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Kuba: Deutsche fragen nach Polit-Häftlingen

Bei den elften »Weltjugendfestspielen« in Havanna feiern neun Tage lang 16000 jugendliche Gäste aus dem Ausland, darunter auch 340 aus der Bundesrepublik. Die Gefangenenhilfsorganisation »Amnesty International« stellte fest, daß noch 3000 politische Gefangene in 43 Haftanstalten und Arbeitslagern Kubas einsitzen.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Für die 40 000 jungen Kubaner, die nach Übersee kommandiert sind, kommt neun Tage lang fröhlicher Er-Satz auf die Karibik-Insel: 16 000 ausländische Gäste der XI. »Weltjugendfestspiele«, die vorigen Freitag im »Lateinamerika-Stadion« von Havanna mit Marschmusik und Rumba eröffnet wurden.

Es war ein historischer Tag: Die Festspiele, eine von Stalin erfundene rote Anti-Olympiade, finden erstmals in ihrer Geschichte in einem Land außerhalb Europas statt. Im wieder aktuellen Kampfanzug genoß Fidel Castro den Beifallssturm der Zugereisten: Die letzte Führungsfigur des internationalen Kommunismus, die man sich noch ohne Not als Revolutionär vorstellen kann, muß was fürs Image tun.

Das Festival soll unter anderem auch den schlechten Eindruck tilgen, den Kubas Intervention in Afrika auf manche Afrikaner macht, auf die Chinesen und die Amerikaner ohnehin, doch neuerdings sogar auf Jugoslawiens Tito.

Castros Festival-Gäste kommen aus 166 Ländern -- 40000 schickte der Ostblock, halb soviel reisten aus Westeuropa an. 400 Abgesandte aus Italien haben sich vorgenommen, in Havanna den Abzug der wahrscheinlich 4000 Mann kubanischer Hilfstruppen aus Somalia zu verlangen.

Kubas Regierung nutzte das Fest für eine Generalüberholung öffentlicher Anlagen: In unbezahlter Feierabend-Arbeit strich die örtliche Jugend Fassaden und renovierte Gehsteige, unter dem Slogan: »Kuba -- ein Garten«. Havannas Schuhputzer mußten für die Dauer des Weltmeetings in Urlaub gehen.

Im Park »Rio Cristal« musiziert ein Gewerkschafts-Ensemble, im Kino »Acapulco« gibt es Polit-Songs. Insgesamt sind 1250 Laienkünstler und 180 Berufssolisten aufgeboten. Eine große Ausstellung in der 23. Straße unterrichtet die Gäste über die Privilegien der kubanischen Jugend, vor allem die Teilnahme an der Zuckerernte.

Ein Photo zeigt dort auch eine junge Lehrerin beim pädagogischen Sondereinsatz in Angola. Eine Festival-Losung lautet beziehungsvoll: »Joven -- Cuba es tu casa«, Jugendlicher -- fühl dich in Kuba wie zu Hause.

Wie dieses Zuhause für einheimische Regimegegner aussieht, wird verständlicherweise auf Kuba nirgends mitgeteilt, aber, weniger verständlich, auch außerhalb Kubas kaum wahrgenommen.

»Unser Einsatz für die Befreiung politischer Gefangener in Kuba findet in der Öffentlichkeit weniger Gehör als unsere Kampagne gegen die Folter in Argentinien vor der Fußballweltmeisterschaft«, klagte letzte Woche die deutsche Sektion von »Amnesty International«.

Die Zahl der aus politischen Gründen Inhaftierten im »ersten freien Territorium Amerikas« (Regierungsslogan) ist nicht exakt bekannt: 31)1)0 schätzte »Amnesty« im Jahresbericht 1977, 20 000 die Menschenrechts-Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Internationale Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz, Liga für Menschenrechte oder Internationale Juristen-Kommission dürfen die Gefängnisse nicht besuchen. Die zensierte einheimische Presse schweigt. So sind Anklagen aus dem Kreis der emigrierten Kubaner weithin die einzigen -- von Ressentiments gefärbten -- Informationen über Castros Gefangene.

Auch nach der niedrigsten Angabe hält Kuba im Vergleich zur Gesamtbevölkerung weit mehr Menschen hinter Gittern als die Sowjet-Union. Dort, »im freiesten Land der Welt« (Castro über die UdSSR), werden nach Schätzung des Regime-Kritikers Sacharow etwa 10 000 politische Überzeugungstäter festgehalten -- bei 261 Millionen Einwohnern, demnach einer je 25 000 Bürger, in Kuba (9 Millionen Einwohner) jedoch einer auf 3200.

Manche sitzen in Kuba schon seit dem Beginn der Castro-Ära vor 19 Jahren ein. Denn anders als im Franco-Spanien oder dem Griechenland der Obristen erließ Castro niemals eine Amnestie für seine politischen Gegner, schon gar nicht für ehemalige Freunde: Gewerkschaftler, Studenten, Militärs, die mit ihm zusammen die Macht

erobert hatten, sich Anfang der 60er Jahre aber der Umwandlung des Landes in einen kommunistischen Staat widersetzten, büßen zum Teil heute noch. So Huber Matos, den »Amnesty« im März 1975 zum »politischen Gefangenen des Monats« auswählte.

Er war Comandante in Castros Rebellenarmee und wurde 1959 Gouverneur der Südprovinz Camagüey. Zehn Monate später beklagte er in einem Brief an Castro den wachsenden kommunistischen Einfluß in der neuen Regierung und trat zurück. Castro selbst hielt eine siebenstündige Anklagerede, Matos bekam wegen »konterrevolutionärer Tätigkeit« 20 Jahre Gefängnis.

Neben bekannten Schriftstellern und Künstlern befinden sich sieben führende Gewerkschafter in Haft, unter ihnen Reinoldo González, Chef der Bankarbeitergewerkschaft, und Gabriel Herández Custodio, Generalsekretär der Pharmaziearbeiter.

Die meisten saßen bis Anfang 1977 zusammen mit 900 weniger prominenten Regimekritikern im Gefängnis La Cabana. In der alten Festung bei Havanna lebten sie in völliger Dunkelheit -- bis zu 16 Mann in einer 60 Quadratmeter großen unterirdischen Zelle, ohne fließendes Wasser, ein Loch im Boden für die Notdurft. Dreimal in der Woche wurden sie für jeweils zwei Stunden ans Tageslicht geführt.

Der Journalist Theodore Jacqueney berichtete nach einem Kuba-Besuch 1977 in der Zeitung des eher konservativen US-Gewerkschaftsverbandes AFL/CIO, fast alle politischen Gefangenen dort hätten Zähne verloren, litten unter Sehstörungen, Gliederlähmung, Haarausfall und Magengeschwüren.

Ähnliche Zustände wurden ihm auch aus sieben der 43 anderen Haftanstalten Kubas berichtet. Jacqueney: »Häftlinge werden gewöhnlich zu 60 bis 100 in eine Abteilung gepfercht, mit nur einer Toilette pro Abteilung und einer Kost, die so unbeschreiblich ist, daß selbst hungrige Gefangene sie oft nicht essen können.«

Nach Erkenntnissen von »Amnesty International« wird »Folter unter dem jetzigen Regime bewußt und systematisch vermieden«, doch zumindest in der Vergangenheit kam es zu Exzessen. In einem Report an die Menschenrechts-Kommission der Uno sammelte Humberto Medrano, ehemals Herausgeber einer kubanischen Tageszeitung und Gegner des rechten Diktators Batista, Daten und Fälle. Auszug: Francisco Balbuena Valdazilla starb im August 1968 geisteskrank, infolge physischer Folter, der er in den Konzentrationslagern »Las Gavetas de San Ramón« und »Tres Maceos« unterzogen wurde.

Eduardo Molina und Alf redo Carrión starben 1968 im Konzentrationslager »Melena« in Havanna mangels ärztlicher Hilfe. Am 5. August 1971 wurde der Zuckerarbeiter José Oriol Acosta Garde im Konzentrationslager von Manacas durch Kopfschuß getötet. Die Wachen schossen auf Befehl des Lagerkommandanten Abraham Claro Cruz während eines Gefangenen-Protestes gegen die Mißhandlungen.

Der Studentenführer Pedro Luis Boitel, durch Folter zur Hälfte gelähmt, starb am 25. Mai 1972 während eines Hungerstreiks. Im Dezember 1972 wurde Lázaro San Martin im Gefangenenlager »Pinar del RIo erschossen.

Am 1. September 1975 wurde der protestantische Prediger Gerardo González Alvarez im Gefängnis Puerto Boniato erschossen, als er eine Meuterei politischer Gefangener schlichten wollte.

Alle diese Häftlinge, im kubanischen Gefängnisjargon als »Plantados« (die Verstoßenen) bekannt, lehnten es ab, sich in Umerziehungslagern »rehabilitieren« zu lassen. Durch diese Lager wanderten nach Schätzungen der Menschenrechtkommission der OAS 15 000 Häftlinge. 4000 leben noch dort. Sie arbeiten in der Landwirtschaft und auf dem Bau und werden wie alle übrigen Bürger entlohnt.

»In einem fortgeschrittenen Stadium der Rehabilitation«, so berichtete die linke kolumbianische Zeitschrift »Alternativa«, »erhalten sie alle 45 Tage für 72 Stunden unbewachten Ausgang.«

Zu diesen neuen Lagern gehört auch das »Kombinat des Ostens«, wenige Kilometer vor Havanna. Dort werden Homosexuelle und Zeugen Jehovas »umerzogen«.

Es steht kaum zu erwarten, daß Festival-Gäste über die politischen Gefangenen im Festival-Land erfahren -- obschon bei früheren Festspielen schon Unerwartetes geschah. So schwiegen vor fünf Jahren in Ost-Berlin 50 000 Zuhörer betreten, als Juso-Delegierter Wolfgang Roth eine »schrittweise Beseitigung der Behinderung von Reisen und des Austausches« vorschlug.

Zu diesem Treffen in Kuba reisten 700 DDR-Jungfunktionäre an, laut FDJ-Organ »Junge Welt« ausgestattet mit »Kostüm und Anzug mit Weste aus hellgelbem knitterarmem Mischgewebe«. Ihre Eßbestecke allerdings mußten sie, wegen eines akuten kubanischen Versorgungs-Engpasses, selbst mitbringen. Für die Kosten der Supershow durften alle kubanischen Werktätigen einen Tageslohn stiften.

Die Ost-Jugend lockt das Zusammensein mit einer Masse Gleichaltriger, meist Gleichgesinnter aus aller Herren Länder -- ohne Polizeistunde, Zimmerwirtin und Sittenwächter. Auf Kuba verlangen die Grenzbeamten nicht einmal (wie beim vorletzten Festival in Sofia) kurzen Haarschnitt von den Teilnehmern.

Mit einem Lufthansa-Jumbo landeten auch 340 Bundesdeutsche, 200 davon aus nichtkommunistischen Jugendbünden, in Havanna. SPD-Geschäftsführer Egon Bahr: »Auseinandersetzungen mit Kommunisten besteht man nicht durch Kneifen.«

Die Vertreter der 23 bundesdeutschen Jugendorganisationen wollen tatsächlich unter anderem auch über die »Durchsetzung sozialer, kultureller und bürgerlicher Rechte in ausnahmslos allen Staaten« diskutieren, 30 Jusos und sieben Jungdemokraten sich sogar nach den inhaftierten Kubanern erkundigen.

Juso Rolf Scharping, 30, SPD-Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz, hat sich vor der Reise von den Festival-Veranstaltern die Freiheit der Meinungsäußerung zusichern lassen »uneingeschränkt und ungehindert«.

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