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DIPLOMATIE Krolls Bekenntnisse

aus DER SPIEGEL 48/1961

Bonns Botschafter in Moskau, Hans Anton Kroll, wegen eines allzu schneidigen Spähganges für den Dienstag letzter Woche zum Rapport an den Rhein befohlen, traf im Palais Schaumburg auf einen jovialen Dienstherrn.

»Nun erzählen Sie mal der Reihe nach«, so empfing Kanzler Adenauer leutselig seinen verwegenen Moskauer Legaten, »wie ist das nun eigentlich losgegangen? Zuerst sprachen Sie doch mit Herrn Gromyko bei der Revolutionsfeier, und dann hat Herr Chruschtschow Sie zu sich bestellt?«

Ohne persönlichen Tadel verabschiedete Adenauer den Botschafter zwei Stunden später mit dem freundlichen

Rat: »Nun hören wir aber mal ein bißchen mit der Presse auf, Herr Kroll.«

Vom Kanzler-Palais Schaumburg fuhr Hans Kroll zum Bierhaus »Salvator« in die Bonner Innenstadt, wo er mit Sohn Hans-Peter, der in München, und Tochter Ingrid, die in Bonn die Jurisprudenz studiert, bei Abendbrot und dunklem Paulaner-Bräu zwei Stunden lang aufgeräumt schwadronierte.

Das diplomatische Abenteuer des Hans Anton Kroll ("Mit den Russen gut auszukommen, fällt mir leichter als mit einem eingebildeten Engländer"), das so gutbürgerlich ausklang, hatte auf dem russischen Revolutions-Cocktail am 7. November im Kreml begonnen. Chruschtschow bat damals seinen Gast für zwei Tage später zu vertraulicher Unterredung in den Kreml.

Am 9. November palaverte Kroll, der sich in acht Sprachen verständigen kann, 105 Minuten lang mit Chruschtschow in fließendem Russisch, wobei er nach eigenem Zeugnis »auf eigene Gedanken« zur Berlin- und Deutschland-Frage »zurückgriff«, nachdem ihn Chruschtschow gefragt hatte: »Sagen Sie mir, wie wir aus der schwierigen Lage herauskommen sollen.«

Vor dem Besuch hatte Kroll seinem amerikanischen Kollegen Thompson den Termin dieses Gesprächs mitgeteilt, aber erst tags darauf informierte er die Botschafter aller drei Westmächte in seiner Residenz an der Moskauer Bolschaja Grusinskaja Uliza, Nummer 17, ausgiebig über dessen Inhalt.

Da war das Malheur jedoch schon passiert: In der voraufgegangenen Nacht vom 9. auf den 10. November, zwischen zwei und drei Uhr früh, waren drei Korrespondenten ("Messagero«, Reuters, Associated Press) per Telephon aus dem Bett geklingelt worden. Der Anrufer, dessen Identität die drei verschweigen, verriet den Zeitungsleuten auf russisch, zwischen Chruschtschow und Kroll sei ein neuer Fahrplan der sowjetischen Berlin- und Deutschland-Politik besprochen worden:

- Die vier Berliner Kontrollmächte

schließen ein Abkommen über einen Westberlin-Status, der die Grundrechte der Westberliner und freie Verbindungswege zwischen Westberlin und der Bundesrepublik garantiert.

- Die Sowjetzone erkennt in einem Sondervertrag mit Moskau das Viermächte-Abkommen über den Status Westberlins an.

- Die Westmächte einschließlich der Bundesrepublik verpflichten sich, die Souveränität der Zone zu »respektieren«.

- Die vier Siegermächte handeln mit

der Bundesrepublik und der Zone einen Friedensvertrag aus.

Dieses Vier-Punkte-Programm war nicht neu. Bereits Ende September hatte Sowjet-Außenminister Gromyko es seinem amerikanischen Kollegen Rusk im New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel dargelegt. Einen Monat später, während des Parteitages der KPdSU, diskutierten die Moskauer Außenamts-Stellvertreter Sorin und Semjonow in kleinem Arbeitszirkel die gleichen Punkte. Und schließlich brachte beim Revolutions -Empfang im Kreml am 7. November auch Gromyko das Thema im Gespräch mit den Botschaftern aus Bonn, Paris und London aufs Tapet, wobei er den US-Botschafter Thompson geflissentlich überging.

Neu dagegen war, daß nun angeblich der deutsche Botschafter in Moskau diese Vorschläge, ins Spiel gebracht haben sollte - und zwar ausgerechnet zu einer Zeit, da die anglo-amerikanische Diplomatie in Sachen Berlin ausschließlich aus Rücksicht auf die wochenlange Bonner Koalitions-Händelei untätig verharrte.

Die Reaktion in den Hauptstädten war entsprechend. Das »Gespenst von Rapallo« geisterte durch die diplomatischen Kanzleien an Potomac, Themse und Seine*. Das Mißtrauen gegen die Deutschen schäumte so sehr auf, daß Botschafter Kroll sogar verdächtigt wurde, selbst die nächtlichen Anrufe bei den Korrespondenten veranlaßt zu haben.

Konsterniert beorderte Adenauer seinen Botschafter nach Bonn und ließ - ohne Krolls Ankunft abzuwarten - den Regierungen der USA, Englands und Frankreichs mitteilen, Kroll sei auf eigene Faust vorgeprellt.

Denn auch die Bundesregierung hielt im Fall des Hans Anton Kroll zunächst alles für möglich: Von jeher vertrat der Botschafter, der sich in Moskau als legitimer Nachfolger des ehemaligen preußischen Gesandten in Petersburg. Otto von Bismarck, fühlt und dessen »Gedanken und Erinnerungen« stets auf dem Nachttisch liegen hat, die selbstbewußte Ansicht, ohne ihn käme das Rad der Geschichte nicht richtig in Schwung.

Im Jahre 1923 Botschafts-Attaché in Madrid, ersuchte Kroll das Außenamt in der Berliner Wilhelmstraße um seine Versetzung nach Moskau. Grund: »Es war mir in Spanien einfach zu langweilig.«

1955 Botschafter in Tokio, schrieb Kroll seinem Fürsprech im Palais Schaumburg; dem Kanzler-Staatssekretär Dr. Globke, er wolle aus Japan weg, und zwar wiederum nach Moskau - »aber nicht als Briefträger«, sondern um »politisch aktiv« zu werden.

In Moskau rühmte sich Kroll alsbald: »Ich bin kein Cocktail-Botschafter. Ich

bin auch nicht hierhergefahren, um Kaviar zu essen.« Und später: In den anderthalb Jahren, die ich jetzt hier bin, hat kein anderer Missionschef so oft mit Herrn Chruschtschow gesprochen wie ich.«

Sein Moskauer Amt kommandiert Kroll, den die West-Kollegen untereinander »the German sergeant« nennen, mit intensivem Ordnungssinn: »Meine Botschaft ist eine diplomatische Musterfarm.«

Zu eigener Initiative fühlt sich »der deutsche Feldwebel« oft genug gedrängt, weil dem Bonner Außenamt für die Mission in Moskau kaum je etwas einfällt: »Weisungen von der Zentrale? Darin bin ich immer Selbstversorger gewesen.«

Der Botschafter leidet freilich nicht darunter, daß es dem Bonner Außenamt an Phantasie gebricht: »Die Entscheidungsfreiheit, die ich habe, ist mit der anderer Missionschefs gar nicht zu vergleichen. Welcher Posten käme für mich denn rangmäßig noch in Frage?

Washington? Da ist die Entwicklung, da sind die Aufgaben, die der deutsche Botschafter zu erledigen hat, doch rückläufig, aber hier in Moskau kann es nur aufwärtsgehen.«

Selbst als es nun in der vergangenen Woche in den Augen aller. Welt mit Kroll abwärts zu gehen schien, verlor er nichts von seinem Selbstbewußtsein.

Letzten Dienstag bei der Ankunft auf dem Bonner Flughafen Wahn tönte der Botschafter, dessen Abberufung in der deutschen Presse jenes Tages als wahrscheinlich gemeldet wurde: »Dieses Gespräch (mit Chruschtschow) war ein unverbindlicher, inoffizieller Gedankenaustausch, der zwei Zielen diente. Einmal der Erkundung der sowjetischen Haltung zu den schwebenden Problemen und der Entspannung, und ich glaube, daß beide Ziele, das kann ich ohne Übertreibung sagen, durch dieses Gespräch in vollem Umfang erreicht worden sind.«

Auf die Reporter-Frage »Werden Sie, Herr Botschafter, wieder nach Moskau gehen?« antwortete Kroll: »Das hängt von dem Herrn Bundeskanzler ab. Wenn ich nicht hingehen sollte, dann kann ich Ihnen verraten, daß sich einer besonders darüber freuen würde, nämlich Herr Ulbricht.«

Sicher ist, daß vielleicht nicht unbedingt Ulbricht, aber gewiß manch diplomatischer Kollege, den Kroll auf seinem Vormarsch nach oben beiseitegewalzt hat, sich über ein Stolpern des Bismarck-Fans freuen würde. Und erst durch die Mithilfe zweier solcher Kroll -Kollegen wurde denn auch letzte Woche die Kroll-Oper zu einem diplomatischen Bühnen-Skandal. Die beiden sind:

- der US-Botschafter in Moskau,

Llewellyn Thompson,

- der Bundespressechef Felix von

Eckardt.

Der Amerikaner Thompson kann Kroll nicht ausstehen, weil der Deutsche ihn in Moskau ständig an die Wand zu spielen sucht. Schon im Juni 1960 berichtete der SPIEGEL in einer Kroll -Titelgeschichte: »US-Botschafter Thompson verließ im vorigen Jahr wütend einen Empfang, nachdem er sich lange vergebens bemüht hatte, ein paar Worte mit Nikita Chruschtschow zu wechseln. Hans Kroll hatte dem Sowjet-Premier den Weg zu anderen Gesprächspartnern verstellt.«

Nachdem dann auch auf dem russischen Revolutions-Cocktail am 7. November 1961 Außenminister Gromyko wieder mit Kroll, aber nicht mit Thompson gesprochen und der deutsche Botschafter zwei Tage später mit Chruschtschow konferiert hatte, ohne anschließend sofort seine westlichen Kollegen zu informieren, berichtete der US-Diplomat über den ominösen Vier-Stufen-Plan und Krolls Demarche beim Kreml verärgert nach Washington. Thompson erwähnte dabei nicht, daß Kroll dem Sowjet-Boß »private Gedanken« vorgetragen habe. Der Rapallo-Alarm war ausgelöst.

Daraufhin trat in Bonn als zweiter Kroll-Kollege Bundespressechef Felix von Eckardt auf den Plan. Auch er war schon früher mit Kroll zusammengestoßen. Als Kroll Anfang 1959 nach Bonn gekabelt hatte, ein Gespräch, das er mit Chruschtschow führte, habe »wichtige Aufschlüsse« über die sowjetische Deutschlandpolitik erbracht, interpretierte Pressechef von Eckardt diesen Bericht öffentlich so: »Nichts Neues.«

Am Montag vergangener Woche klang das diplomatische Lob, das der Ex-Botschafter von Eckardt seinem Kollegen für dessen neue Aktion zollte, noch fragwürdiger: »Herr Botschafter Kroll hat in seinem Gespräch mit Ministerpräsident Chruschtschow am 9. November, ohne dazu von der Bundesregierung autorisiert zu sein, eigene Gedanken zur Lösung der Deutschland - und Berlin-Frage vorgetragen.«

Schon in seinem Schwatz mit der Presse auf dem Flughafen Wahn ging Kroll bei seinem Eintreffen in Bonn zum Gegenangriff über: »Ich hätte es begrüßt, wenn mein Freund Eckardt gewartet hätte, bis ich meinen Bericht erstattet habe, bevor er dazu Stellung nimmt.«

Dazu wiederum von Eckardt: »Der Unterschied zwischen meiner Erklärung vor der Bundespressekonferenz und der des Botschafters Kroll gegenüber Chruschtschow ist, daß ich dazu autorisiert war, Herr Kroll nicht.«

Allein, nach dem Besuch des Botschafters beim Bundeskanzler erwies sich, daß Stehaufmännchen Kroll mit seinem grenzenlosen Selbstvertrauen härter im Nehmen ist als alle anderen Bundesdiplomaten. Er konnte den Kanzler überzeugen, der für ihn seit je eine Schwäche hat, nicht unzulässig gehandelt und keine Indiskretionen begangen zu haben.

Obwohl bis heute außer Chruschtschow und Kroll niemand mit Sicherheit weiß, was die beiden nun wirklich miteinander besprochen haben - fest steht nur, daß Kroll die längste Zeit redete -, verfügte Konrad Adenauer statt Krolls Abberufung seine Rückkehr nach Moskau für Montag dieser Woche und schaltete ihn sogar in die vorbereitenden Gespräche für die eigene Reise nach Washington ein.

Wenig später rehabilitierte der Kanzler Kroll öffentlich: Das Gespräch des Botschafters mit Chruschtschow sei »nicht uninteressant« gewesen; es werde demnächst am Schwarzen Meer fortgesetzt, wohin der Sowjet-Boß den deutschen Botschafter eingeladen habe - ob vor oder nach dem Anpfiff aus Bonn, ist Krolls Geheimnis.

Felix von Eckardt gab klein bei und gestand letzten Freitag vor der Bundespressekonferenz: »Herr Kroll hat sich wohl selbstverständlich so verhalten, wie sich jeder Botschafter in einer solchen Situation zu verhalten hat.« Hans Anton Kroll war wieder obenauf. Nacheinander machte er wie ein durchreisender Staatsmann Besuch bei FDP-Major Erich Mende, dem CDU -Papa Heinrich Krone und dem SPD -Vorsitzenden Erich Ollenhauer.

Auf Bitten des Kanzlers schlug er zwar eine Einladung des Bonner Presseclubs aus. Vor dem Mikrophon und den Kameras des Deutschen Fernsehens aber sprudelten vor seiner Abreise dann doch noch die Bekenntnisse des Hochschauklers Kroll nur so aus ihm heraus:

»Mir sind in den letzten Tagen aus allen Kreisen der Bevölkerung zahllose Telegramme und Zuschriften zugegangen, in denen ich beglückwünscht wurde für meine Initiative und in denen ich gebeten wurde, mich auch weiterhin so energisch einzusetzen, wie ich es getan habe.«

* Der deutsche Außenminister Rathenau

und der sowjetische Außenkommissar Tschitscherin verzichteten 1922 im Vertrag von Rapallo gegenseitig auf alle Kriegsfolgen-Ansprüche, die den beiden Staaten aus dem Ersten Weltkrieg erwachsen waren.

Süddeutsche Zeitung

»Machen Se zu, Kroll, Sie jecke Möp ...«

Kroll-Kommentotor Eckardt*

Noch dem Anpfiff aus Bonn ...

Chruschtschow-Besucher Krolle

... eine Einladung ans Schwarze Meer?

* SPIEGEL-Titel 6/1957.

** SPIEGEL-Titel 23/1980.

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