Zur Ausgabe
Artikel 17 / 81

DDR Kritischer Faktor

Erich Honeckers milde Kirchenpolitik stößt in der SED auf Widerstand. Spitzen-Genossen fürchten Zersetzung. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Der atheistische Genosse wünschte den Christen alles Gute. Er sei überzeugt, so verkündete Wolfgang Heydrich (SED), Vize-Oberbürgermeister von Schwerin, daß die Katholiken »auch in Zukunft ihren guten Platz in unserer Stadt haben«.

Die Gesellschaft der DDR, so Ehrengast Heydrich im September bei der Einweihung der renovierten Propsteikirche St. Anna, brauche die Katholiken und rufe sie zur gesellschaftlichen Mitverantwortung.

Heydrichs Eloge paßt kaum zur marxistisch-leninistischen Staatsideologie, wonach die Religion im Sozialismus allmählich abstirbt, zeigt aber ein Stück kommunistischer Realpolitik: Im Verhältnis zu den beiden ostdeutschen Kirchen, der großen evangelischen (gut sieben Millionen Mitglieder) und der kleinen Diaspora-Herde der Katholiken (rund eine Million Seelen), setzt SED-Chef Erich Honecker seit Jahren lieber auf maßvolle Zusammenarbeit als auf ihr Aussterben.

Unter dem Motto »Kooperation statt Konfrontation« hatte Erich Honecker 1978 eine Wende in der Kirchenpolitik der SED eingeleitet. Damals traf sich der Staatsratsvorsitzende in seinem Amtssitz am Ost-Berliner Marx-Engels-Platz mit den Spitzen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, darunter den _(1978 in seinem Amtssitz. )

Bischöfen Werner Krusche und Albrecht Schönherr, zu einem christlich-sozialistischen Gipfel. Seither bemüht sich die ostdeutsche Staatspartei, die Christen ins Regime zu integrieren und deren vielfältige Benachteiligungen in der DDR-Gesellschaft abzubauen; die Kirche ihrerseits verpflichtete sich zu loyaler Mitarbeit im SED-Staat.

Doch mit dem Gebandel zwischen Staat und Kirchen soll es, nach dem Willen einiger Mitgenossen Honeckers im Politbüro der SED, bald vorbei sein. Seit langem ist ihnen der Umgang ihres Chefs mit den Christen ein realsozialistisches Ärgernis. In einer Politbüro-Sitzung am 24. September begehrten Hermann Axen, zuständig für die Auslandsbeziehungen der Partei, und der Berliner Parteichef Konrad Naumann offen gegen Honecker auf. Beifall bekamen sie von Verteidigungsminister Heinz Hoffmann.

Wohin der Kirchenkurs des Generalsekretärs führe, so das Trio, sei gerade erst in Dresden bei der Synode des längst nicht mehr loyalen Bundes der Evangelischen Kirchen deutlich geworden. Dort habe der Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, einer der führenden politischen Kirchenköpfe der DDR, nicht nur Reiseerleichterungen für ostdeutsche Bürger gefordert, sondern auch die DDR-Regierung gemahnt, die Menschenrechte zu achten.

Die Attacke im Politbüro kam nicht aus heiterem Himmel: Die Sowjets verfolgen Honeckers Kirchenpolitik mit wachsendem Mißtrauen, seit die SED zum Lutherjahr 1983 den christlichen Reformator dem sozialistischen Erbe einverleibt und dadurch zwangsläufig die Kirche weiter aufgewertet hat.

Im Frühjahr dieses Jahres begutachtete der Vorsitzende des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR, Konstantin Chartschew, die Lage vor Ort. Fazit seiner Visitation: Zumindest die evangelische Kirche sei längst zu einem kritischen Faktor der sozialistischen Gesellschaft geworden; die Entwicklung könne der SED irgendwann aus der Hand gleiten.

Das fürchten auch die Honecker-Kritiker in der eigenen Partei.

Die katholischen Oberhirten wiederum sind ihnen suspekt, weil sie, anders als ihre protestantischen Mitbrüder, jeden über das notwendige Minimum hinausgehenden Kontakt zum SED-Regime vermeiden. Der Vorsitzende der Berliner Bischofskonferenz, Joachim Kardinal Meisner, ist einem Treffen mit Honecker bis heute ausgewichen.

Das Entgegenkommen des Staates, klagen die Genossen, werde vom katholischen Klerus nicht honoriert. So habe er den für Sommer 1987 in Dresden geplanten DDR-Katholikentag bereits öffentlich gemacht, obwohl das endgültige Plazet der Behörden noch ausstehe.

Auch bei der Kirchweihe in Schwerin revanchierte sich Generalvikar Monsignore Josef Michelfeit für die Segenswünsche der Staatspartei mit dem ruppigen Hinweis, die Christen in der DDR möchten »wenigstens ab und zu« mal ein Objekt mit eigenen Mitteln, gegen DDR-Mark, errichten dürfen - Kirchenbauten genehmigt die SED nur gegen Devisen westlicher Glaubensbrüder.

Mehr noch als die auf Abgrenzung bedachten Katholiken freilich fürchten Verteidigungsminister Hoffmann und Genossen die staatszersetzende Wirkung der kooperationswilligen Protestanten. _(1984 in der Ost-Berliner Erlöserkirche. )

Als am 5. November ein Jahrgang von Wehrpflichtigen zur Nationalen Volksarmee einrückte, wanderten rund 50 junge DDR-Bürger statt in die Kaserne ins Gefängnis. Sie hatten den Dienst aus Gewissensgründen verweigert.

Wenige Tage später verkündeten evangelische Pfarrer die Nachricht von der Kanzel - einer von ihnen, der Ost-Berliner Pfarrer Michael Passauer, übers Westfernsehen direkt in die DDR-Stuben. Und in der Samariter-Gemeinde des Ost-Berliner Pfarrers Rainer Eppelmann, eines der Wortführer der kirchlichen Friedensbewegung, läuft derzeit eine Ausstellung mit schlichten Karikaturen, die Behördenwillkür und fehlende Menschenrechte anprangern.

Auf einer ist ein Mann zu sehen, der von einem Wärter aus einer Gefängniszelle geleitet wird - mit dem Satz: »Sie sind jetzt frei.«

Der Hof, auf den der Freigelassene tritt, ist von einer hohen, stacheldrahtbewehrten Mauer umgeben.

1978 in seinem Amtssitz.1984 in der Ost-Berliner Erlöserkirche.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 17 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren