Otto Köhler KURZER SEUFZER
Ein Schallplatten-Ereignis ist anzuzeigen: Der Verleger Axel Springer empfing zum »Tag der Heimat« die Plakette »Für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht«. Er sprach eine Dankrede, die ihm alsbald Zustimmung aus ganz Deutschland einbrachte. Herr G. aus Salzgitter fragte: »Kann man Ihre Rede auf einer Schallplatte erhalten? Wie die berühmte Rede des Baron von Guttenberg?«
Man kann seit letzter Woche. Der Verleger ("Seid nett zueinander") konnte einfach nicht den Wunsch aus Salzgitter abschlagen. Zwar brachte der aufstrebende Vortragskünstler die schwarzrotgoldgeränderte Platte im Eigenverlag heraus. Doch »25 Jahre -- nur ein kurzer Seufzer der Geschichte« -- setzt ohne Übertreibung einen Meilenstein in der Vortragskunst. Faszinierend die diszipliniert gebändigte Rationalität, wenn Axel Springer von »Heimat« spricht, vom »Recht auf Heimat«. Wenn er die Qual der seit einem Vierteljahrhundert Heimatlosen vergleicht mit dem mühelosen Aufstieg, der sich ihm aus Angestammtem eröffnete: »Wieviel einfacher für den, der aus der angestammten Mitte heraus operieren konnte. Vom Heimweh nicht gequält.«
Wahrhaft erstaunlich ist die beispiellose Transparenz seines Vortrages, wenn er in erfrischender Natürlichkeit das Thema des deutschen Erstgeburtsrechtes anschlägt. »Aber für ein Linsengericht gibt man nicht das Erstgeburtsrecht auf«, fordert er in einem metallischen Belcanto. Kein Zweifel, Axel Springers Organ hat stählernen Glanz ("Das Recht auf Heimat, sagte ich") ebenso wie elastisch federnde Biegsamkeit ("Ausgleich mit dem Osten? Dreimal ja! Aber
Sprechend legt Axel Springer gleichsam Quader auf Quader, bis ein gigantisches Gedankengebäude steht. So wenn er die überzeugend vorgetragene Erkenntnis »Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein« alsbald überhöht zu der umgreifenden Einsicht: »Auch für Berlin gilt: Es lebt nicht vom Brot allein.«
Mit einer unglaublichen Intonationssicherheit und mit unforciertem tenoralem Brio konstatiert er: »Die Moral läßt sich nicht fortschicken wenn sie stört, und rufen, wenn sie zweckmäßig erscheint.« Und neben diesen gewaltigen Stentortönen steht ihm auch ein Pianissimo von lauernder Hintergründigkeit zu Gebote, wenn er fragt: »Oder ist es falsch, moralische Maßstäbe anzulegen? Ist, wer es tut, ein Narr?«
Mit absolut richtigem Gespür für abgestufte dynamische Schattierungen beschreibt er, wie teuer es zu stehen kommen wird, »wenn die sowjetische Hegemonie in Europa -- mit dem Vertrag von Moskau winkend -- an die Ernte dessen geht, was da gesät wurde«. Gekonnt das resignative Tremolo: »Auch mir ist keine Beleidigung erspart geblieben.« Mitreißend der durch Wiederholung, nie ermüdende Hinweis auf den Fernsehfilm, der über ihn gedreht wurde und bei dem »so vieles der Schere zum Opfer gefallen« ist, obwohl es der medienferne Vortragskünstler so gern »einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen« hoffte.
Doch zum Musterbeispiel für seine jedem protzigen Stimmaufwand abholde Verinnerlichung des Vortrages wird am Ende sein Solo-Finale mit dem Le-Fort-Gedicht »Deutsches Leid«. Wie er hier mit suggestiver Eindringlichkeit und visionärer Kraft beschwört: »Ich müßte dennoch, dennoch sterben, wenn Deutschland untergeht« -- das läßt uns ernsthaft um das Leben des Künstlers fürchten, nachdem mit der Brandt-Unterschrift der Untergang Deutschlands tatsächlich begann.
Doch noch darf man hoffen. Denn Axel Springer hat sich jetzt auch dazu entschlossen, das audiovisuelle Mittel des Kassettenfernsehens In den Dienst seiner Vortragskunst zu stellen. Und das kam so: Otto Brix aus Stadtoldendorf sprach in der »Welt« zugleich im Namen Hunderter »gleichgesinnter« Bürger den herzlichen Dank für Springers neuesten Leitartikel »Statt Versöhnung mit Polen eine Kluft in unserem Volk« aus. Spontan entschloß sich darauf unser begnadeter Künstler, seinen Leitartikel zu vertonfilmen.
Man wird von dem musikalischen Ereignis der Saison sprechen dürfen: Axel Springer begleitet sich selbst mit Klampfe, Stativ-Harmonika und fußbedienter Trommel zu dem ergreifenden Gesang von der großen »Kluft in unserem Volk«. Die audiovisuelle Geschenk-Kassette kann ab sofort bei Springers Vertragshaus »Quelle« in 8510 Fürth unter der Nummer 55059 zum Sonderpreis von nur 28 Mark bestellt werden.