Frankfurts Straßen paradierten die Spielmannszüge »Fürst Bismarck« und »Nordgau Hans-Ulrich Rudel«. Schwarz-weiß-rote Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen, bewegten sich an die 5000 Rechtsradikale zum »Deutschlandtreffen« der NPD, darunter 200 Ordner und eine »Eingreifreserve« von 150 völkischen Muskelmännern, klar zum Gefecht gegen »Rotfront«.
Derweil hatten unter den Gegendemonstranten in Frankfurts Innenstadt härteste Kader verschiedener K-Gruppen Stellung bezogen, die Stahlkugeln, Steine, Latten, Jauche-Beutel bereithielten, um »Nazis raus aus der Stadt« zu katapultieren.
800 Polizeibeamte konnten zwar mit Tränengas und Schlagstock das Allergröbste vermeiden, einen Links-Rechts-Aufprall mit Schwerverletzten und Toten. Aber es reichte, vorletzte Woche am 17. Juni, immer noch zu »chaotischen Zuständen« und den »schwersten Ausschreitungen seit Jahren«, wie Polizeichef Knut Müller hinterher sagte.
Linke und rechte Militante hätten sich »gegenseitig hochgeschaukelt«, urteilte Frankfurts OB Walter Wallmann (CDU). dessen Stadtverwaltung sich vergebens bemüht hatte, das NPD-Spektakel zu verbieten. Kräftig mitgeschaukelt hatten aber auch
* das Verwaltungsgericht mit seinem Beschluß, die Kundgebung dennoch zu gestatten -- obwohl die NPD-Veranstaltungen in Frankfurt und anderswo meist für Rabatz sorgen und die Zwischenfälle vom 17. Juni mithin programmiert waren,
* die Polizei, die der NPD den gerichtlich festgelegten Zugang zum Kundgebungsort Römerberg erst verwehrte, nachdem sie dort Hunderte von Gegendemonstranten fortgeprügelt und dadurch das heiße Klima noch aufgeheizt hatte. Zwar: Was sozialdemokratische Stadtpolitiker im Zorn einen »Persilschein« für die NPD nannten, den Schutzbeschluß des Frankfurter Verwaltungsgerichts, zeigt nur aufs neue eine vertraute Misere der Justiz; sie hat der NPD, deren Verbot von Politikern in Bund und Ländern nie ernsthaft betrieben wurde, rechtsstaatlichen Schutz zu gewähren wie jeder anderen zugelassenen Partei. Und da die Nationalen mit Mietrecht wie Versammlungsparagraphen stets wachsam verfuhren, gelang es ihnen seit den sechziger Jahren immer wieder, ihre Auftritte gegen behördlichen Widerstand vor Gericht durchzufechten. Stets aufs neue hatte die Polizei solchen Gerichtsentscheiden zu folgen, formaljuristisch korrekt bis hin zum Einsatz von Gewalt.
Dennoch lieferten die Frankfurter Ereignisse ein Lehrstück für die Bürokratenstarre von Richtern und Polizeiführern iii einer Situation, die politische Phantasie verlangt hätte. Denn daß das »Deutschlandtreffen« mit einem Eklat enden würde, hätte allen Beteiligten klar sein sollen. Zur rechten Parolenschau ("Macht Frankfurt wieder nationalsozialistisch") war der Auftritt ultralinker Knüppelgarden unvermeidlich -- zu verlockend die Gelegenheit, die vorgebliche Komplizenschaft von Neonazis und Polizeikräften hervorzuknüppeln, Motto: »Deutsche Polizisten helfen den Faschisten«.
Überdies hat der handgreifliche Ärger mit den Vaterländischen speziell in Frankfurt schon Tradition. Hier krachte es 1969 bundesweit, als die NPD erstmals Schlägertrupps als Ordner einsetzte. Beim letztjährigen Kampftag der NPD zum 17. Juni waren wieder rechte Rowdies aufgetreten. Sie machten Jagd auf Gegendemonstranten, es setzte Prügel für Politgegner wie Polizei.
Mit der Brutalitätenliste des Vorjahrs belegte denn auch die Stadt ihr Veranstaltungsverbot: Eine »Steigerung der seinerzeit festgestellten Ausschreitungen« sei zu erwarten, die NPD, deren »Ordner sich aggressiv an Ausschreitungen beteiligten«, sei »nicht in der Lage oder nicht gewillt«, dem Einhalt zu gebieten.
Mit dem Versammlungsverbot vom 29. Mai hatte die Stadt ihre Möglichkeiten erschöpft -- den Schlüssel zur Schlacht lieferten erst die Richter.
Die in der Verbotsverfügung der Stadt angeführte Vielzahl von NPD-Exzessen tat die Vierte Kammer des Frankfurter Verwaltungsgerichts als »Einzelfälle« ab, »nicht prägend« fürs Geschehen. Absonderlich auch die richterlichen Schlußfolgerungen aus den 77er Übergriffen der Neonazis während des ungeordneten Abmarsches. Da die NPD diesmal auch den Rückmarsch ordentlich festgelegt und angemeldet hatte, sei, so das Gericht, »hinreichende Vorsorge« gegen vergleichbare Störungen getroffen. Und, nebenbei: »Die Polizei hat nunmehr von Anfang an Kenntnis von den Vorstellungen der Veranstalterin und kann sich darauf entsprechend einstellen.«
Selbst dann aber, wenn die »öffentliche Sicherheit und Ordnung« nicht durch die NPD selbst gefährdet war: Ein Versammlungsverbot wäre damit keineswegs zwangsläufig ausgeschlossen gewesen.
Für die Verfasser des renommierten Demonstrationsrechtskommentars Dietel/Gintzel beispielsweise ist ein Verbot auch dann gerechtfertigt, wenn die Gefährdung »nicht von der Versammlung, sondern von politischen Gegnern ausgeht": Typisches Beispiel der Kommentatoren: »Wenn eine linksradikale Gruppe gegen die Veranstaltung einer rechtsradikalen Partei eine Gegendemonstration angekündigt hat.«
Wie eine Umschreibung der Frankfurter Situation liest sich auch die inoffizielle Bonner Erläuterung im »Deutschen Bundesrecht« zur einschlägigen Vorschrift, dem Paragraphen 15 des Versammlungsgesetzes. Danach kann ausnahmsweise ein Verbot
auch bei Störungen von dritter Seite erfolgen wenn die Polizei auch bei Ausschöpfung aller zumutbaren Möglichkeiten zur Verhinderung der Störung nicht imstande ist oder wenn durch den Schutz der Versammlung die daraus entstehenden Folgen eine unverhältnismäßig größere Störung oder Erschütterung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entstehen würde als durch das Verbot der Versammlung.
Frankfurts Richter mögen solche Ausnahmen nicht machen. Bleiben sie ihrer Rechtsprechung treu, das Sicherheitsrisiko lediglich am Verhalten der NPD zu messen, steht der Stadt-übers Jahr am nächsten 17. Juni noch eine Schlacht bevor. Torsten Schiller, Chef der Ordnungsbehörde resigniert: »Mit dem nächsten Verbot werden wir vor Gericht wohl wiederaufgehoben.«