TSCHAD Krieg der Häuptlinge
Major Pierre Galopin wurde auf Geheiß des afrikanischen Rebellenführers der Leib aufgeschlitzt; gefesselt an die Beine eines Kamels, mußte der Abgesandte der französischen Regierung eine ganze Nacht lang entsetzliche Qualen ausstehen, bis er gegen Morgen endlich starb.
Dies geschah im April 1975. Der damalige Rebellenführer Hissein Habre ist heute Präsident des Wüstenstaats Tschad. Er soll es auch bleiben, geht es nach dem Willen Frankreichs und der USA. Mit Truppen und Waffenlieferungen halten die fernen Mächte Habre mühsam gegen seinen von Libyen unterstützten Rivalen Gukuni Weddei an der Macht.
Um Geld und Waffen zu erpressen, hatte Hissein Habre 1974 noch Europäer als Geiseln nehmen müssen, unter ihnen die französische Ethnologin Francoise Claustre und den deutschen Arzt Christoph Staewen, einen Neffen des damaligen Bundespräsidenten Heinemann.
Staewens Freilassung brachte ein Lösegeld von über zwei Millionen Mark. Für die Französin, die er vier Jahre lang gefangenhielt, erhielt Habre, nachdem er durch die bestialische Ermordung des Pariser Emissärs Galopin seine Entschlossenheit bewiesen hatte, einen Preis von zehn Millionen Franc. Die Hälfte davon wurde in Waffen gezahlt.
Ein knappes Jahrzehnt später hat sich Habre wie so mancher Staatsmann der Dritten Welt vom Rebellen zum Verbündeten des Westens gemausert. Sein heutiger Feind und ehemaliger Freund, Tubu-Stammesbruder Gukuni, befindet sich zweifelsfrei auf der falschen Seite, der des Libyers Gaddafi, Moskaus unberechenbarem Partner in Afrika.
Sowenig Gukuni sich durch Zartgefühl im Umgang mit seinen politischen Gegnern auszeichnet, sowenig kann Hissein Habre als Bannerträger des demokratischen Prinzips bezeichnet werden. Und doch versetzte schon der Gedanke, Habres Rivale könnte im neu aufgeflammten Tschad-Krieg mit libyscher Hilfe siegreich bleiben, Amerikas Regierung in den üblichen Schrecken.
Fällt der Tschad, dann wird sich bald, so befürchtet Washington, ein Gürtel roter Staaten quer durch Afrika ziehen. Die Reagan-Administration eröffnete einen diplomatischen Nebenkriegsschauplatz:
Die ehemaligen Kolonialherren im Tschad, die Franzosen, so ließ das Weiße Haus wissen, hätten dem bedrängten Habre nicht rasch genug geholfen.
Die USA, so gestand Frankreichs Präsident Francois Mitterrand denn auch der Pariser Zeitung »Le Monde«, hätten ihn unter Druck gesetzt, im Tschad militärisch einzugreifen, und darüber sei er zutiefst irritiert. Auch hätten ihn die Amerikaner keineswegs konsultiert, als sie beschlossen, zwei »Awacs«-Aufklärungsflugzeuge mit Jagdschutz zur Beobachtung des Tschad-Krieges in den Sudan zu verlegen. Dies wurde später von US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger bestritten.
»Wir können die Formulierung 'unter Druck setzen' einfach nicht akzeptieren«, konterte - noch vergleichsweise zurückhaltend - Reagans Pressesprecher Larry Speakes am vorigen Mittwoch. »Wir haben uns Tag für Tag auf höchster Ebene mit zahlreichen französischen Offiziellen und Militärs abgestimmt.«
Ob mit der »höchsten Ebene« auch Mitterrand selbst gemeint sei, wollte ein Reporter wissen. Speakes: »Sie sagen es (You got it).«
Mit dem offiziellen US-Dementi der Mitterrand-»Le Monde«-Version war es nicht getan. Das Weiße Haus schickte noch einen »hohen Beamten« hinterher, der unter der Bedingung, daß seine Anonymität gewahrt werde, einigen Korrespondenten sehr viel weniger diplomatisch und sehr viel deutlicher zu erkennen gab, daß nicht nur Frankreichs, sondern nun auch Amerikas Präsident zutiefst irritiert sei.
»Mitterrand hat zu Haus Probleme«, so der »hohe Beamte«, »und nun drischt er auf uns ein, um sich aus der Affäre zu ziehen. Seine Anschuldigungen entsprechen nicht der Wahrheit. Es waren vielmehr die Franzosen, die uns um die Entsendung der Awacs ersucht haben. Und sie waren es auch, die uns in Sachen
Planung, Streitkräfte und überhaupt nicht konsultiert haben.«
Der Eklat, einer von vielen in den amerikanisch-französischen Beziehungen der jüngsten Vergangenheit, war da - und es spielte eigentlich kaum eine entscheidende Rolle, welche der beiden Seiten tatsächlich im Recht war.
Viel wichtiger war es beiden Parteien, das Engagement im Tschad so weit wie möglich herunterzuspielen, es auf keinen Fall als Aktion, sondern höchstens als Reaktion erscheinen zu lassen.
Reagan selbst hatte das schon in einer seiner ersten Stellungnahmen zum Krieg im Tschad getan, indem er dieses Gebiet der »Einflußsphäre Frankreichs« zurechnete - erstaunlich für einen Präsidenten, dem sonst kein Fleckchen Erde zu entfernt ist, wenn es gilt, Amerikas Militärmacht dem erschreckten Publikum in Manövern vorzuführen.
Doch die US-Regierung weiß inzwischen, daß jegliche militärische Verwicklung in einen außenpolitischen Konflikt bei den Wählern äußerst unpopulär ist: Das Vietnam-Syndrom belastet weiterhin die Versuche Reagans, US-Macht in alle Welt zu projizieren.
Hinzu kam, daß erstmals sogar die amerikanischen Militärs Bedenken anmeldeten: Sie fürchten eine Schwächung der amerikanischen Verteidigungsbereitschaft, wenn sich die Vereinigten Staaten in noch mehr Konfliktgebiete einmischen, nachdem jetzt schon US-Soldaten als Beobachter, Friedenswahrer und Ausbilder an so vielen Stellen des Globus eingesetzt sind wie nie zuvor seit den Tagen des Vietnamkrieges.
Washington beschränkte sich deshalb auch auf die Entsendung von drei Experten. Sie sollen den Soldaten des Tschad zeigen, wie man die 30 - von den USA bereitgestellten - »Redeye«-Flugabwehrraketen bedient. Außerdem verlegte das Pentagon die zwei Awacs-Maschinen in den Sudan und sagte zu, im Notfall Transportmaschinen zur Verfügung zu stellen.
Auch Frankreichs Mitterrand hat bei seinem Engagement im Tschad keine guten Gefühle: Zum einen hatte er einst als Oppositionsführer in der vordersten Reihe derer gestanden, die seinen Vorgänger Giscard d'Estaing wegen dessen militärischer Einmischung im Tschad 1978 kritisierten (damals hatte Paris nach und nach 2500 Fallschirmjäger in den Wüstenstaat entsandt); zum anderen ist Frankreichs Tschad-Vergangenheit nie sehr glücklich gewesen.
Die erste französische Militärintervention begann im August 1968, acht Jahre nach der Unabhängigkeit des Tschad. Präsident war Francois Tombalbaye, ein Christ aus dem Süden, der sogleich auf den Widerstand der Moslems des Nordens traf. Es stand Nord gegen Süd, eine riesige Provinz gegen eine gewalttätige Zentralregierung.
Charles de Gaulle half aus, zuletzt mit 2500 Mann. Im August 1971 erst zog die französische Interventionstruppe wieder ab.
Frieden hatte sie nicht gebracht. Im Gegenteil: Im Sudan hatte sich die Befreiungsfront Frolinat ("Front de la liberation nationale") formiert, der sowohl der Tubu-Häuptlingssohn Gukuni wie auch der Hirtensohn Habre angehörten.
Doch bei Frolinat wurde Habre Anführer, und Häuptlingssproß Gukuni brachte es nur zum Stellvertreter. Das Zerwürfnis war vorprogrammiert. Beide wechselten vielfach die Fronten. Schließlich
sicherte Habre sich die Unterstützung Ägyptens und des Sudan, Gukuni wurde zum Favoriten Gaddafis.
Nachdem aufständische Offiziere 1975 den Präsidenten Tombalbaye ermordet hatten, teilten sich Gukuni und Habre noch die Macht im Tschad. Gukuni wurde Präsident und Habre Verteidigungsminister.
Doch bald wurde mehr geschossen als regiert. Im Mai 1978 schickte Giscard d'Estaing genau wie jetzt Mitterrand mehrere hundert Militärberater in den Tschad, deren Zahl allerdings schnell auf etwa 2500 anwuchs.
Auf Drängen Gukunis zog Paris bis zum Mai 1980 zum zweitenmal seine Truppen aus dem Tschad ab. Doch schon Wochen später enthob Gukuni seinen Minister Habre des Amtes und schloß einen Verteidigungspakt mit Libyen. Habre freilich hatte genug Verbündete, um den Bürgerkrieg weiterzuführen: Paris unterstützte ihn.
Erst nachdem Gaddafi im Dezember seine Panzer auf Ndjamena vorrücken und die Hauptstadt bombardieren ließ, gab sich Habre geschlagen und setzte sich ins Ausland ab. Damit war auch Frankreichs Position als Protektor in vielen afrikanischen Hauptstädten angeschlagen.
Die Wende kam im November 1981: Zum allgemeinen Erstaunen kündigte Gaddafi den Rückzug seiner Truppen aus dem Tschad an. An ihre Stelle rückte eine von mehreren afrikanischen Ländern gestellte Friedensstreitmacht nach.
Habre nahm unterdessen den Guerillakrieg mit CIA-Hilfe vom Sudan aus wieder auf. Im Juni 1982 eroberte er Ndjamena zurück.
Diesmal war er es, der den feindlichen Stammesbruder Gukuni buchstäblich in die Wüste schickte. Diesmal konnte er sich auf den Präsidentenstuhl setzen.
Gukuni zog sich in die Oase Bardai zurück, aus der acht Jahre zuvor Francoise Claustre entführt worden war. Im Juni trat er erneut zum Kampf um die Macht an, jetzt offen von Gaddafi unterstützt.
Als am 25. Juni nach zweitägigem Kampf die strategisch wichtige Oase Faya-Largeau, eine wichtige Station auf dem Weg in Richtung Hauptstadt, in die Hand des Rebellen fiel, blieb Staatspräsident Mitterrand keine Wahl: Er mußte den 1976 vom damaligen Premierminister Jacques Chirac unterzeichneten Beistandspakt mit dem Tschad erfüllen und dem »legitimen« Präsidenten Habre zu Hilfe eilen. Zum drittenmal trafen französische Soldaten im Tschad ein.
Leicht ist Mitterrand die Entscheidung nicht geworden. Der Präsident möchte um jeden Preis vermeiden, daß das sozialistische Frankreich mit der Attitüde der einstigen Kolonialmacht auftritt. Schon unter de Gaulle, dann unter Giscard hatte sich die Linke stets gegen »neokolonialistische Abenteuer« ausgesprochen.
Außerdem will sich Paris in keinem Fall von Washington in Zugzwang bringen lassen und damit den eigenen französischen Interessen schaden. Das erfordert aber wiederum, daß Mitterrand den USA die Initiative nicht völlig überläßt, weil sonst die Gefahr bestünde, daß der französische Einfluß in Afrika abnimmt und der Amerikas steigt.
Zwar hält Mitterrand die Internationalisierung des Bürgerkrieges im Tschad für verhängnisvoll, gleichzeitig aber würde er Libyens Gaddafi liebend gern einen Dämpfer aufsetzen. Das ist so einfach nicht - denn Mitterrand riskiert dabei, den wichtigen Handelspartner und Waffenkunden Libyen zu verlieren.
Die französische Linke ist sich auch nicht einig, wie man die eigenen Interessengegensätze im Tschad mit Anstand überbrücken könnte. Die KP plädiert für Zurückhaltung. Pierre Juquin, Parteisprecher und Mitglied des Politbüros, zum Tschad-Konflikt: »Ich glaube, es ist Frankreichs Interesse, sich so lange wie möglich herauszuhalten.« Die Sozialistische Partei dagegen billigte »ohne Vorbehalt die Politik der französischen Regierung«.
Die aber läuft genau besehen auf eine Eskalation hinaus. Außenminister Claude Cheysson beruhigte die Nation noch Ende Juni mit deutlichen Worten: »Wir werden nicht wie die Vereinigten Staaten in Honduras und Nicaragua handeln.« Gleichzeitig aber warnte er Gaddafi, in den »Krieg der Häuptlinge« einzugreifen: »Frankreich könnte da nicht gleichgültig zuschauen.«
Anfang dieses Monats, als die ersten französischen Paras in Ndjamena eingetroffen waren, ging Verteidigungsminister Charles Hernu dann ein Stück weiter: Frankreich werde sich »genauso verhalten, wie es Libyen tut, außer den Bombardements gegen die Zivilbevölkerung«.
Ende vergangener Woche stand schließlich fest, daß Paris seine Tschad-Streitmacht erheblich aufstocken wird, obwohl Verteidigungsminister Hernu zunächst mehrfach bekräftigt hatte, Frankreichs Militärhilfe werde nicht erweitert. 2000 Fallschirmjäger machten sich zum Tschad-Einsatz bereit. Außerdem ist Paris entschlossen, eine Anzahl von Kampfflugzeugen in den Wüstenstaat zu entsenden.
In Ndjamena wurden vergangene Woche auch mobile Luftabwehrraketen vom Typ »Crotal« erwartet. Frankreichs Streitmacht bezog eine Verteidigungslinie quer durchs Land, mit Schwerpunkten in den Orten Salal, Arada, Biltine, Abeche und Ndjamena.
Nur einen schert das alles wenig - Gaddafi: Ostentativ fuhr er vergangene Woche auf Staatsbesuch nach Tunesien, das er Anfang des Jahres durch Truppenkonzentrationen an der Grenze erschreckt hatte.
Wohlgefällig sonnte er sich im Glanz, die USA und Frankreich auf Kollisionskurs gebracht zu haben. Offen trat er für eine Verhandlungslösung ein. Gaddafi, ganz Staatsmann: »Die beste Lösung ist es, den Tschad den Tschadbewohnern zu überlassen.« Sein Beitrag dazu: Libyens Tschad-Armee soll von etwa 3000 auf 6000 Mann aufgestockt werden.