DIPLOMATEN Kur nötig
Zwei abberufene Botschafter der Bundesrepublik müssen sich in dieser Woche im Außenamt an der Koblenzer Straße zum Rapport melden.
- Der eine, Professor Wilhelm Grewe, wurde in Washington abgelöst, weil Bonns mächtigster Verbündeter, Kennedy, ihn »nicht ausstehen« kann und er die Politik der Bundesregierung zu eindeutig vertrat (SPIEGEL 20/1962).
- Der zweite, Hans Anton Kroll, wurde in Moskau abgelöst, weil Bonns mächtigster Feind, Chruschtschow, ihn zu gut leiden mag und er die Politik der Bundesregierung zu zweideutig vertrat (SPIEGEL 11/1962).
In ihren Ade-Äußerungen in Rußland und Amerika haben nun die beiden deutschen Spitzen-Diplomaten ihrerseits ihrer Antipathie und Sympathie so undiplomatisch Ausdruck verliehen, daß sie sich diese Woche vor ihrem Minister rechtfertigen sollen.
Klagte Grewe an Bord der »Bremen«, die ihn vergangene Woche über den Atlantik heimbrachte: »Die Ansicht des Durchschnittsamerikaners (gegenüber Deutschland) ist nicht entscheidend. Es gibt gewisse Schichten, vor allem die Intellektuellen und Kreise an der Ostküste, die eine negative Einstellung haben. Sie zählen zu den einflußreichsten Gruppen in den USA.«
Prahlte Kroll nach einem sechseinhalbstündigen »ernsten, aber freundschaftlichen« Abschiedsgespräch mit Chruschtschow in dessen Urlaubsquartier Gagra am Schwarzen Meer: »Chruschtschow hat mich und die gnädige Frau (Frau Kroll) nicht wie Könige, sondern wie Kaiser behandelt.«
So artikulierter Unmut und Überschwang der beiden Botschafter waren Außenminister Gerhard Schröder gleich unangenehm.
Grewes Klage war als unverhohlene Kritik an Kennedys intellektuellem Berater-Clan gedacht und wurde von dem empfindsamen Präsidenten im Weißen Haus auch so aufgefaßt.
Vergebens suchte das Auswärtige Amt nach einer Ausrede. AA-Sprecher Dohms: »Wir können uns nicht denken, daß Botschafter Grewe sich so ausgedrückt hat.« Feststellen, ob er sich so ausgedrückt hatte, wollte das Außenministerium aber auch nicht: Eine Verbindung mit dem auf dem Atlantik schwimmenden zukünftigen Nato-Botschafter Grewe sei bisher nicht hergestellt worden, so verriet Bundespressechef von Hase; das Nichtvorhandensein von Verschlüsselungsanlagen auf der »Bremen« würde »einen möglichen Meinungsaustausch der ganzen Welt preisgeben«.
Krolls Großsprechereien dagegen suchte nicht einmal das sonst jedem noch so gewagten Dementi zugeneigte Außenamt in Zweifel zu ziehen. Außenminister Gerhard Schröder hatte einen besseren Einfall. Er stellte Krolls Äußerungen als Erkenntnisse eines kranken Mannes hin. Ihm sei bekannt, sagte der Außenminister über seinen Botschafter und zukünftigen Ost-Berater, daß Kroll gesundheitlich »ziemlich angegriffen« sei und wohl eine längere Kur in einem Sanatorium benötige.
Dabei hatte Kroll nicht einmal übertrieben, als er in seinem Abschiedsinterview bescheiden verkündete, Chruschtschow bedaure seinen Fortgang und zeige an seinem Nachfolger »völlige Uninteressiertheit«.
Denn die Nachfolger von Grewe und Kroll, die künftig die wichtigsten deutschen Auslandsposten besetzt halten sollen, sind Statisten auf der diplomatischen Bühne:
- Karl Heinrich Knappstein, 56, ein gemütlicher, wenig arbeitseifriger Westfale, war nach einem eindrucksvollen Start (1950) als Generalkonsul in Chicago hintereinander Botschafter in Madrid, Unterstaatssekretär im Außenamt und Vertreter bei der Uno, ohne sich auf irgendeinem der drei Posten besonders ausgezeichnet zu haben; Ende letzter Woche überreichte er Präsident Kennedy sein Beglaubigungsschreiben.
- Horst Groepper, 53, ein farbloser, vorsichtiger Karriere-Diplomat, der für Hitler zwei Jahre als Legationssekretär und für Adenauer vier Jahre als Botschaftsrat Erfahrungen in Moskau sammelte, war zuletzt Ministerialdirigent und stellvertretender Leiter der Ostabteilung des AA; er mußte auf sein Agrément aus Moskau, das er letzte Woche erhielt, über einen Monat warten.
Diese Diplomaten-Wahl, die angesichts der durchaus durchschnittlichen Qualitäten von Knappstein und Groepper von den größten Weltmächten sehr wohl als Affront betrachtet werden könnte, ist nicht als Mißachtung für Washington und Moskau gedacht, sondern entspringt einem ganz anderen Motiv Gerhard Schröders: Die beiden auswärtigen Schlüsselpositionen sollen nicht länger mit Star-Diplomaten besetzt werden, die eigene Initiative entfalten, eigene Vorstellungen entwickeln und daher oft so unbequem sind wie Grewe und Kroll.
Statt dessen will der Außenminister gerade auf diese Posten gehorsame, linientreue Beamte entsenden, die jede Routinearbeit bewältigen können, ohne selbst Politik machen zu wollen. Die macht nur Gerhard Schröder.
Erläutert der Außenminister seine neuen diplomatischen Führungsgrundsätze: »Die diplomatischen Vertretungen haben heute längst nicht mehr die Bedeutung früherer Zeiten. Sie spielen kaum noch eine Rolle und sind mehr oder weniger Briefträger. Der eine bringt, der andere nimmt mit.«
Abgelöste Botschafter Kroll, Grewe: Vom Feind geehrt, vom Freund mißachtet
Neue Botschafter Knappstein, Groepper: »Der eine bringt, der andere nimmt mit«