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Berlin Krone im Osten

Den Umbau des symbolträchtigen Alexanderplatzes in Ost-Berlin will eine nostalgische »Bürgervertretung« verhindern.
aus DER SPIEGEL 13/1994

Ungeübt spricht Joachim Schmidt in das Mikrofon. »Ich habe keine Architekturausbildung«, sagt der weißhaarige Mann zornig: »Aber ich habe 'ne Datsche gebaut.«

Gut 200 meist ältere Zuhörer klatschen. Schmidt gehört zu einer Gemeinschaft, die sich spätabends in der Aula des Ost-Berliner Max-Planck-Gymnasiums eingefunden hat.

Sie alle wollen die Umgestaltung des Alexanderplatzes im Bezirk Mitte verhindern. Für sie ist der Alex, nach dem Palast der Republik, das zweite architektonische Symbol im Osten der Hauptstadt, das es gegen einen übermächtigen Westen zu verteidigen gilt.

Von dort aus drängen Investoren auf den weiträumigen und windigen Platz. Architekt Hans Kollhoff, der den Wettbewerb zur Alex-Neugestaltung gewann, kommt aus dem Westteil der Stadt. Auch die verantwortlichen Politiker, Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) und sein Bau-Kollege, Wolfgang Nagel (SPD), stammen von dort.

Die Wucht, mit der die »Kapitalkräfte«, so ein Anwohner, den Platz mit 150 Meter hochstrebenden Wolkenkratzern umzingeln wollen, hat die Ostler verschreckt. »Der Architekturentwurf«, sagt Schmidt, »kam als total überraschender Angriff auf die Bevölkerung, die hier wohnt.«

Schmidt und Genossen gründen an diesem Abend die »Bürgervertretung Alexanderplatz«. Mit ihr sympathisieren Leute aus allen Schichten, Grüne und die PDS, Pfarrer und Hausfrauen.

Ulf Lunow, der erkrankte Pastor von Sankt Marien, hat eine Grußbotschaft geschickt: »Werden die Kathedralen des Geldes und der Macht den Platz bestimmen«, fragt der Seelsorger der alten kleinen Kirche, die neben dem Fernsehturm auf dem weitläufigen Gebiet südwestlich vom Alex liegt, »oder wollen wir einen Platz in der Mitte unserer Stadt, wo ganz verschiedene Menschen sich begegnen?«

Um Stadtplanung geht es bei der Debatte über Kollhoffs »Hochhausgewitter« (Tageszeitung) nur am Rande. Der Widerstand speist sich vielmehr vor allem aus ebenso diffusen wie tiefsitzenden ostdeutschen Ängsten. Kollhoff, sagt der Ost-Berliner Architekt Wolfgang Kil, wolle am Alex eine »synthetische Mega-City« errichten; das Zentrum der Hauptstadt werde profitgierigen Investoren überlassen.

Die Vision von Manhattan erschreckt vor allem Ost-Berliner, die im engen SED-Sozialismus groß geworden sind. Er wolle kein New York auf dem Alex, sagt Rentner Gerd Schendel, 61, der seit einem knappen Vierteljahrhundert am Platz wohnt: »Ich will ein Zentrum, wo man lebt, wo die Kinder spielen können, so wie es vorher war.«

War es vorher so? Im nostalgischen Rückblick wird die zugige Betonwüste verklärt. Selbst viele Ost-Berliner, die den Alex heute gegen die »Überwältigung« (Kil) aus dem Westen verteidigen, hielten ihn zu DDR-Zeiten für einen toten Platz. Einzig zu den Jubeltagen der Republik wurde er so aufwendig wie mühsam für ein paar Stunden zum Volksfest-Rund umfunktioniert.

Der Ost-Berliner Schriftsteller Rolf Schneider beschrieb den Platz als »diffuse Freifläche, die den Menschen das Frösteln beibringt«. Der Ort hat eine wechselhafte Geschichte. Bis Ende des vergangenen Jahrhunderts war der Alex ein Viehmarkt vor den Toren der Stadt, den Berlinern als Ochsenmarkt geläufig. Seinen heutigen Namen erhielt er 1805, als der russische Zar Alexander I. den Preußenkönig besuchte.

Anfang des Jahrhunderts wuchs der Alex zum Milieu, so wie es der Arzt Alfred Döblin, der in der Nähe des Platzes seine Praxis hatte, 1929 in seinem weltberühmten Roman »Berlin Alexanderplatz« beschrieb. Im Krieg wurde der Platz, den die SS noch im April 1945 aus den U-Bahn-Schächten heraus verteidigte, fast völlig zerstört.

Den Rest demolierten die DDR-Machthaber. Sie errichteten einen Platz mit wenig Grün, dafür Beton und Platte, nach Norden hin weit geöffnet zu einer gigantischen Straßenkreuzung.

Joachim Näther, 69, der als Ost-Berliner Chef-Architekt vor einem Vierteljahrhundert mit seinem Kollektiv den Platz wieder aufbaute, wohnt in einem Plattenbau, unweit vom Alex. »Normalität ist in Deutschland doch nicht erreichbar, indem man die gesamte DDR-Architektur abreißt«, klagt er. Es könne doch nicht sein, »daß man 40 Jahre Geschichte niederwalzt«.

Der Architekt gehört zu den Organisatoren des Widerstandes gegen die Umgestaltung. Die »Schlacht um den Alex«, prophezeit er, werde eskalieren, denn die Ablehnung des Kollhoff-Projekts habe »eine Massenbasis«.

Stadtentwickler Hassemer erhofft sich von der Umgestaltung des Alex genau das, was die »Bürgervertretung« einfordert: einen lebendigen Platz, gesäumt von Arbeitsplätzen und Wohnungen. »Die Stadtkrone der Paläste«, schwärmt der Christdemokrat über den Kollhoff-Entwurf, »wird im Osten liegen.«

Kollhoff hat in seinem Entwurf Kneipen und Kinos, Galerien und Läden, Restaurants und ein Sportcenter vorgesehen. Auch die Straßenbahn, die in den zwanziger Jahren über den Platz rumpelte, soll wieder fahren. Geplant ist, sie um eine riesenhafte Glaskuppel kurven zu lassen, durch die Fußgänger in den U-Bahnhof hinabsehen können.

Näthers berühmter Ost-Kollege, der Architekt Hermann Henselmann, 89, hält den Widerstand gegen den neuen Alex für »DDR-Hysterie«.

»Eine Menge wird abgerissen, na und?« sagt Corbusier-Schüler Henselmann, der in den fünfziger Jahren die Zuckerbäckerbauten der Ost-Berliner Stalinallee entworfen und den Fernsehturm hinterm Alex maßgeblich projektiert hat. Ihm gefällt der Entwurf.

»Ich will bauen, das heißt immer, ich will Hoffnung vermitteln«, sagt Henselmann. Von »dieser aufgeblasenen Diskussion übers Plattmachen, über BRD und DDR« hält er nichts. »Ost und West«, so sein salomonisches Urteil, »sind doch nur Himmelsrichtungen.« Y

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