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»Krieg bis Buchara und Samarkand«

Neue Angriffe der Mudschahidin in Afghanistan / Von Ditmar Hack Übermütige Stimmung und ungewohnte Disziplin traf der Münchner Journalist Ditmar Hack bei den Mudschahidin in Afghanistan an, die vorige Woche die bisher schwersten Kämpfe in der Hauptstadt Kabul führten. Die Partisanen träumen davon, den Krieg bis nach Buchara zu tragen - bis tief hinein in die Sowjet-Union. *
aus DER SPIEGEL 34/1983

In dem hügeligen, von Schluchten durchzogenen Gelände voller Granattrichter haben Phosphorbomben die Vegetation verbrannt. Am Ende der Hügelkette liegen die Schützengräben der Mudschahidin. Von den Stellungen aus läßt sich die in einer Ebene liegende Stadt Khost beobachten, sogar das Treiben auf dem Flugplatz.

Khost muß aus der Luft versorgt werden, weil die Mudschahidin seit drei Jahren die einzige Zufahrtstraße unter Kontrolle halten: Stellungskrieg mit starren Fronten, ungewöhnlich - sonst ist die »Hit and run«-Taktik des klassischen Guerillakrieges die Regel.

Khost liegt in der Provinz Paktia, einem der Hauptzentren des afghanischen Widerstandes, wegen ihrer geographischen Lage eine Bedrohung für die afghanische Hauptstadt Kabul.

Im Niemandsland zwischen den Fronten brennt noch ein abgeschossener russischer T-62-Panzer. »Er wurde gestern bei dem Großangriff der Regierungstruppen zerstört«, sagt Mali Khan, Kommandeur einer Kampfgruppe von etwa 200 Mudschahidin der Organisation Harakat-i-Inkelab-islami (Islamischrevolutionäre Bewegung).

Ein paar Mann steigen mit Werkzeugen aus dem Graben, um den Panzer auszuschlachten. Sie kommen nicht weit, denn ein vorgeschobener Artilleriebeobachter der afghanischen Regierungsarmee entdeckt sie. Sofort setzt Mörsersperrfeuer ein.

200 Meter weiter steht in einem Hohlweg ein am Vortag erbeuteter T-62. Die Hohlladung einer RPG-7-Panzerfaustgranate hat die 15 Zentimeter dicke Turmpanzerung glatt durchgeschweißt und ein etwa drei Zentimeter großes Loch hinterlassen.

Die Besatzung bootete aus und wurde von den Mudschahidin niedergemacht. Zwei Leichen sind mit einer dünnen Erdschicht bedeckt, die nackten Füße ragen noch aus dem Grabhügel. Zwei weitere Tote liegen aufgedunsen ein Stück weiter in der prallen Sonne.

Es waren blutjunge Rekruten, die man bei diesem Panzervorstoß ohne Infanteriedeckung verheizt hatte. Die Toten tragen seltsamerweise Winteruniformen.

Auf dem Rückweg ins Lager beschießen uns zwei sowjetische Mi-24-Kampfhubschrauber mit Raketen und Maschinengewehren. Wir finden gute Deckung in einer Schlucht. Stoisch warten die Mudschahidin auf das Ende des Eisen- und Gesteinregens.

Abends schlachten sie dann mir zu Ehren einen Hammel. Am nächsten Morgen klettern wir auf einen Berg, auf dessen Spitze ein schweres 12,7-mm-DSCHK-Maschinengewehr aufgebaut ist. An diesem Frontabschnitt gibt es zehn derartiger Flugabwehrstellungen.

Das Geheul von vier Sukhoi-Jagdbombern beendet abrupt unsere Mittags-Siesta. Sie greifen ein vor uns liegendes Dorf an und fliegen zu schnell und zu hoch, als daß die Rebellen sie bekämpfen könnten. Unbeeindruckt laden die Piloten ihre Phosphorbomben ab.

Unser MG-Schütze hatte als Vorsichtsmaßnahme gegen Phosphorspritzer seine dickgefütterte Winterjacke angezogen. Manche der russischen Bomben sind mit Zeitzündern versehen und explodieren bis zu 30 Minuten später.

Einige Stunden danach werden wir von zwei Hubschraubern heimgesucht, die aus dem blendenden Licht der untergehenden Sonne angreifen. Ein Mudschahid leert aus der Hüfte schießend wie John Wayne das Magazin seiner Kalaschnikow auf die anfliegenden Monster.

Eines fällt auf: Sämtliche DSCHK12,7-mm-MG, die ich je auf meinen Besuchen bei den Guerillas gesehen habe, hatten kein Fliegervisier mit entsprechenden Vorhaltemarken für Jets und Helikopter. Lag dies im Sinne der diversen Lieferländer? Die Mudschahidin in dieser Gegend haben jedenfalls noch nie einen Hubschrauber oder Jet abgeschossen. Sie warten auf Boden-Luft-Raketen amerikanischer Herkunft, die das Kriegsbild rasch zu ihren Gunsten ändern können.

Das Abwehrfeuer mit den vorhandenen mangelhaften Waffen zwingt die Russen immerhin, in einer Höhe von 1000 bis 2000 Meter zu operieren, was ihre Trefferquote bei Punktzielen mindert.

Der nächste Tag bringt den üblichen Luftzirkus, am Nachmittag einen Panzervorstoß mit Infanterieunterstützung. Unser DSCHK-MG eröffnet das Feuer auf den zwei Kilometer entfernten Gegner. Die abgesessenen Soldaten verschwinden blitzartig in ihren Schützenpanzern.

Nach einem funkensprühenden Treffer an einem Panzer führen die Mudschahidin jedesmal einen Freudentanz auf. Das Ganze artet langsam zu einem Schützenfest aus: Jeder versucht sich als Kunstschütze am MG.

In den Pausen, die nötig sind, um den heißen Lauf des MG abzukühlen, wird grüner Tee getrunken, aus einem Transistorradio tönt indische Musik. Joints machten die Runde, unser Maschinengewehrschütze flippt regelrecht aus. Als die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht, kommt das dicke Ende in Gestalt eines 82-mm-Mörsers auf einem Schützenpanzer.

Erster Einschlag 50 Meter nahe, dann 20 Meter. Die Mörser-Crew versteht ihr Handwerk. Die nächste Granate explodiert

drei Meter neben uns. Wie auf Kommando springen wir aus der Stellung und warten in 200 Meter Entfernung auf das Ende des Bombardements. Ein Splitter hat mich am Kinn gestreift, Rasur a la Afghanistan. Das MG schießt einen ganzen Gurt zurück.

Am Abend schleichen sich die Mudschahidin wie geprügelte Hunde ins Lager. Nach dem Essen schreibt Mali Khan seinen täglichen Gefechtsbericht für das Hauptquartier in Peschawar und gibt ihn einem Boten. Danach Anwesenheitsappell, Diensteinteilung für morgen. Das heißt: Nach den langen Jahren der spontanen Unorganisiertheit setzt sich bei den Mudschahidin langsam eine militärähnliche Struktur durch.

Der nächste Morgen bringt eine Siegesmeldung: Eine vereinigte Streitmacht aus Hisb- und Harakat-Mudschahidin hat in der Nacht den belagerten Außenposten Barri eingenommen. Das mit Sprengfallen gespickte Minenfeld, das bisher das Haupthindernis war, überwanden die Guerillas mit Hilfe des erbeuteten T-62-Panzers. Dann schossen sie mit der 115-mm-Kanone eine Bresche in den festungsähnlichen Posten. Die auf 15 Mann geschrumpfte Besatzung ergab sich schleunigst. Um den Sieg gebührend zu feiern, läßt Mali Khan wieder einen Hammel schlachten.

Am Nachmittag helle Aufregung: Ein Regierungssoldat in Uniform läuft durchs Camp, verfolgt von schreienden Guerrilleros! Ein dummer Streich, der tödlich hätte enden können - ein Mudschahidin hatte sich verkleidet.

Trotz des über drei Jahre andauernden Krieges zeigen die Rebellen hier keine Anzeichen von Erschöpfung oder Resignation. Die Atmosphäre im Lager erinnert an ein Pfadfindertreffen - ausgelassen und fröhlich. Die jüngsten Kämpfer sind denn auch zwölf Jahre alt, der älteste 70.

Gegen Mitternacht unternahmen die Regierungstruppen einen Überfall auf das vorgeschobene MG. Tausende von Leuchtspurgeschossen ergießen sich auf die Hügelstellung. Das gesamte Lager beobachtet aus sicherer Entfernung fasziniert und wild gestikulierend das mörderische Feuerwerk.

Am nächsten Morgen marschieren wir zwei Stunden zu dem eroberten Fort, einem unheimlichen Ort. Um nicht die vielen mit Drahtzündern versehenen Sprengfallen auszulösen, benutzen wir die Spuren des Panzers als Pfad. Das leergeplünderte Gemäuer qualmt noch immer.

Im Hinterhof steht ein zerstörter T-34-Panzer, in einem Raum liegen die stark verwesten Leichen von drei Regierungssoldaten - offenbar mußte die Besatzung des Forts ihre Unterkünfte mit Toten teilen.

Auf dem Rückweg sehen wir, wie Mudschahidin mit dem erbeuteten T-62 an die Front rollen. Sie wollen den Basar von Khost beschießen, in dem eine Regierungs-Kundgebung angesagt ist.

Nach drei Monaten Einsatz läßt Kommandeur Mali Khan die Zelte abbrechen und seine Einheit zu einem Nachschubstützpunkt

in der Nähe der pakistanischen Grenze zurückmarschieren. Die Schar wird im Rotationsverfahren durch eine neue Gruppe aus Pakistan abgelöst.

Eine andere wichtige Nachschubquelle sind Deserteure der Regierungsarmee samt Waffen. Ich traf zwei Mann, die während der Nacht in voller Uniform und mit ihren Kalaschnikows übergelaufen waren.

Die Regierung des Kommunisten Babrak Karmal hatte die beiden, wie üblich, zwangsrekrutiert. Die Gesamtstärke der Regierungsstreitkräfte ist von 80 000 auf inzwischen 20 000 Mann zusammengeschmolzen.

Kurz vor der Grenze begegnet uns eine Gruppe von Freischärlern auf dem Weg zur Front. Ein alter Mann singt durchs Megaphon ein Spottlied auf Babrak Karmal.

Kommandant Mali Khan, der seit 1975 gegen die Regierung in Kabul kämpft, lacht und ruft dem Sänger zu: »Der Weg ist noch lang, und es wird noch viel Blut fließen, aber Allah ist mit den Standhaften.«

Mali Khan wird seine Familie wiedersehen, die nach Pakistan geflüchtet ist. Wann wird der Heilige Krieg, der Dschihad, zu Ende sein? »Wenn die Russen fort sind«, sagt der Partisanenführer, »wenn eine rein islamische Regierung, die allen Leuten gefällt, die Macht übernommen hat.«

Doch auch dann soll der Krieg noch nicht zu Ende sein. »Wir wollen den Dschihad fortsetzen«, sagt Mali Khan, »um Buchara und Samarkand von den Russen zu befreien.«

Die Oase Buchara und die entweihten Moscheen von Samarkand an der alten Seidenstraße gehören seit Jahrzehnten zur Sowjetrepublik Usbekistan.

Ditmar Hack

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