Philipp Peyman Engel

Kritik an Simon Wiesenthal Center Warum ich diese Antisemitismus-Liste nicht mehr ernst nehme

Philipp Peyman Engel
Ein Gastbeitrag von Philipp Peyman Engel, Chef vom Dienst bei der »Jüdischen Allgemeinen«
Das Simon Wiesenthal Center war eine hochgeachtete Institution. Doch mit seinen teils abwegigen Judenhass-Vorwürfen hat es sich selbst diskreditiert.
Abraham Cooper (r.) vom Simon Wiesenthal Center in Los Angeles

Abraham Cooper (r.) vom Simon Wiesenthal Center in Los Angeles

Foto: Nick Ut/ AP

Seit einiger Zeit tauschen wir in unserer Redaktionskonferenz bei der »Jüdischen Allgemeinen« nur noch vielsagende Blicke, wenn der SPIEGEL, die Deutsche Presse-Agentur oder andere Medien die jährliche Antisemitismus-Liste des Simon Wiesenthal Centers zitieren. Bei uns hatte die Liste zuletzt nur noch Kopfschütteln ausgelöst.

Das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, kurz SWC, ist ein trauriger Fall. Eine einstmals hochgeachtete Institution mit geschätzten Mitarbeitern und mit wichtigen Funktionen für jüdisches Leben hat sich selbst diskreditiert. Trotz eines Namensgebers, dessen Lebenswerk gar nicht genug gewürdigt werden kann. Die Selbstdemontage des Centers um Rabbiner Abraham Cooper geht so weit, dass seine Einschätzungen Deutschlands wichtigster jüdischer Zeitung kaum noch eine Meldung wert sind.

Es gehöre sich nicht, schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen, höre ich schon jetzt die Kritik aus der jüdischen Bubble. Dieser Text hier sei doch nur das Koscher-Siegel für die kritischen Berichte des SPIEGEL zur Wiesenthal-Liste.

Der SPIEGEL und die Juden – in den vergangenen Jahren war es keine störungsfreie Beziehung.

Trotzdem finde ich es richtig, diesen Text hier auch für eine Leserschaft zu schreiben, die in der Mehrheit nicht jüdisch ist: Weil es eben nicht egal ist, wer etwas sagt. Weil die große Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft nur ein müdes Lächeln für die jährliche Wiesenthal-Liste übrig hat. Wohingegen der Reflex von nichtjüdischen deutschen Journalisten – zum Glück – ist, eine solche Liste erst einmal sehr ernst zu nehmen.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist zu ernst, um ihn so zu führen, wie es das Wiesenthal Center mit der Liste leider getan hat. Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume wurde hier 2021 zusammen mit den Mullahs in Teheran aufgelistet. Im Ernst? Oder Bundeskanzlerin Merkels damaliger Chefdiplomat Christoph Heusgen, dessen Äußerungen zu Israel man mit gutem Grund kritisieren kann: Seite an Seite mit antisemitischen Killern? Oder Jakob Augstein: Zu Recht wurde er für Äußerungen massiv kritisiert. Aber durch die Liste des Wiesenthal Centers stand er plötzlich auf einer Stufe mit dem Attentäter von Halle, der möglichst viele Juden umbringen wollte.

Würde demnächst gar unsere Zeitung, die »Jüdische Allgemeine«, auf der Liste stehen? Das haben wir uns bis vor einigen Tagen gefragt. Ähnlich wie bei Blume wurde aus dem Umkreis des Wiesenthal Centers monatelang Stimmung gegen einen unserer Redakteure gemacht. Ihm wurde gar eine Nähe zum Mullah-Regime in Teheran unterstellt.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre.

Wir deutschen Juden können die Wiesenthal-Liste inzwischen einordnen. Vom Zentralrat der Juden über die Jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg bis zu Institutionen wie Makkabi haben sich viele schützend vor Michael Blume gestellt, als dieser auf der Liste stand. Doch aus dem Ausland kommen bis heute bestürzte Nachfragen. »Was ist denn bei euch in Deutschland los?«, hört unsere Redaktion gelegentlich von Gesprächspartnern aus den USA: »Ein Antisemitismusbeauftragter, der Antisemit ist?«

Sie nehmen die Liste ernst. Und sind entsetzt, dass ein Judenhasser einen solchen Posten bekommen haben soll. Blume mag auf Social Media nicht immer glücklich agieren. Ihn aber auch nur in die Nähe des Antisemitismus zu rücken, ist Fake News. Und obwohl ihn so viele in Schutz genommen haben, bleibt leider immer etwas hängen.

Das Wiesenthal Center mit seinem Namensgeber, dem Schoa-Überlebenden, Nazi-Jäger und unermüdlichen Zeitzeugen, steht auf den Schultern eines Giganten. Über seine Prinzipien schrieb Simon Wiesenthal einst: »Der erste Grundsatz ist ›Zuerst Wahrheit, dann Gerechtigkeit‹.«

Wahrheit statt Fake News: Für Simon Wiesenthal war das eine Selbstverständlichkeit. Zum Selbstverständnis des Simon Wiesenthal Centers gehört dies offenkundig nur sehr bedingt.

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