Griechenland Krankhafte Denkweise
Die Szene erinnerte an Heinrich Lübke in seinen schlimmeren Tagen. Der zweite deutsche Bundespräsident (1959 bis 1969) konnte sich manchmal kaum erinnern, wo er sich gerade aufhielt. Er erheiterte seine Zuhörer immer wieder mit falschen Ortsangaben.
Als Griechenlands Ministerpräsident Andreas Papandreou, 75, Ende Juni zum Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs auf der Insel Korfu landete, freute er sich lauthals, auf Kefallinia zu sein, einer etwa 100 Kilometer südlich gelegenen Nachbarinsel. Schadenfroh berichteten die lokalen Radiosender immer wieder über den Lapsus des Regierungschefs.
Der Sozialist, vor sechs Jahren in London am offenen Herzen operiert, übt seine Amtsgeschäfte kaum noch aus. Seit Monaten hat er keine Sitzung seines Kabinetts mehr geleitet. In seiner Villa in einem Vorort Athens schirmt ihn die Ehefrau und ehemalige Stewardess Dimitra ("Mimi"), 39, vor Terminen und Besuchern ab. Auf Korfu irritierte Papandreou die Gipfelrunde mit dem Verlangen nach einer längeren Siesta, während die Kollegen weiterarbeiten wollten.
Doch so hinfällig Papandreou auch erscheinen mag - wenn es darum geht, seinem alten konservativen Widersacher Konstantin Mitsotakis das Leben schwerzumachen, ist ihm nichts zuviel. Die beiden Greise - der vitale Konservative ist noch ein paar Monate älter - verfolgen einander seit Jahrzehnten in bitterer Feindschaft.
Für Antonis Samaras, Chef der oppositionellen Partei Neuer Frühling, sind sie »zwei Dinosaurier mit der gleichen krankhaften politischen Denkweise«. Nun treten die beiden Alten an zur wohl letzten Schlacht.
Papandreou ließ seine Pasok-Partei dank ihrer Mehrheit im Parlament beschließen, Mitsotakis vor ein Sondergericht zu stellen. Vorwurf: Der frühere Ministerpräsident habe die Telefone seiner politischen Gegner widerrechtlich abhören lassen - Schnüffelei, von der nach Meinung Athener Insider griechische Regierungschefs stets nur ungern lassen konnten.
»Papandreou will skrupellose Rache«, wettert der Angeschuldigte gegen seinen Erzfeind, »er will, daß ich verschwinde, damit er das ganze Land kontrollieren kann.« Der ehemalige sozialistische Innenminister Akis Tsochatzopoulos, den Papandreou als seinen Nachfolger im Pasok-Vorsitz favorisiert, beklagt denn auch die »Kriminalisierung der griechischen Politik«.
Aber angefangen damit habe schließlich Mitsotakis selbst. Der ließ in seiner Regierungszeit den Vorgänger und Nachfolger im Amt ebenfalls vor ein Sondergericht stellen - wegen Korruption. Die Vorwürfe konnten nicht bewiesen werden, Papandreou wurde freigesprochen. »Ein Grieche vergißt nicht so schnell«, interpretierte Tsochatzopoulos die Haltung seines Chefs.
Neben der Demütigung seines ewigen Widersachers strebt Papandreou freilich auch ein höheres Ziel an: Er möchte sein politisches Leben als Staatspräsident beschließen. Das gegenwärtige Oberhaupt der Republik, Konstantin Karamanlis, gilt als der dritte und mit 87 Jahren älteste politische Dinosaurier Griechenlands.
Seinen Amtspflichten kann der alte Mann im ehemaligen Königspalast kaum noch nachkommen. Bei der Europawahl richtete die Regierung eigens für ihn ein Wahllokal ein, damit er nicht so weit transportiert zu werden brauchte.
Spätestens im Mai nächsten Jahres muß ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden. Papandreous Pasok verfügt über 170 Sitze im Parlament und benötigt nur noch 10 Stimmen für die Präsidentenmehrheit. Seine Nachfolge hat Papandreou freilich bis heute in der Schwebe gehalten.
Mitsotakis macht sich derweil Hoffnung, doch noch ins Zentrum der griechischen Politik zurückzukehren. Dem hochverschuldeten Land sagt er für den Herbst eine »finanzielle Katastrophe« voraus, um dann etwas gönnerhaft hinzuzufügen: »Mit einem gesunden Papandreou wäre alles ganz anders.«
Die Sorge ist nicht unbegründet. Allein die Auslandsschulden des Landes betrugen vergangenes Jahr fast 27 Milliarden Dollar. Nur mit immer neuen Anleihen kann die Zentralbank den Schuldendienst finanzieren. Mit einer Inflationsrate von elf Prozent marschieren die Hellenen an der Spitze der Europäischen Union.
Seinem Nachfolger im Vorsitz der konservativen Neuen Demokratie, dem ehemaligen Athener Oberbürgermeister Miltiadis Evert, traut Mitsotakis gleichfalls nicht zu, die Probleme zu bewältigen. Nur einen sieht er als Retter, falls das Volk ihn denn ruft. Sich selbst. Mitsotakis: »Wenn ich behilflich sein kann, dann will ich das gern tun.« Y