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SCHULBÜCHER Krieg' ich bezahlt?

aus DER SPIEGEL 4/1952

Dem wachen Sinn des Regierungs- und Schulrats Ohrtmann vom schleswig-holsteinischen Kultusministerium werden es die Kinder des Landes wesentlich zu danken haben, wenn sie noch vor Ostern einen Leitfaden zur Einführung in die gotische (deutsche) Schreibschrift in ihre kleinen Hände nehmen können. Der Schulmann hat sich um diesen Leitfaden insofern besondere Verdienste erworben, als das Buch im »Nachrichtenblatt für das schleswigholsteinische Schulwesen« in einer Genehmigungsliste, deren Hauptsachbearbeiter Ohrtmann ist, als einziges Lernmittelstück für diesen Zweck amtlich genehmigt wurde*). Orthmann hat das schmale Werk (32 Seiten) auch selbst verfaßt.

Daß die Kinder des Landes in gotischer (deutscher) Schreibschrift verfaßte Texte nicht mehr lesen können, seit 1941 die neue Normalschrift eingeführt wurde, hatten Eltern und Lehrer schon so frühzeitig bemängelt, daß im Frühjahr und Sommer 1951 im Kieler Kultusministerium die Frage von Amts wegen ventiliert wurde, wie dem Uebelstand abzuhelfen sei. Das Ergebnis der Beratungen fand seinen Niederschlag in einem Ministerialerlaß vom 28. Juli 1951, in dem es hieß:

* »Es ist erwünscht, daß die Kinder angehalten werden, sich auch mit der gotischen Schreibschrift so weit vertraut zu machen, daß sie sie lesen können ... Ich werde bemüht sein, für die Grundschulklassen in Form einer einfachen Klassen-Lektüre in gotischer Schreibschrift eine geeignete Unterrichtshilfe zu schaffen.«

Diese geeignete Unterrichtshilfe wurde nun freilich nicht in der Form geschaffen, daß man den Schulbuchverlagen des Landes

*) Das Kultusministerium genehmigt in der Regel bestimmte Schulbücher für das Land, für die einzelnen Sparten durchweg einige zur Auswahl der Lehrer. Die Schulen bestellen beim Kultusministerium, das dann mit den Verlegern verhandelt und sie kauft, wodurch es als engros-Käufer 30 Prozent Rabatt bekommt. den Auftrag gab, sich um ein einschlägiges Werk zu bemühen und dann unter mehreren etwa das beste Lehrbuch auswählte. Der Regierungs- und Schulrat Ohrtmann stellt es heute so dar, er habe damals nach der Tagung eines Referentenausschusses im Kieler Kultusministerium den Auftrag erhalten, einen Leitfaden zum Verständnis der gotischen Schreibschrift zu verfassen.

Da Ohrtmann offensichtlich nicht gewillt war, dies nun in seiner Eigenschaft als Regierungs- und Schulrat unentgeltlich zu tun, fragte er vorsichtshalber nach: »Krieg'' ich dafür bezahlt?« Und er entsinnt sich heute: »Man hat mir gesagt, dafür müsse ich selber sorgen.«

Der Pädagoge forderte nun drei Verlagsangebote ein, von denen das des Rendsburger Verlags Möller-Söhne am günstigsten lag. Mit diesem Verlag schloß Broschüren-Autor Ohrtmann ab, und am 12. November 1951 wurde in der amtlichen Genehmigungsliste für Schulbücher, deren Hauptsachbearbeiter wiederum Ohrtmann ist, das Heft Ohrtmann: »Von der Schrift und vom Schreiben« als einziges amtlich genehmigt. Wie hoch die Auflage insgesamt, werden wird, weiß Orthmann noch nicht. »Aus 15 von 21 Kreisen des Landes liegen die Bestellungen bis jetzt vor.«

Im Augenblick sitzt der Pädagoge gerade über Aenderungsvorschlägen für die Grundschullehrpläne. Den vier Grundschulklassen will er, freilich nicht in seiner Eigenschaft als Buchautor, sondern als Regierungs- und Schulrat des Kultusministeriums, ab Ostern 1952 von Amts wegen zur Pflicht machen: »Am Ende der vierjährigen Grundschulzeit müssen die Kinder die deutsche Schreibschrift lesen können.«

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