KRANK VOR ANGST VERKRIECHEN SICH DIE EUROPÄER
»Willkommen, liebe Touristen, im Lande der Gastfreundschaft«, grüßt eine der großen Werbetafeln an der Flughafen-Straße von Kinshasa, »besuchen Sie das Landesinnere und besichtigen Sie malerische Wasserfälle, Pygmäen und brodelnde Vulkane.«
Im Kongo spielten Symbole schon immer eine Rolle. Als die Armee im Juli 1960 meuterte -- wenige Tage nachdem der Kongo unabhängig geworden war -- und die meisten Belgier zum Flughafen und zur Kongo-Fähre flüchteten, zeigte das neue Kino im Stadtzentrum den Film »Der Gorilla erwartet Sie«. Das Kinoplakat blieb monatelang hängen und drückte genau das aus, was die Flüchtlinge empfunden hatten
Heute, sieben Jahre später, ist der Kongo noch immer ein Vulkan, der zu überraschenden Ausbrüchen neigt.
Er ist jedoch nicht wieder zum Dschungel geworden, wie viele vorausgesagt hatten. Weder die schlimmsten Befürchtungen der Weißen noch die kühnsten Träume der Kongolesen sind wahr geworden.
Das Regime des Generals Joseph-Désiré Mobutu hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen und sieht sich von allen Seiten
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bedroht. Weiße Söldner, meistens Belgier und Franzosen, haben die Stadt Bukawu an der Ostgrenze des Kongo besetzt. Und wie ein Fremdkörper einen ganzen Organismus vergiften kann, so vergiftet die Anwesenheit der Söldner das ganze Land.
Die Kongolesen verdächtigen und fürchten den weißen Mann mehr denn je. Die weiße Bevölkerung -- 45 000 bis 55 000 Belgier und viele Griechen, Portugiesen und Italiener -- empfindet Unbehagen und Angst.
Viele Ausländer haben sich entschlossen wegzugehen, weil sie, wie sie sagen, hier nicht mehr sicher seien. Auch das ungewisse Schicksal Moïse Tshombés vergiftet die Atmosphäre, Wenn der ehemalige Premier von den Algeriern ausgeliefert werden sollte, müßte Mobutu ihn hinrichten lassen.
Von den unvorhersehbaren Folgen im Inneren ganz abgesehen, würde eine Hinrichtung Tshombés die Gemäßigten unter den führenden westafrikanischen Politikern gegen Mobutu aufbringen -- zu einem Zeitpunkt, da er den Kongo aus der traditionellen Isolierung innerhalb Afrikas herauszusteuern glaubt.
Die soziale Lage ist explosiv. Nach der jüngsten Währungsreform, bei der die kongolesische Zahlungseinheit im Verhältnis zum Dollar von 150:1 auf 500:1 abgewertet wurde, haben sich in den Städten die Preise mehr als verdoppelt. Die Löhne dagegen sind nur geringfügig, wenn überhaupt gestiegen. Manche Beobachter befürchten Hungersnot und Hungeraufstände.
So bleibt der Kongo, was er immer gewesen ist: ein riesiges, praktisch nicht zu regierendes Stück Afrika, zusammengehalten von einem Dutzend Flughäfen, einem Fernschreibnetz und einer Armee, die sich zwar gebessert hat, aber noch immer unberechenbar ist und Gelegenheiten zum Plündern und Morden bereitwillig
nutzt. Die Städte wirken verwahrlost, auf den staubigen Bürgersteigen häuft sieh der Abfall. In der Kupferhauptstadt Lubumbashi, dem früheren Elisabethville, sind die europäischen Läden leer, bei vielen halten Klebestreifen und Bretter die zerbrochenen Schaufenster notdürftig zusammen.
In Kinsangani, dem früheren Stanleyville, der drittgrößten Stadt des Kongo, sind bei der Plünderung, die dem Aufstand der weißen Söldner im Sommer dieses Jahres folgte, fast sämtliche Läden ausgeräumt worden.
Die Kongolesen aber scheren sich nicht um die Eindrücke eines Europäers. Sie haben ihren eigenen Rhythmus und ihren eigenen Maßstab für den Fortschritt.
Tag für Tag von der Morgen- bis zur Abenddämmerung traben Kongolesen mit einer sorgsam zurechtgestapelten Holzlast auf dem Kopf den Weg herunter, der von den grünen Bergen hinter der Hauptstadt Kinshasa (dem früheren Leopoldville) zum Stadtteil Lemba führt. Es ist genau das gleiche Bild wie 1960. In all den Krisen des Kongo -- der ersten Meuterei der Armee, dem Abfall Katangas, den Stammesrebellionen, dem Krieg gegen die Söldner -- sind die Holzträger unentwegt diesen Weg heruntergerannt.
Die meisten sind barfuß, genau wie 1960, und tragen die gleichen zerrissenen, durchgeschwitzten Hemden und Hosen oder Khakishorts wie damals. Sie laufen, nicht weil sie es eilig haben, sondern weil das Holz schwer ist und sie eine bestimmte Strecke zurückgelegt haben wollen, ehe sie die Last absetzen müssen, um sich auszuruhen.
In den sieben Jahren müssen die Männer gut eine Million Lasten den Berg heruntergebracht haben. Das ist wirtschaftliche Expansion auf kongolesisch.
Das schwere afrikanische Hartholz wird für die Dächer, Tür- und Fensterrahmen der einstöckigen Ziegelhäuser mit einem oder zwei Räumen gebraucht, die Einheimische am Rand der Hauptstadt für sich selbst errichten.
Schätzungsweise 60 000 Häuser dieses Stils sind gebaut oder zumindest angefangen worden, seit der Kongo unabhängig ist. Die rechteckigen Gebäude, viele davon nur halb fertig, ziehen sich über den früher unbebauten Berghang oberhalb von Lemba hin und flankieren die 20 Kilometer lange Straße zum Flughafen.
Es kann Jahre dauern, ehe ein Haus fertig wird; denn es kommt oft zu langen Pausen -- aus Geldmangel oder einfach aus Interesselosigkeit.
Die Bevölkerung von Kinshasa hat sich seit 1960 mehr als verdoppelt -- sie stieg von 380 000 auf etwa 900 000. Die offiziellen Schätzungen, die freilich als· übertrieben gelten, sprechen von 1,5 Millionen.
Die Unabhängigkeit brachte den Kongolesen Würde und Symbole, wenn auch nicht Macht. Man spricht sie jetzt mit »Monsieur« an, und Europäer gebrauchen ihnen gegenüber das respektvolle »Sie« und nicht mehr das herablassende »Du«.
Auch die Diener heißen nicht mehr »boys«, man nennt sie höchstens hinter ihren Rücken so; die Dienstbotenbehausungen hinter den Bougaivillea-Hecken am äußersten Winkel der Gärten, in denen die komfortablen Bungalows in Lubumbashi stehen, heißen allerdings noch immer »boyeries«. Und für die ältere Generation ist die Frau eines Dieners die »boysesse« geblieben.
Mindestens zwei neue Klassen sind entstanden, seit der Kongo selbständig geworden ist. Es gibt eine Gruppe gutgekleideter Männer um die Dreißig, die gebügelte europäische Anzüge, weiße Hemden mit Doppelmanschetten und italienische Schuhe tragen. Auch während der heißesten Tageszeit behalten sie Jacke und Krawatte an. Es sind die derzeitigen und ehemaligen Regierungsmitglieder, Politiker und hohen Verwaltungsbeamten.
Sie sitzen in den Führungsgremien von Gecomine (der verstaatlichten Nachfolgerin der riesigen Union Miniere), von Air Congo, in den Banken und Versicherungsgesellschaften.
Ihre Statussymbole sind der Mercedes und die Diplomaten-Aktentasche. Und wenn einer von ihnen gern möchte, daß eine Linienmaschine zwei Stunden auf ihn wartet, damit er seinen Lunch oder eine Konferenz beenden kann, dann hat er keine Skrupel, von seiner Autorität Gebrauch zu machen.
Unterhalb dieser Gruppe, aber immer noch weit über dem gewöhnlichen Sterblichen, gibt es die Klasse der jungen Leute in luftdurchlässigen, kurzärmeligen Polohemden, die man überall in der Hauptstadt antrifft -- in den Büros der Verwaltung und der Privatgesellschaften, in den Cafés und auf den Bürgersteigen.
Sie sind sozusagen die neue Mittelschicht -- Sekretäre, Kontoristen, Buchhalter, Techniker mittleren Ranges und Facharbeiter, die die Verwaltung und die Wirtschaft unter dem wachsamen Blick ausländischer Berater in Gang halten. Viele sind im Lande von Ausländern ausgebildet worden, andere mit Hilfe von Stipendien zwei oder drei Jahre im Ausland gewesen.
Man sieht sie, wenn man nach Lubumbashi, Luluaburg oder Bukawu fliegt. Ihre Frauen tragen die traditionellen »pagnes« (lange Wickelgewänder) und haben das in ein Dutzend straffe, steife Zöpfchen geflochtene Haar zu einer stacheligen Krone aufgesteckt. Während die Frauen apathisch auf das Flugzeug warten, tragen sie ihre Babys nicht mehr, wie früher, auf dem Rücken, sondern in den Armen.
Dieser Klasse gehört Pierre an. 1960 war er ein junger Mechaniker im Telegraphenamt. Er war zwei Jahre in Deutschland, um sich im modernen Fernmeldewesen ausbilden zu lassen. Jetzt arbeitet er in dem großen, hochentwickelten Übermittlungszentrum des Kinshasa Telex, wo er einen belgischen Techniker ablöste.
Er hat die Verantwortung eines Inspektors, aber noch nicht dessen Rang oder Gehalt. Außer Französisch und seiner Muttersprache Lingala spricht er Deutsch mit weichem Akzent.
Sein größter Stolz und der wahre Beweis seines sozialen Aufstiegs ist seine eigene Fußballmannschaft. Er engagierte einen Trainer und stellte seinen Spielern einheitliche Trikots und zwei Fußbälle.
In diesem Jahr hat sich seine Mannschaft gut gehalten, und vielleicht wird sie in der nächsten Saison so Weit sein, daß sie gegen die führenden Mannschaften der Stadt antreten kann.
Zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung 1960 gab es im Kongo 16 Universitätsabsolventen. Heute sind es etwa 2000, von den mehreren tausend abgesehen, die, wie Pierre, eine praktische Ausbildung hinter sich haben.
Die jungen Intellektuellen aber stellen noch keine politische Kraft im Kongo dar. Bislang regieren jene Politiker und Offiziere, die an die Spitze kamen, als die Belgier das Land verließen.
Wie die Tshombé-Affäre zeigt, neigt der Kongo zur Grausamkeit gegenüber seinen gestürzt an Führern. Lumumba aber, der erste Märtyrer des Kongo, der früher im Mittelpunkt leidenschaftlicher Auseinandersetzungen stand, ist zum fernen und unumstrittenen Helden geworden.
Zwar wurde das Denkmal, das ihm seine Anhänger in Kinsangani errichtet hatten, dem Erdboden gleichgemacht. Später aber wurden in Kinshasa und Lubumbashi Hauptstraßen nach ihm benannt. Und General Mobutu, der an Lumumbas Sturz mitgewirkt hat, plant, hier in Kinshasa ein großes Denkmal für ihn zu bauen.
Sieben Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung lauert im Kongo dicht unter der Oberfläche noch immer die allgegenwärtige Hysterie. Kongolesen und »Europäer« (wie alle Nichtafrikaner genannt werden) sind gleich anfällig dafür.
Für den Augenblick wirkt das Straßenbild normal und heiter. Eine stämmige kongolesische Polizistin regelt an einer Kreuzung den Verkehr. Kongolesische Soldaten schlendern vor den Ministerien und Regierungsgebäuden auf und ab.
Die großen blauen Stadtbusse, die doppelt oder dreimal so viele Fahrgäste befördern wie normalerweise Platz hätten, rasen die Straße hinunter. Ihre ebenso großen und ebenso überfüllten Anhänger schleudern wild hin und her und lassen auf dem heißen Asphalt halbkreisförmige Reifenspuren zurück.
Die Glücklichen trinken auf den Caféterrassen Bier, und die weniger Glücklichen versuchen, sich einen Tageslohn dadurch zu verdienen, daß sie auf dem Bürgersteig ein Stück -- ein einziges Stück -- Seife oder ein Päckchen Zigaretten verkaufen.
Die Europäer kümmern sich um ihre Läden und Geschäfte, die nicht alle groß und lukrativ sind. Es gibt viele kleine portugiesische Läden und griechische Imbißstuben.
Der Golfklub von Lubumbashi indes hat noch immer einen erstklassigen Trainer, einen Engländer, und im Funa-Club in Kinshasa planschen die Kinder im Olympic-Pool.
In den von alters her afrikanischen Vierteln der Hauptstadt haben die Nächte etwas Aufreizendes; Jazzmusik und das Geräusch schlurfender Schritte dringen aus den vielen Freiluft-Bars, die meistens Politikern gehören.
Im Stadtzentrum hingegen sind nachts die Straßen menschenleer. Diese Gegend war einst den Europäern vorbehalten, nach Einbruch der Dunkelheit durften sich die Kongolesen hier nicht blicken lassen.
Es riecht nach brennendem Laub und schwelendem grünen Holz. Alle hundert Meter haben von Privatleuten engagierte Wachmänner kleine Feuer angezündet, um sich zu wärmen, während sie vor den Läden und Wohnhäusern hocken.
Zu ihnen gehört ein grauhaariger, alter Mann in weichem, leuchtend rotem Hausmantel, der auf einem Bett aus Pappkartons liegt. Er bewacht auch Autos und achtet darauf, daß man genau an der richtigen Stelle parkt.
Da er nur Lingala spricht, stellt er seine Instruktionen pantomimisch dar. Er geht auf die andere Straßenseite und kriecht dann verstohlen zu dem Auto zurück, um klarzumachen, daß sich üble Burschen von dem verlassenen Grundstück gegenüber heranschleichen und die Radkappen stehlen könnten, falls man nicht anderswo parkt.
An der Straße zum Flughafen stehen Läden, in denen gestohlene Ersatzräder und Radkappen aller Formen und aller Jahrgänge angeboten werden an Bindfäden aufgereiht.
Auf dem Gelände der Lovanium-Universität in den Bergen hinter der Stadt macht ein anderer Wächter seine Runde: ein kleiner, barfüßiger Mann mit Pfeil und Bogen.
Vor wenigen Wochen noch hatte er vergiftete Pfeile im Köcher. Dann aber besetzte die Armee -- während der Revolte der Söldner -- das Universitätsgelände, und aus unbekanntem Grund mußten die dort beschäftigten Wachmänner ihre giftigen Pfeile gegen ungiftige austauschen -- sehr zum Kummer der Professoren und Studenten.
Ungefähr alle zwei Stunden kündet ein Rascheln im Gras das Erscheinen des schweigsamen kleinen Mannes an, die Familienmitglieder und die Gäste blicken auf. Nachdem sich der Wächter bemerkbar gemacht hat, schleicht er wieder davon.
All das gehört zum normalen Leben. Dann aber geschieht irgend etwas, und sofort steigt die latente Angst auf. Sie zerreißt die Beziehungen sowohl zwischen den Kongolesen untereinander als auch zwischen Kongolesen und Europäern.
Das auslösende Moment kann eine Krise sein, eine Stammesrebellion oder auch nur ein Regierungswechsel, der im Kongo mehr als ein Austausch von Personen ist.
Der Stamm des neuen Mannes und dessen Verbündete bekommen plötzlich Einfluß und Macht, ebenso plötzlich wird der ganze Stamm des gestürzten Politikers verdächtig und gerät in Gefahr. Sofort herrscht Unruhe in der Bevölkerung.
Die jüngste Panik brach nach dem Aufstand der Söldner und der Verschleppung Tshombés aus.
Die Söldner schlugen im Nordosten des Kongo zu. Doch die dadurch auf beiden Seiten entfachte Angst wirkte noch tausend Meilen weit entfernt. Wie bei früheren Gelegenheiten, als die Kongolesen von außen angegriffen wurden, wuchs sofort der Fremdenhaß. Die kongolesischen Rundfunksender starteten eine hysterische Kampagne gegen die Weißen, bei der alle Europäer mit der Handvoll Söldner gleichgesetzt wurden.
Krank vor Angst verkrochen sich die Europäer in ihren Häusern und erwarteten den Ausbruch einer Katastrophe. Wie durch ein Wunder geschah in Kinshasa nichts.
In Lubumbashi dagegen, der früheren Hauptstadt Tshombés, verdächtigten die Soldaten der Armee jeden Europäer, Komplice der Söldner zu sein. Vier Männer und ein 14jähriger Junge wurden mit Bajonetten erstochen, weil sie die Sperrstunde nicht beachtet hatten.
Mehrere andere, die um dieselbe Zeit verhaftet wurden, sind spurlos verschwunden, und das unvermeidliche Gerücht vom Kannibalismus tauchte auf. Tragischerweise. lag ein Mißverständnis vor. Die Sperrstunde begann um sechs Uhr, die Zeitungen jedoch hatten sieben Uhr als Beginn genannt.
Quälend war die Nacht -- die Rundfunkkampagne in der Sprache der Einheimischen lief noch -, als plötzlich im afrikanischen Teil der Innenstadt Trommeln zu dröhnen begannen.
Verblüfft lauschten die alteingesessenen Belgier, die die Sprache der Trommeln verstehen: Diesen Rhythmus hatten sie noch nie gehört, und sie verstanden nicht, was die Trommeln sagten.
Als das Gedröhn im Lauf der Nacht immer wilder wurde, waren sie fast überzeugt, es sei ein barbarischer Kriegsruf, und machten sich darauf gefaßt, daß hysterische Einheimische mit Speeren, Pfeilen und Bogen in Wellen gegen sie anstürmen würden.
Am nächsten Tag klärte sich die Sache auf. Im afrikanischen Stadtteil hatte eine Beerdigung stattgefunden; die Trauernden waren Bembas, ein Stamm des benachbarten Sambia, deren Trommeln eine fremde Sprache sprechen.
So tief ist der Abgrund der Unkenntnis und der Isolation zwischen der kongolesischen und der europäischen Welt. Der Kongolese -- vor allem der Soldat -- scheint unaufhörlich zu befürchten, der Weiße werde mit einer ihm unbekannten Waffe zuschlagen. Und der Europäer erwartet unaufhörlich, daß der Kongolese plötzlich von einer unerklärlichen Wut gepackt wird, gegen die es keine Abwehr gibt.
In ganz Afrika oder sogar in der ganzen Welt -- ist der Kongo wahrscheinlich das einzige Land, in dem ein intelligenter, mutiger Mann allen Ernstes schildern kann, welche Angst ihn ergriff, als an jenem Tage, an dem die Spannung in der Stadt zum Zerreißen gespannt schien, ein kongolesischer Bursche wissen wollte, warum der junge Hund auf dem Rücksitz des Wagens bellte.
»Ich sagte ihm, ich wisse es nicht, der Hund belle eben oft. Die Ampel war auf Grün gesprungen, und ich wollte weiterfahren, doch da beugte sich der junge Mann durchs Fenster und sagte immer wieder, daß der Hund belle, sei 'nicht normal'. Rasch kamen andere junge Leute dazu und fingen an, sich aufzuregen. Das ist der Punkt, an dem man Angst bekommt. Plötzlich sind weder Sie noch die anderen Herr der Lage und Sie wissen nicht, ob Sie lebend davonkommen.«
Dieser Bericht würde anderswo lächerlich klingen. Im Kongo aber leuchtet er jedem ein.
Dann ist der Sturm vorüber -- fast so schnell, wie er gekommen ist.
Wenige Tage nach dieser Krise boten spät in der Nacht draußen vor Lubumbashi Soldaten einem Gast an, ihn in ihrem Jeep mitzunehmen. Sie gehörten zu dem Bataillon, das dafür verantwortlich war, daß es in der Stadt Todesopfer gegeben hatte. Der Gast fühlte sich keinen Augenblick lang unbehaglich oder bedroht, als der Jeep durch die dunklen Straßen fuhr.
Tags darauf wurde jedoch derselbe Gast verhaftet und in einem Wachraum eingeschlossen, weil er auf dem Platz der Unabhängigkeit angehalten hatte, um einen Anschlag zu studieren. Darauf war zu lesen, daß General Mobutu an dieser Stelle ein Nationaldenkmal errichten wolle.
Die aufgeregten Soldaten blieben stur dabei, der Gast habe offensichtlich die Absicht gehabt, nachts zurückzukommen und die Gegend um das geplante Denkmal in die Luft zu sprengen.
Die Atmosphäre im Kongo ähnelt dem, was Joseph Conrad oder Evelyn Waugh im »Heart of Darkness« (Herz der Finsternis) und »Black Mischief« (Schwarzes Unheil) geschildert haben. Alles ist da: der grüne Busch, der geheimnisvolle Fluß, die fiebrigen Träume und die plötzlichen Unruhen. Auch die ansteckenden Lächerlichkeiten.
Ein ängstlicher Plünderer in Lubumbashi brach in ein Haus ein, machte die Tür zum Wohnzimmer leise einen Spalt weit auf und fragte die furchtsame Frau im Zimmer: »Madame -- haben Sie einen Rund?«
Dann gibt es die Korruption, die unvermeidlich ist, wenn der Arme auf den relativ Reichen trifft.
Der Reiche, der Europäer, hat alles -- außer offizieller Autorität. Er braucht die Begünstigung durch den armen Mann, der als Kongolese -- ob Soldat oder Sekretär -- über Autorität verfügt, sonst aber fast nichts hat.
Die Begünstigung mag ein Platz im Flugzeug oder eine Entlassung aus der Haft sein, was auf den ersten Blick unsinnig erscheint. Und der Preis stellt für den Bestechenden den Gegenwert von zwei Glas Bier dar und für den Bestochenen einen Zweiwochenlohn. Wer kann da erwarten, daß der Arme der Versuchung widersteht? Und kann man das wirklich Korruption nennen?
Vielleicht sind die Probleme Afrikas in dem Augenblick unlösbar geworden, als dieser doppelte Standard in diesem Kontinent eingeführt wurde, an dem Tag also, an dem der erste weiße Mann den Fuß auf afrikanischen Boden setzte.
Die Teilung in zwei Welten besteht auch heute noch, selbst im unabhängigen Kongo. Die Kongolesen haben Unabhängigkeit und politische Macht. Aber sie sind noch längst nicht Herren im eigenen Land.
General Mobutus Flugzeug ist ein Geschenk von Präsident Kennedy, und die Crew besteht aus Amerikanern. Anders wäre Mobutu nicht in der Lage, sich jederzeit nach Belieben im Lande zu bewegen.
Die staatliche Fluggesellschaft Air Congo ist weit mehr »kongolisiert« als alle anderen größeren Unternehmen. Das bedeutet, daß nach Jahren der Ausbildung das Flugpersonal -- außer den Piloten -- und der größte Teil des Verwaltungspersonals Kongolesen sind. In den Schlüsselpositionen der Verwaltung sitzen jedoch Belgier, die Piloten sind Briten und die Männer im Kontrollraum kommen von der Uno.
Vor einigen Wochen wollte die Werbeabteilung der Fluggesellschaft ein Photo mit einem Kongolesen im Cockpit eines neuen Düsenflugzeugs stellen. Das Photo wurde kurz vor dem Start aufgenommen. Die Passagiere bekamen jedoch Wind davon und glaubten, die Maschine solle von einem kongolesischen Piloten geflogen werden. Hals über Kopf stürzten die Fluggäste aus dem Flugzeug, die Kongolesen allen voran.
Hierin, ebenso wie an den Holzträgern, die den Weg draußen vor Kinshasa herunterkommen, läßt sich ermessen, wie weit der Kongo es gebracht hat, und welcher Weg noch vor ihm liegt.