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Israel Kugeln des Stolzes

Die Zustimmung zu Rabins Friedenskurs schwindet: Der Terror eskaliert, radikale Siedler rüsten zur jüdischen Intifada.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Lügner, Verräter«, skandierte die wütende Menge. Jugendliche schwenkten Plakate von Jizchak Rabin, die Israels Premier im Arafat-Look zeigten - mit der Kufija, dem traditionellen Kopftuch der Araber. Wo immer der Regierungschef vergangene Woche öffentlich auftrat, stieß er auf lautstarken und manchmal gewalttätigen Protest.

Rechte Siedler und religiöse Eiferer hielten vor seiner Jerusalemer Residenz Mahnwache, Demonstranten lauerten ihm nach nächtlichen Terminen auf, und ein Rechtsextremist forderte gar mit handgemalten Aufklebern: »Rabin gehört umgebracht«.

Der verfolgte Premier wurde bei seinem Besuch in Nordamerika von US-Präsident Bill Clinton zwar als Friedensbringer für den Nahen Osten gefeiert. Doch daheim gerät seine Versöhnungspolitik zunehmend in Gefahr.

Nach der jüngsten Serie brutaler Mordanschläge ist die Begeisterung über den israelisch-palästinensischen Grundlagenvertrag, der »Jahrzehnte von Konfrontation und Konflikten« beenden sollte (Präambel), wieder dem Mißtrauen gewichen. Der Rückhalt für Rabins Friedenskurs, sorgte sich die Tageszeitung Haaretz, »schmilzt dahin«.

Nicht einmal die Ankündigung, auch mit dem Nachbarstaat Jordanien stehe der Abschluß eines Friedensvertrages bevor, konnte die Skepsis vertreiben. Das Abkommen, das Rabin und König Hussein nach voreiligen Meldungen bereits vergangene Woche unter der Patronage von US-Präsident Clinton unterzeichnen sollten, sieht nicht nur volle diplomatische Beziehungen und die Rückgabe von israelisch besetztem Land längs des Toten Meeres vor. Der angeblich schon Anfang November in Amman heimlich paraphierte Vertrag garantiert Jordanien auch militärischen Schutz durch den jüdischen Staat. Die Kriegsgegner von einst würden damit zu Verbündeten.

Dennoch sind viele Israelis, die den Friedenskurs zunächst begrüßten, zutiefst verunsichert. Denn zwei Monate nach dem historischen Handschlag zwischen Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat am 13. September in Washington haben die fanatischen Gegner der Aussöhnung ihren Terror verschärft.

Mit »Dolchen der Barmherzigkeit und Kugeln des Stolzes« (so ein Palästinenser-Flugblatt) versuchen vor allem dogmatische Fundamentalisten der moslemischen Widerstandsbewegung Hamas und Extremisten der von Syrien gestützten Verweigerungsfront, den Friedensprozeß zu torpedieren: Seit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags wurden zwölf Israelis getötet.

»Das ist ein Frieden voller Lügen«, ereiferte sich ein Sprecher der Nationalreligiösen Partei. Der Chef der rechtsextremen Heimatland-Partei, Rechavam Seevi, verhöhnte Rabin als Führer einer »Vichy-Regierung, die gegen die Interessen des eigenen Volkes mit dem Feind kollaboriert«.

Israelische Siedler aus den besetzten Gebieten reagierten mit gezielten Vergeltungsaktionen und dem Aufruf zu einer »jüdischen Intifada«. Randalierend zogen sie durch palästinensische Städte und Flüchtlingslager, zerschlugen Fenster und Windschutzscheiben, warfen Brandsätze in Autos, Wohnungen und in eine Schule. Bewaffnete Extremisten blockierten Dutzende von Straßen in den besetzten Gebieten. »Wir werden den Arabern zeigen«, so ihre Erklärung, »wer hier der Boß ist.«

Der Rachefeldzug der Siedler beschränkt sich inzwischen nicht mehr auf Gewalt gegen Hab und Gut der »feindlichen Araber": Im Gazastreifen eröffnete ein Israeli das Feuer aus seiner Uzi-Maschinenpistole und verwundete einen Palästinenser; zwei Gemüsehändler aus Jericho wurden unweit von Nablus beschossen und leicht verletzt. Mitglieder der Extremisten-Organisation Kach übernahmen die Verantwortung für den Überfall.

Nur mit solchen Anschlägen, erklärten Sympathisanten später, könne das »Gleichgewicht der Angst« wiederhergestellt werden.

Die Friedensgegner unter den Palästinensern sind dadurch nicht einzuschüchtern - im Gegenteil. »Wir werden den Gazastreifen und das Westjordanland in ein Massengrab für israelische Soldaten und Siedler verwandeln«, wütete die Widerstandsorganisation Hamas.

»Frieden mit den Juden kann es nur auf dem Friedhof geben«, drohte Hamas und forderte ultimativ: »Zieht eure feigen Truppen aus unserem Heiligen Land ab.« Y

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