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RUMÄNIEN Kulturkampf hinter den Wäldern

Autobahnen, Goldminen, Dracula-Park: Umstrittene Großprojekte säumen Siebenbürgens Weg in die Zukunft. Den Plänen der regierenden Ex-Kommunisten widersetzt sich dabei eine wachsende Gegnerschar - diskret unterstützt von Prinz Charles und Londoner Gönnern.
aus DER SPIEGEL 36/2004

Wo Rumäniens Weg nach Westen beginnen soll, haben die Kuhhirten kupferfarbene Gesichter, und in den Wiesen blüht Hahnenfuß. Mittendrin stehen vereinzelt Caterpillar-Baumaschinen und Männer mit dunkler Sonnenbrille.

Sie sprechen Englisch, tragen Helme und rauchen nicht. Sie haben in Kroatien Teile einer Magistrale gebaut, in Russland Atomwaffen-Silos, und morgen wartet vielleicht der Irak. Wer für Bechtel, USA, arbeitet, lernt die Welt kennen. Jetzt und hier geht es um eine Autobahn durch Transsylvanien, das Land »hinter den Wäldern«.

Das im Volksmund »Bechtel-Highway« genannte Projekt ist die größte Investition in Rumänien seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu. Gut 2,5 Milliarden Dollar soll die Schnellstraße kosten und über 415 Kilometer von Kronstadt (Brasov) im Herzen Siebenbürgens bis Bors nahe Oradea an der ungarischen Grenze führen.

Der Moderne eine Schneise schlagen, das ist der Auftrag an die Bechtel-Männer - hinein in eine Szenerie aus zum Teil mittelalterlichen Dörfern Siebenbürger Sachsen, wo unter Kirchenburgen heute vor allem Rumänen, Zigeuner und Ungarn leben. Quer durch eine Landschaft, in der Pferdewagen auf Pisten mit plantschbeckengroßen Schlaglöchern zu den gebräuchlichen Verkehrsmitteln zählen.

»Diese Autobahn wird Rumänien mit der EU verbinden«, sprach Premierminister Adrian Nastase anlässlich des Spatenstichs am 16. Juni. Und weil das Spektakel aus Wahlkampfgründen kurzfristig vorverlegt worden war, konnte Günter Verheugen, der damalige EU-Erweiterungskommissar, nicht einmal mehr laut widersprechen.

Verheugen und andere EU-Vertreter erzürnt am Großprojekt in Siebenbürgen zweierlei - der Routenverlauf und die Art der Auftragsvergabe. Nun nämlich wird nicht zuerst auf der mit EU-Geldern geplanten Strecke über Arad und Hermannstadt gebaut, sondern nördlich davon. Und zwar ohne dass es zuvor eine öffentliche Ausschreibung gegeben hätte.

Den Zuschlag erhielt, in einem Akt direkter Demokratie Marke »Neues Europa«, mit Bechtel ein US-Konzern, der Bushs Republikanern nahe steht und dafür derzeit mit einem milliardenschweren Auftrag im Irak belohnt wird. Und der Nato-Neuling Rumänien steht, ausgerechnet unter den Ex-Kommunisten Ion Iliescu im Präsidentenamt und Adrian Nastase als Regierungschef, stramm im US-geführten Lager, nicht nur in Sachen Irak. »Viele Rumänen sehen den Auftrag an Bechtel als Belohnung dafür, dass Bush und seine Spezis uns jetzt beschützen«, sagt Radu Mititean.

Der 32 Jahre alte Mediziner, der fließend Deutsch spricht, sitzt gut 20 Kilometer von der Autobahnbaustelle entfernt in einem Büro in der Innenstadt von Klausenburg (Cluj). Er ist Vorsitzender des Fahrradtourismus-Vereins Napoca und in jeder Hinsicht ein Held der rumänischen Wirklichkeit. Seine umgerechnet 60 Euro Monatsgehalt reichen zwar nicht für das ersehnte Abonnement des rumänischen Gesetzblattes. Doch auf den Websites der Ministerien und der beteiligten Firmen sucht Mititean sich in nächtelangen Sitzungen die Spuren zusammen, die das Milliardenprojekt in seiner Heimat zu hinterlassen verspricht.

Wo er darf, geht er selbst hin. Die Studie zur Umweltverträglichkeit für die Umgebung von Klausenburg, 1500 Seiten

stark, in zwei Monaten zusammengeschustert, war nur kurz zur Ansicht freigegeben. Auf Knien hat er sie mit der Digicam abfotografiert, dann auf CDs gebrannt und im ganzen Land verschickt.

Die Autobahn durchs bevölkerungsreichste Land Südosteuropas ist von der Regierung zum Projekt der Nationalen Sicherheit und so beinahe in den Nato-Rang erhoben worden. Wer gegen die Autobahn argumentiere, sei gegen die Nato, ein Russenfreund also, sagt Mititean.

Der »Bürger« Mititean, wie er sich nennt, bleibt dennoch trotzig. Er mag nicht akzeptieren, dass vor seinem Schlafzimmer der Schwerlastverkehr vorbeidonnert, weil Klausenburg keine Umgehungsstraße hat, während gleichzeitig eine der teuersten Autobahnen Europas gebaut wird - mit Milliardenkrediten zu Lasten des Steuerzahlers. »Ich als Person und wir als Verein sind nicht gegen Autobahnen an sich«, sagt Mititean: »Aber Rumänien hat kein Geld.«

Kontakte zu Kampagnen-Riesen wie Greenpeace oder WWF unterhält der Klausenburger nicht. Aber ein Netz aus dünnen Fäden verbindet ihn mit Gleichgesinnten im Land. Einer der Fäden führt in ein Hexenhaus mit Garten im Ort Rosia Montana in den Westkarpaten.

Hier residiert, verschanzt zwischen Computer, Telefon und Aschenbecher, die Kampfgenossin Stefanie Roth. Die rastlose Schweizerin von der Umweltorganisation Alburnus Maior wird im stillen Goldgräbernest mit einer Mischung aus Furcht und Ehrfurcht »Ché Guevara« genannt. Sie sagt: »Eine Kampagne muss organisiert werden.« Und das kann nicht jeder.

Stefanie Roth hat früher im chilenischen Teil Feuerlands geholfen, eine Autobahn zu verhindern, und sich dann in Peru Aufgaben gesucht. Später ist sie in London bei einer Leitfigur der Globalisierungsgegner in die Lehre gegangen, beim Millionär Edward Goldsmith und seinem Blatt »The Ecologist«. Über den Kampf gegen den Dracula-Park im siebenbürgischen Schäßburg kam sie nach Rumänien.

Jetzt also: Rosia Montana. Es geht gegen das europaweit größte Projekt seiner Art für Goldminen. Gegen Gabriel Resources, eine kanadische Aktiengesellschaft mit Sitz auf Barbados, und gegen den Mitaktionär, den rumänischen Staatskonzern Minvest. Es geht gegen den Plan, in Rosia Montana mit Gesamtinvestitionen von 1,4 Milliarden Dollar 17 Jahre lang Gold zu schürfen. Beziehungsweise zu »schlürfen«, wie Roth sagt.

In und um Rosia Montana gibt es die bedeutendsten Gold-Lagerstätten Europas. Schon die Römer, die den Landstrich ab dem Jahr 106 besetzten, haben hier Sklaven schürfen lassen. Eine Inventarliste in lateinischer Sprache und 145 Kilometer Stollen aus jener Zeit sind erhalten.

Stefanie Roth sagt, sie wolle den Leuten hier helfen, »sich auszudrücken«. Die hätten sich doch vieles gerade erst erobert - die Achtung vor Demokratie, vor dem Schutz nationaler Kulturgüter und vor Privateigentum. Vor Dingen also, die unter Ceausescu nichts galten. Und jetzt solle es damit schon wieder vorbei sein?

Die Betreibergesellschaft RMGC will 900 Haushalte umsiedeln lassen und den Kern des Ortes als »geschützte Zone« ausweisen. Wer nicht willens sei zu weichen, könne von der Regierung enteignet werden, heißt es. 39 Prozent des benötigten Terrains sind bisher erworben. Die blauen Schilder der Betreiber an vielen Hauswänden bebildern eine Chronik des angekündigten Dorftods.

Es ist dies eine von vielen Geschichten, wie es sie jetzt in Rumänien gibt. In einer Zeit, in der zunehmend Nicht-Rumänen darüber streiten, was an Rumänien bewahrenswert oder ausbeutbar ist, und in der sich die Einheimischen dann fragen, von welcher Seite für sie das meiste zu holen und das wenigste zu befürchten sei.

Viele Einwohner Rosia Montanas pokern derzeit noch. Zwischen 40 000 und 100 000 Dollar pro Umsiedler seien bisher gezahlt worden, sagen die Betreiber. Das ist nicht wenig in einer Gegend, die nur ein Drittel des durchschnittlichen rumänischen Einkommens erwirtschaftet und zum »benachteiligten Gebiet« erklärt wurde - mit allen daraus resultierenden Steuervorteilen für Investoren.

Die staatliche Goldmine will ihre Produktion 2007 einstellen. Denn obwohl Rumänien 2003 seine Umweltgesetzgebung an die EU-Normen anglich im Hinblick auf den für 2007 geplanten Beitritt, sind in der staatlichen Mine bis heute die Cadmiumwerte um das 45fache erhöht. Das zumindest sagt John Aston, der PR-Mann der kanadischen Investoren.

Sein Konsortium RMGC will fünf Berge platt machen und hinter einer 180 Meter hohen Staumauer zyanidhaltige Abwässer sammeln. All das aber, so sagt Aston, nach strengsten Umweltrichtlinien und getreu den Weltbank-Parametern für die soziale Verträglichkeit von Großinvestitionen.

Am Horizont sieht Aston, irischer Bergbau-Globetrotter mit kanadischem Arbeitgeber und rumänischem Zeitvertrag, schon Golfplätze und Bio-Milch von glücklichen Kühen für Rosia Montana - nach Ausbeutung der Goldreserven und Renaturierung in einigen Jahrzehnten.

Dabei heißt es in einem Bericht seines Arbeitgebers an die Anleger, seit dem Chemie-Unglück im nordrumänischen Baia Mare 2000 sei ein »dramatischer Anstieg des öffentlichen Bewusstseins für Umwelt- und Sicherheitsrisiken des Bergbaus« zu verzeichnen. Und deshalb ist sich auch Stefanie Roth, Schweizer Kampagnen-Expertin auf Zwischenstation in Rumänien, sicher: »Die Mine wird nicht kommen.«

Ein Antrag bei der Unesco auf Schutz des Kulturerbes von Rosia Montana läuft. Und unter den Anführern des Widerstands findet sich einmal mehr S,erban Cantacuzino, der 86 Jahre alte Nachfahre des Walachenprinzen gleichen Namens.

Mit seiner Stiftung Pro Patrimonio, vor allem aber in diskreter Allianz mit dem blaublütigen Gesinnungsgenossen Prinz Charles und mit Jessica Douglas-Home aus dem Clan des britischen Ex-Premiers Sir Alec Douglas-Home, hat der Londoner Exil-Rumäne Cantacuzino geholfen, in den letzten Jahren Bemerkenswertes zu bewirken.

Wer in Schäßburg (Sighisoara), der letzten bewohnten Zitadelle Europas, im Pfarrgarten unter der 1345 erbauten Bergkirche bei Pfarrer Johannes Halmen nach Gründen für das Scheitern des Dracula-Parks fragt, der stößt auch hier wieder auf die Londoner Spur - Prinz Charles' Anruf 2002 bei Präsident Iliescu, sagt Halmen, habe wohl den letzten Impuls gegeben.

Pfarrer Halmen war einer der Anführer des Widerstands gegen das Dracula-Projekt, das mit Folterräumen, Vampir-Klamauk und Blutpudding als Dessert Hunderttausende Touristen in die verschlafene siebenbürgische Stadt holen sollte. Er sagt heute: »Der Dracula-Park, das wäre ein Stück Geschichtsersatz gewesen, ortsfremde Geschichte. Und für uns Sachsen wie eine zweite Landnahme.«

Die erste Landnahme, das war 1944, als nach Rumäniens Frontwechsel im Zweiten Weltkrieg die Sachsen »von ihren Feldern geschmissen wurden«. Heute leben noch 600 von ihnen in der Stadt. Viele waren für den Park, einige engagieren sich heute mit Pfarrer Halmen im Verein »Nachhaltiges Schäßburg«.

Wo auch immer die Regierenden in Bukarest ihre Vorstellung von Fortschritt über die siebenbürgische Kulturlandschaft zu stülpen versuchen, ob beim Dracula-Park, Bechtel-Highway oder kanadischen Goldgräber-Projekt - Prinz Charles und die einflussreichen Londoner sind nicht weit.

His Royal Highness verlassen St. James's Palace, London SW1A, inzwischen beinahe jährlich für Exkursionen nach Rumänien. Um Klöster und Kirchen zu besuchen, zu wandern, Schafe, Schweine und Ziegen zu begutachten. Oder um restaurierte Häuser zu würdigen wie in Hermannstadt (Sibiu). Dort besetzen seit der letzten Wahl die verbliebenen Sachsen alle Machtpositionen - Bezirkspräsident, Bürgermeister, 16 Stadträte.

Was Prinz Charles und die von ihm vertretene Londoner Mihai-Eminescu-Stiftung, die seit 1987 für Rumäniens Kulturerbe kämpft, vorhaben, kann in Deutsch-Weißkirch (Viscri) besichtigt werden. Der Ort im Repser Hügelland, nur auf Schotterstraßen durch Wildblumenmeere erreichbar, ist ein Leuchtturmprojekt für jenes Siebenbürgen, dem aufgeklärte Ansässige und einflussreiche Auswärtige eine Zukunft vorhersagen.

Unterm Walnussbaum vor der 804 Jahre alten Kirchenburg, wo früher in Speckkammern und Kornkästen die Notrationen der Sachsen lagerten, hat Prinz Charles die rüstige Sara Dootz kennen gelernt. Und ihre Hühnersuppe. »Er hat sie gegessen, er ist ein einfacher Kerl - nur halt ins falsche Nest gefallen«, sagt Sara. »Er hat mich geküsst, dass ich gedacht habe, ich wasche mich einen Monat nicht mehr.«

Saras Tochter Karoline Fernolend, die Seele des Dorfs und Gemeinderätin seit 1992, hat den Prinzen in Kirchentracht samt Bockeltuch beeindruckt. Die Weißkircher Sächsinnen gleichen darin Frauen auf flämischen Gemälden des 16. Jahrhunderts. Als Karoline später zu einer Konferenz nach London flog, begrüßte sie der Prince of Wales mit der Klage, in Tracht habe sie ihm besser gefallen.

Doch für Maskenzauber besteht in Weißkirch kein Anlass mehr. Im Dorf leben heute 300 Zigeuner, die nicht Roma heißen wollen, weil ihnen das zu sehr nach Rumänien klingt, neben 100 Rumänen und 29 Sachsen. Darunter mischen sich inzwischen jährlich 800 Franzosen. Einige Bauern haben in Spezialkursen bereits den Satz »Voulez-vous visiter notre église?« gelernt - Wollen Sie unsere Kirche besuchen?

Der sanfte Tourismus unter Einbindung der Bevölkerung blüht im Dorf seit Weißkirchs Erwähnung in einem entsprechenden französischen Reiseführer. Strickende Zigeunerinnen verkaufen Schafwollsocken in der Kirchgasse. Im Laden einer Initiative gibt es Keramik und selbst gemachten Apfelsaft. Zweimal pro Woche wird Vollkornbrot gebacken.

Auch für den Besuch einer Krankenschwester im ärztlichen Niemandsland ist wieder gesorgt. Und den Erhalt der Häuserfassaden ermöglichen Gelder aus dem Eminescu-Trust. Englische Spezialisten haben in London siebenbürgischen Mörtel analysiert und später junge Rumänen zu Restauratoren ausgebildet.

»Man muss sich verkaufen können«, sagt Karoline Fernolend und fügt hinzu, dass sie aber keinesfalls Bus-Tourismus unter der Sachsenburg wünsche. Deshalb auch will sie eine Asphaltstraße nach Weißkirch verhindern. Der Neugierigen kann sie sich schon so kaum mehr erwehren.

Während Mutter, Vater und zehn Erntehelfer an diesem Tag mit dem Heu zu schaffen haben, sind vor dem Bauernhof zwei Mitarbeiterinnen der Stiftung des walachischen Fürstenzöglings vorgefahren.

Sie planen eine Performance im Dorf, mit einem bekannten rumänischen Schauspieler, der schon mal mitgekommen ist. Sie sprechen von einer »awareness campaign«, die sie hier durchführen wollen, und von dem Plan, nationale Führungskräfte und emigrierte Sachsen an einen Tisch zu bringen.

Einen Moment lang sieht Karoline Fernolend aus, als wäre ihr plötzlich alles zu viel - der herzkranke Vater draußen beim Heu, die Gluthitze des Sommertags und die Aussicht auf eine bewusstseinserweiternde Performance in ihrem Dorf.

Dann besinnt sie sich, streckt sich und sagt zur Mutter: »Gut. Aber in der Kirche lassen wir sie auf keinen Fall auftreten.«

WALTER MAYR

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