KULTURKAMPF
Die von der Bundesregierung beabsichtigte Aufhebung des verbindlich vorgeschriebenen Ladenfestpreises für Bücher (nicht nur für Verlagserzeugnisse) ist unerläßliche Voraussetzung für ein gesundes Wirtschaftsleben im Sinne der freien Marktwirtschaft. Nur solche konkurrenzfördernden Maßnahmen können die oft wucherischen Zwischenhandelsspannen, die in ursächlichem Zusammenhang mit unserer Teuerung stehen, verhindern. Das Geschrei der Händler sollte an verantwortlicher Stelle niemand stören!
Würzburg WALDEMAR SCHEDEL
Man sollte den Herren, welche für eine Aufhebung der Preisbindung eintreten, angefangen bei Herrn Erhard bis zu Ihrem Artikelschreiber, das Gehalt um 50 Prozent kürzen und sie dann um eine Stellungnahme zu diesem Thema bitten.
Osthofen (Rhein) ROLF NOLL
Nachdem ich Ihr Gespräch mit dem Verleger Witsch gelesen hatte, blätterte ich bei Tucholsky nach und fand einen Brief von ihm an Rowohlt, seinen Verleger. Tucholsky flehte darin alle Verleger an: »Macht unsere Bücher billiger!« und begründete sein Flehen mit dem seiner Meinung nach allerschönsten Leserbrief, der von einem Oberrealschüler aus Nürnberg stammte. Der Schüler schrieb: »Lieber Herr Tucholsky! Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zu Ihren Werken meine vollste Anerkennung ausspreche. Das wird Ihnen zwar gleichgültig sein - aber ich möchte doch noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel). Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, daß man es sich nicht kaufen kann. Gruß!«
Als derartiges ein Schüler dem Autor und der Autor seinem Verleger schrieb, hatten wir das Jahr 1932.
Ebing (Bayern) HARRY MÜLLER
Wenn Sie mich nach der Aufforderung von Herrn Witsch fragen, ob ich das jetzige System beibehalten will, da kann ich sofort und gefühlsmäßig nur mit Ja antworten, und zwar aus Gründen der Sicherheit. Wer heute ein Buch von mir will, zahlt den festen Preis. Das ist sehr bequem.
Freiburg (Breisgau) HERBERT GOTZ Buchhandlung
Der feste Preis für Bücher ist keine Lebensfrage der Nation.
Stuttgart HANS E. HÖYNCK Verlagsberater
Die von dem Verleger Herrn Dr. J. C. Witsch angeführten Argumente im Interesse der Buchhändler könnten leicht erweitert und auch bewiesen werden.
Stuttgart DR. WERNER VESCOVI Buchhandlung
Da haben Sie aber den allerfernsten Verlegertyp auf allerhöchstem Kulturroß »erwitscht«!
München IRMA LOOS
Leider spricht Witsch seine Überzeugungen nicht aus. Denn er meint doch wohl - und in beschränkter Weise zu Recht. -, daß der Buchhändler eben nicht nur Händler ist, sondern eine Art Kulturpionier, der eben aus diesem Grunde nicht dem in anderen Branchen herrschenden Wettbewerbsdenken ausgesetzt werden sollte.
Plön (Holstein) GERHARD KAHLKB
Das Gerede um die Notwendigkeit der Aufhebung von Preisbindungen wird immer unaufrichtiger. Ganz gleich, ob es sich heute um Schokolade oder morgen um Bücher handelt, in beiden Marktbereichen existiert neben den preisgebundenen Erzeugnissen ein Überangebot an billigster Ware. Man kann Schokolade in Riesenmengen fast zu Vorkriegspreisen kaufen, und im Buchhandel hat das Taschenbuchgeschäft längst den Markt so gründlich erobert, daß die Herausgabe besser ausgestatteter Bucherzeugnisse für viele Verleger längst ein Wagnis geworden ist.
Aber - wen interessiert das schon unter den Schrittbereitern des Massenstaates, in dem in wenigen Jahren anstelle eines guten Buchhandels sicherlich nur noch der Ramschladen existieren wird.
Hannover R. MEYER-RONBERG
Aus zehnjähriger Erfahrung in der Verlagswerbung weiß ich, daß die Verleger den Buchhandel nur als notwendiges Übel ansehen. Sie dürfen sich's mit ihm nicht verderben, weil die Sortimenter sonst die Bücher des mißliebigen Verlages nicht ausstellen, sie gegenüber der Kundschaft verleugnen oder gar madig machen. Aber an sich tendiert das Verlagsgeschäft zum Direktversand ab Erzeuger an den Besteller.
Die einzige Funktion, die der Buchhandel für den Verleger hat, ist die des Schaufensterwerbers. »Service« besteht beim Sortiment sowieso nur darin, daß in dicken Katalogen gewälzt wird, ob es das vom Kunden verlangte Buch überhaupt gibt, falls er nicht direkt aufs Regal zeigen und sagen kann: »Das da!«
Also könnten Bücher sehr gut auch durch Automaten oder in Supermarkets verkauft werden. Die kostenlose Schaufensterwerbung kommt natürlich in der Regel nur dem Großverleger zugute. Und das ist wohl der wirkliche Grund, warum Dr. Witsch sich so rückhaltlos vor den antiquierten Buchhandel stellt.
Frankfurt WOLFGANG BARANOWSKY
Auf der Verlagsseite scheint man sich zur Verteidigung der Preisbindung auf den sehr publikumswirksamen Slogan geeinigt zu haben, daß Verlagserzeugnisse als »geistige Ware« etwas völlig anderes als Schuhwichse seien. Dem ist entgegenzuhalten, daß auch Schuhwichse und die Tausende anderer Markenartikel in hohem Maße eine schöpferische, geistige und künstlerische Leistung beinhalten. Kaufleute oder Techniker haben »die« Idee, Techniker und Chemiker schaffen das Erzeugnis, Formgestalter schöpfen das Äußere des Erzeugnisses sowie die Verpackung, Graphiker die Werbegestaltung usw. Alle diese hochqualifizierten Kräfte werden sich dagegen wehren, als »nichtgeistig« beurteilt zu werden.
Köln A. SÖLTER
Anläßlich Ihres SPIEGEL-Gesprächs über den festen Ladenpreis und Ihrer damit verbundenen Gleichstellung Buch
- Zahnpasta bin ich sehr erstaunt, daß
Sie in Ihrer Zeitschrift nur Raum für einen Bücherspiegel haben. Es wäre doch angebracht, einen Zahnpastaspiegel zu bringen.
Stuttgart HELMUT KRABEL Buchhandlung
Bei der Lektüre Ihres Gesprächs mußte meine Frau mir die Tränen trocknen, weil ich über die Katastrophe, die allein vom Kulturellen aus auf uns zukommt, so betrübt war.
München GÜNTER SCHMIDT
Welche Maßnahmen muß die große Buchhandlung bei der Aufhebung der Preisbindung ergreifen, wenn sie sie überleben will? Sie muß:
- den Lagerbestand so stark reduzieren, daß sie keinen Bankkredit mehr benötigt und gegen eventuelle Abwertung durch schwachgewordene Kollegen und Verleger sich vor Schaden bewahren kann;
- ihre Unkosten reduzieren. Dies geht
nur auf einem Sektor: den Personalunkosten. Sie sollten aber wissen, daß Buchhändler noch nie zu hoch bezahlt wurden. Bleibt auch hier nur die zahlenmäßige Einsparung.
Sie würden also bei großen Buchhandlungen in der nächsten Zeit statt 1500 Taschenbuchtiteln nur noch 500 finden. Sie würden von Bänden der modernen Lyrik praktisch nichts mehr einsehen können. Von jungen Autoren, von deren Neuerscheinungen 500 Buchhandlungen je zwei Exemplare an Lager genommen haben, würden vielleicht fünf bis zehn Buchhandlungen je ein Exemplar an Lager nehmen: der Verleger könnte sie also nicht mehr drucken.
Duisburg KURT SELBIGER
Buchhandlung
Die Sortimenter leben ja nicht allein vom Verkauf von Bestsellern (zu denen ja zuerst Duden, Knaurs Lexikon usw. gehören), aber sie können auch nicht leben ohne sie - d.h. wenn man ihnen die Möglichkeit nimmt, auch diese mit einem vernünftigen Gewinn zu verkaufen.
Das ist jedenfalls sicher, daß der Sortimenter bei Aufhebung des Ladenpreises nicht mehr das umfangreiche Lager halten und den von den Kunden mit Recht als selbstverständlich angesehenen Kundendienst aufrechterhalten kann. Bei einer Aufhebung des Ladenpreises würden die gelegentlichen unkomplizierten Buchkäufer einige Mark sparen können, die eigentlichen Kunden der Buchhandlungen aber würden im ganzen benachteiligt sein.
Wilhelmshaven HANS EISSING Buchhandlung
Ob beim Wegfall der Preisbindung einige Vorstadt-Buchläden eingehen, tut der Kultur des Abendlandes bestimmt keinen Abbruch, und der sogenannte Mittelstand wird hierdurch auch nicht gerettet. Die qualifizierten Inhaber würden ohnehin wahrscheinlich eine Anstellung in leistungsfähigen Großbuchhandlungen oder Vertriebsfirmen bekommen. Wo kämen wir hin, wenn auf die Dauer jedes Käsegeschäft derartige Privilegien wollte wie die deutschen »Literatur-Produzenten und Händler«. Käse ist schließlich ebenso lebensnotwendig, wie es Bücher sind. Die Abschaffung jeglicher Preisbindung ist auf jeden Fall konsumentenfreundlich.
Hamburg HERMANN LAUN
In jeder Branche dasselbe Gejammer, gesungen nach dem Motto: »Wie werde ich schon übermorgen reich?« Die gebundenen Endverkaufspreise scheinen eine äußerst lukrative Angelegenheit zu sein, sonst würde deren Aufhebung von den Nutznießern nicht mit allen zur Verfügung stehenden Händen, Füßen und Zungen so heftig verteidigt werden.
Diese Art von Verkaufspreisen hat uns seit 1948 rund 40 000 Millionäre und etwa 400 000 Halbmillionäre geboren. Wir Normal-Geld-Bezieher sollen diese Gebärfreudigkeit als ein zweites Wunder hinnehmen, ohne an eine »Geburtenregelung« überhaupt nur denken zu dürfen.
Kulmbach (Bay.) ALFRED ZAJIC-SEITZ
Das SPIEGEL-Gespräch mit Verleger Witsch war sehr interessant und aufschlußreich, nur vermißt man darin die Inschutznahme des Konsumenten, also des Lesers. Ich bin ein leidenschaftlicher Leser und hätte zeit meines Lebens (73) gern eine Menge Bücher gehabt. Aber bei den Preisen?
Buer (Nieders.) R. MUNDER
Vor Jahresfrist erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch die deutsche Ausgabe von Shirers »Rise and Fall of the Third Reich«. Verkaufspreis: 40 Franken. Als schweizerischer Normalverbraucher konnte und wollte ich diesen Betrag nicht zahlen. Ich wartete - mit dem Erfolg, Anfang Mai 1962 für ein Remittenden-Exemplar in einem Winterthurer Antiquariat nur noch 30 Franken berappen zu müssen.
Jetzt ist das Werk als Lizenz-Ausgabe im Buchclub Ex Libris erhältlich Verkaufspreis 22,50 Franken. Mit anderen Worten: »... die Freiheit der literarischen Meinungsäußerung...« (Börsenverein des Deutschen Buchhandels in seinem Telegramm an Dr. Adenauer), für die sich Dr. Witsch mit soviel Eloquenz wehrte, ist in seinem eigenen Hause innerhalb von zwölf Monaten um genau 43,75 Prozent zusammengeschrumpft
Elgg (Schweiz) MARCEL SCHAERER
Die Aufhebung des festen Ladenpreises würde dazu beitragen, neue Machtkonzentrationen zu bilden, die einer vielfältigen literarischen Produktion an den Lebensnerv gehen würden. Wenn für das Sortiment, also den vertreibenden Buchhandel, durch den festen Ladenpreis keine gleichmäßige Wettbewerbssituation mehr vorhanden ist, werden die wirtschaftlich stärkeren Sortimenter sich in ihren Einkäufen konzentrieren und damit die Auswahl für den Kunden erheblich einschränken, aber auch beim Verleger nur noch solche Objekte abzunehmen bereit sein, die einen gemeinkostensenkenden raschen Umsatz garantieren. Dabei wird nicht nur der große Verlag in seinen Möglichkeiten zur Veröffentlichung literarisch hochwertiger, aber zunächst nur kleine Kreise interessierender Manuskripte beschränkt, vielmehr werden die vielen fähigen, aber wirtschaftlich schwachen kleinen Experimentierverlage in ihrer Existenz bedroht
Was resultiert daraus? Für den Autor, besonders für den noch nicht erkannten, eine erheblich geringere Chance, ein Manuskript veröffentlichen zu können. Für den Leser ein Verlust des literarisch geistigen Experiments und damit eine Verarmung unseres kulturellen Lebens.
Stuttgart - GÜNTER HAUFF Georg Thieme Verlag
Ich glaube, Herr Dr. Witsch überschätzt die heutige Funktion des Buchhändlers, besonders wenn er von dessen »kaufberatender« Tätigkeit spricht Das mag vielleicht bei der gängigen Konsumliteratur noch zutreffen, aber anspruchsvollere Bücher werden doch in den meisten Fällen von Kunden gekauft, die beim Betreten der Buchhandlung genau wissen, welches Buch sie wünschen. Gerade der literarisch interessierte Leser wird sich bestimmt nicht auf den meist subjektiven Geschmack eines Buchhändlers verlassen, der seine Kenntnisse meist aus zweiter und dritter Hand hat, sondern seine Informationen über den Literaturteil der Zeitungen, Zeitschriften und ähnliches beziehen. So traurig es vielleicht auch für den Buchhändler sein mag, seine Rolle ist tatsächlich nur noch die des Verteilers einer Ware.
Hamburg AXEL H. GEBHARD
Wäre zu fragen, warum denn nicht unter gleichem Vorzeichen die Theaterpreise gebunden werden, für Kulturfilme, Vorträge und sonstige kulturelle Veranstaltungen aller Art.
Osnabrück ERNST HAGE
Ich habe hier einen kleinen Fabrikationsbetrieb, in dem ich unter anderem auch Kulturbeutel herstelle. Darf ich dafür jetzt auch den Endverbraucherpreis bindend festsetzen?
Osnabrück FRIEDRICH D. DOOFE