Zur Ausgabe
Artikel 16 / 81

Militärbischöfe Kreuz und Fliege

Ein Quentchen Mitbestimmung erhoffen sich jetzt die 152 evangelischen Militärpfarrer der Bundeswehr nach dem Abschied ihres Chefs, Militärbischof Hermann Kunst: 16 Jahre lang hat er wie ein Patriarch regiert.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Pinnebergs Propst Dr. Sigo Lehming, 44, machte den evangelischen Militärpfarrern der Bundeswehr wieder Mut. Wenn er Militärbischof sei, so versprach er am Dienstag vergangener Woche vom Redner-Podium herab, solle »mehr Öffentlichkeitsarbeit« geleistet werden.

Danach wurde die Öffentlichkeit unversehens und entgegen der Tagesordnung für zwei Stunden ausgeschlossen.

Denn bei dieser Jahreskonferenz der Militärgeistlichen führte noch Militärbischof Hermann Kunst, 65, das Kommando. Fünf Tage lang beaufsichtigte der Oberhirte seine im »Ferienpark« des Ostseebades Heiligenhafen tagenden 152 Unterhirten, von denen jeder 1500 evangelische Soldaten betreuen soll.

Daß Kunst sich weder um die Tagesordnung noch um die Tradition dieser sonst stets öffentlichen Veranstaltung scherte, überraschte freilich niemanden: in der nun befohlenen »internen Diskussion« wollten die Pfarrer sich über ihres Bischofs Führungsstil beschweren, der von vielen längst als feudal und undemokratisch empfunden wurde.

Letztes Kunst-Stück: Er hatte die Mehrzahl seiner Pfarrer brüskiert, als er ihnen jüngst einen weithin unbekannten Amtsbruder präsentierte: Propst Lehming soll den gesetzlich als »Nebenamt« ausgewiesenen Posten des Militärbischofs übernehmen. Und der »FAZ«-Militärexperte Adalbert Weinstein hatte die Verwirrung noch gesteigert, als er daraufhin schrieb: »Der Neue war nie Soldat. Er kennt die Probleme der Bundeswehr nicht.«

Zwar konnte Lehming darauf verweisen, daß er in zarter Jugend militärische Erfahrungen als Flakhelfer sowie ab Herbst 1944 (kaum 17 Jahre alt) auch noch als Rekrut gesammelt habe. Doch Kunst war 1945 als Divisionspfarrer ("Siebenmal an der Ostfront eingekesselt") heimgekehrt.

Solche Kunst-Meriten von einst erwärmen zwar nur noch ältere Militärpfarrer, während die jüngeren auf ihres Bischofs soldatischen Habitus leichtherzig verzichten würden: Eng tailliert wie eine Uniform trägt er den knielangen schwarzen Lutherrock mit einem sperrigen Metallkreuz auf der Brust und einer weißen Fliege unter dem Kinn. Diesen Halsschmuck hat Kunst kreiert; gemeinhin genügt ein weißer Kragen zum Lutherrock.

Sind auch die Ansichten der Kunst-Gefolgsleute über den militärgeistlichen Nutzeffekt der Kunst-Fliege geteilt, so eint sie jedoch alle ein leichtverletzliches Selbstwertgefühl. Sie wissen, daß sie von rechten wie linken Amtsbrüdern in den zivilen Landeskirchen eher geringgeschätzt werden: Die Rechten verdächtigen sie, den Wehrwillen zu lähmen; die Linken argwöhnen das Gegenteil.

Die Landeskirchen haben daher immer mehr Mühe, bereitwillige Pastoren zu finden, die für sechs bis acht Jahre als »Beamte auf Zeit« militärgeistlichen Dienst unter der Leitung des Militärbischofs versehen.

Auch um sich von dem Odium des Befehlsempfängers zu befreien, gründete die protestantische Pastoren-Truppe vor zwei Jahren als Personalvertretung den 14köpfigen »Rat der Militärpfarrer«, der bei Personalfragen konsultiert werden wollte. Als dieses Gremium jetzt eine so wichtige Personalentscheidung wie den Bischofswechsel erst aus der Zeitung erfuhr, beschwerte es sich brieflich bei dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Münchner Landesbischof Hermann Dietzfelbinger, weil trotz der »formalen Legalität« doch »starke Bedenken« gegen dieses Verfahren angemeldet werden müßten.

Legal war die Berufung, weil der evangelische Militärseelsorgevertrag aus dem Jahre 1957 vorschreibt, daß der EKD-Rat den Militärbischof ernennt*.

Bedenken erregte jedoch die Mutmaßung« »daß Soldatengemeinden und Militärpfarrer nur Objekte der Entscheidungen des Rates der EKD sind«. Die Militärgeistlichen forderten, das bejahrte Gesetz so zu novellieren, daß ihnen »mehr synodale Mitverantwortung« zuteil werde. Sie erstreben Sitz und Stimme in den Kirchenparlamenten (Synoden).

EKD-Ratsvorsitzender Dietzfelbinger verströmte postwendend Trost: Ein Ausschuß werde ihre Sorgen überdenken. An das Resultat von derlei Ausschuß-Denkerei mag freilich selbst Bischof Kunst nur vage Erwartungen knüpfen: Als er bereits 1966 um einen Nachfolger bat, weil das Nebenamt seine volle Arbeitskraft beanspruchte, nahm sich ebenfalls ein Ausschuß der Sache an. Erst jetzt kann sich Kunst wieder ausschließlich seinem seit 1949 bekleideten Amt des EKD-Bevollmächtigten in Bonn widmen.

Wie früher Kunst hat nun auch der designierte Militärbischof Lehming zwei Full-time-Jobs inne; aber er muß, anders als der in Bonn ansässige Kunst, obendrein noch zwischen Pinneberg und Bonn pendeln.

Gleichwohl hofft der vierfache Vater, er könne durch »Delegieren von Aufgaben« noch Zeit für die Seinen abzweigen. Derartige Vorstellungen des Neuen und nicht zuletzt sein Engagement als Pinneberger Propst weckten bei den Militärpfarrern in Heiligenhafen bereits Vorfreude auf weniger Aufsicht und mehr synodale Mitbestimmung. Milde gestimmt ließen sie den Patriarchen Kunst aus der »internen Diskussion« nahezu ungerupft entkommen. Ein süddeutscher Militärpfarrer gestand: »Eigentlich hatte ich ihm ja die Meinung sagen wollen, weil er uns immer wie Schulbuben behandelte. Aber wozu den alten Herrn zu guter Letzt noch ärgern«?«

Kunst-Nachfolger Lehming rüstet inzwischen auch äußerlich auf: Er läßt sich seinen ersten Lutherrock anmessen, denn in Pinneberg war er ohne dieses Gewand ausgekommen.

Zu weiteren modischen Konzessionen ist der neue Militärbischof allerdings nicht bereit: »Auf keinen Fall« will er die weiße Kunst-Fliege umbinden.

* Den katholischen Militärbischof ernennt gemäß der Konkordats-Bestimmung der Papst.

Zur Ausgabe
Artikel 16 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren