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SCHULEN / PHILOLOGEN Küken schützen

aus DER SPIEGEL 47/1970

Kaum haben sich Deutschlands rebellische Gymnasiasten wieder halbwegs beruhigt, da werden ihre Lehrer mobil. Angezettelt vom Deutschen Philologenverband (Sitz München), befassen sich seit Anfang vergangener Woche Studienräte in fast allen Bundesländern mit Protestieren -- gegen eine Reform der Lehrerausbildung.

Philologenverbands-Geschäftsführer Wilhelm Bruckner lobte Protestelfer und Solidarität der klassenbewußten Pädagogen: »Eine derartige Demonstration hat es in den 110 Jahren seit Bestehen unseres Verbandes noch nicht gegeben.«

In der Tat haben die Studienräte nicht nur einfach das Protest-Ritual Ihrer Primaner und Sekundaner übernommen, sie haben es auch verfeinert und ausgebaut. Ihr Programm umfaßt Denkpausen, Diskussionen, Resolutionen, Kundgebungen, Elternbeschwörungen, Flugblätter und Telegramme.

Der Philologenverband, dem 45 000 Studienräte angehören, fühlt sich von der Kultusministerkonferenz (KMK) hintergangen. Die sechs SPD- und fünf CDU-Kultuschefs der Länder hatten sich Anfang Oktober auf den »Entwurf einer Rahmenvereinbarung über Lehrerbildung« geeinigt, der praktisch den Studienrat zum Aussterben verurteilt und die von vielen Philologen verabscheute Gesamtschule einführt.

Das sonst so geruhsame Minister-Gremium hatte diesmal zur Eile getrieben. Schon im Herbst 1971 soll nach dem KMK-Konzept die neue Lehrerausbildung in den Bundesländern einsetzen -- grundsätzlich nur an Universitäten. Alle Lehrer müssen mindestens sechs Semester studieren und nach dem Studium noch einen 18monatigen Vorbereitungsdienst ableisten.

Das bislang noch zwischen Volks-, Real- und Gymnasial-Lehrern bestehende Prestige- und Gehalts-Gefälle wird durch die einheitliche Ausbildung eingeebnet, in der sich künftig die Lehrer je nach Wunsch für eines von drei Lehrämtern qualifizieren können:

* Grundstufe (Klassen eins bis vier) oder

* Sekundarstufe I (Klassen fünf bis zehn) oder

* Sekundarstufe II (Klassen elf bis 13).

Diese neue Lehr-Struktur ist eine der Hauptvoraussetzungen für die Gesamtschule, in der alle Schüler die Grundstufe und die Sekundarstufe I besuchen. Erst vor der Sekundarstufe II scheidet ein großer Teil der Schüler aus. Der Rest wird auf dieser Endstufe entsprechend der heutigen Gymnasial-Oberstufe zur Hochschulreife gebracht.

Doch anders als bisher unterscheidet sich der neue Lehrer, der Hochschulreife vermittelt, kaum noch von dem Kollegen, der in der Grundstufe das Einmaleins paukt. Er braucht nicht einmal länger studiert zu haben; sechs Semester sollen ihn zum Unterricht In der Oberstufe befähigen -- freilich nur in einem Fach.

Dieser sechssemestrige Ein-Fach-Lehrer -- ein Novum in der Oberstufe -- ist ein Protegé der SPD-Kultusminister. Die CDU-Kollegen dagegen machten sich für den Zwei-Fach-Lehrer mit acht Semestern stark. Nach viereinhalb Stunden Debattierens einigten sich die Parteien auf einen Kompromiß: Beide Lehrer-Typen werden zugelassen, aber jedes Land, so wurde ausgemacht, hat lediglich die Wahl, ob es den Zwei-Fach-Lehrer allein oder zusammen mit dem Ein-Fach-Lehrer einsetzt. Sekundarstufen II, in denen nur Sechssemestrige unterrichten, soll es nicht geben dürfen. Zwar bemängelt die »Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft« (GEW) an diesem »begrüßenswerten Kompromiß noch den Einfluß Konservativer, die hierarchische Ordnung und elitäre Schulformen konservieren möchten«. Doch insgesamt neigte die GEW« in der 120 000 Lehrer zumeist aus Volks- und Realschulen organisiert sind, eher zum Triumph. und meldete, sie könne den KMK-Entwurf »im Prinzip als Sieg ihrer Vorstellungen akzeptieren«.

Die ohnehin gereizten Philologen gerieten durch derartige Siegesbotschaften erst recht in Fahrt. Sie eröffneten ihr Protest-Programm mit einer Schimpfkanonade, bei der auch die GEW ihr Teil abbekam. »Dieser faule Kompromiß der Kultusminister«, so Philologen-Geschäftsführer Bruckner, sei nicht zuletzt »auf die Nivellierungsbestrebungen der GEW« zurückzuführen.

Eilends verfaßte der Münchner Oberstudiendirektor Franz Ebner, Vorsitzender des Deutschen und Bayerischen Philologenverbandes, ein Pamphlet ("Bessere Schulen mit schlechteren Lehrern?"), in dem er die Öffentlichkeit aufrief, »einen entschiedenen Widerstand gegen die Absichten der Kultusminister« zu leisten.

Die Studienräte, vor allem in Bayern, taten ihr Bestes, um den öffentlichen Widerstands-Willen zu beleben. Landauf, landab trugen sie in Kundgebungen und Versammlungen die Ebner-Argumente vor. Haupt-Einwände gegen den Reformplan:

* Ein Sechs-Semester-Studium ist für einen Oberstufenlehrer zu kurz; schon acht Semester reichen kaum aus.

* Ein-Fach-Lehrer sind in der Oberstufe nutzlos, aber auch überfordert, weil sie alle 22 Wochenstunden in nur einem einzigen Fach absolvieren müssen.

Im Machtbereich des ihnen wohlgesonnenen CDU-Kultusministers Hahn (Baden-Württemberg) trumpften die Studienräte am machtvollsten auf. 3000 Philologen fanden sich auf dem Stuttgarter Killesberg ein. Sie mahnten ihren Gönner per Transparent-Aufschrift: »Hahn, schütze deine Küken.« Und der Landesvorsitzende, Oberstudiendirektor Theo Bojus, donnerte: »Wer bei uns die Leistungsgesellschaft verteufelt, wer bei uns die Leistung diffamiert, ist ein Verbrecher.«

Bojus, wie alle anderen Kollegen auch, ob in Sälen oder bei Pressekonferenzen, drohte am Ende mit »Kampfmaßnahmen«.

Doch über Einzelheiten des Endkampfes schwiegen die Philologen oder wichen aus: »Wir haben genügend legale Mittel, um den ganzen Schulsektor durcheinanderzubringen.«

Geschäftsführer Bruckner erläuterte diese Verschwiegenheit so: »Wir werden doch unser ganzes Pulver nicht schon jetzt verschießen. Erst wenn sich die Kultusminister im Dezember gegen uns entscheiden sollten, dann kommt der große Knalleffekt.«

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