Zur Ausgabe
Artikel 10 / 88

»Längst nicht mehr in der Ecke«

Wie aus dem deutschlandpolitischen Falken Strauß ein Kredit-Einfädler wurde *
aus DER SPIEGEL 1/1988

Den »Ausverkauf deutscher Interessen durch die liberalsozialistische Koalition« beklagte Franz Josef Strauß, Münchenauf, Kielunter, während der ganzen 13 auszusitzenden Oppositionsjahre. Noch im März 1983, als der 1980 geschlagene Kanzlerkandidat unter Kohl gern Außenminister geworden wäre, schlug er starke deutschlandpolitische Töne an.

In einem 140-Seiten-Papier für die Koalitionsverhandlungen mit der FDP forderte der bayrische Falke die »Wiederherstellung eines richtigen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung in der Deutschlandpolitik«. Die Bundesrepublik dürfe sich keinesfalls in Situationen begeben, »die sie den Erpressungen der SED-Machthaber aussetzt«.

Dies war der Strauß, wie ihn die Seinen kannten und liebten: ein Mann mit gefestigtem Feindbild, dem Unnachgiebigkeit und Druck auf die DDR realistischer schien als die Finanz- und Vertrauensvorschüsse der Ostpolitik Brandtscher Prägung.

»Die ängstliche Leisetreterei der Regierung Schmidt/Genscher«, dekretierte der Bayer, »darf nicht von der Regierung Kohl/Genscher fortgesetzt werden.«

Dieser Strauß schnaubte, nach einem Zusammentreffen mit Honecker befragt, 1980, erst wenn Ost-Berlin bereit sei, »auch über den Abbau der verbrecherischen Selbstschußanlagen« und die »Aufhebung des Schießbefehls zu reden«, käme er; und Finanzhilfen hingen zusammen »mit einem freien Besuchsverkehr« sowie »mit dem Abbau von Mauer und Todesstreifen«.

Wer unter der im deutschlandpolitischen Grundsatzpapier der CSU-Landesgruppe von 1978 gelegten Sprunglatte ("Gewährung wirtschaftlicher Vorteile durch die Bundesrepublik Deutschland nur noch unter der Bedingung . . . daß die andere Seite politische Zugeständnisse macht") durchtauchte, bekam Hiebe. Helmut Schmidt, 1981 von seinem Treffen mit Honecker am Werbellinsee zurückgekehrt, wurde von Strauß gescholten, er habe den SED-Chef »gewaltig aufgewertet« und ohne Gegenleistungen »erhebliche materielle Erleichterungen verbindlich zugesagt«. Kurzum: Der Schmidt-Besuch bei Honecker war kein deutsch-deutscher Gipfel, sondern ein »Parterre-Treffen«, ein »Maulwurfshügel«.

Im Juli 1983 aber vollführte Strauß eine Kehrtwendung, als handle es sich bei ihm um einen labilen Sanguiniker. Nach dem Adenauer-Motto »Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern« gab sich Strauß nur wenige Monate nach der Kohl-Wahl als der Einfädler eines Milliardenkredits an die DDR zu erkennen. Er traf sich mit dem SED-Chef auf Schloß Hubertusstock und adelte anschließend seine überraschende Beziehungskiste mit einem Flug von Erfurt nach München in einer von ihm gesteuerten Piper Cheyenne.

Als habe er nie die Forderungen, der DDR mehr Selbstbewußtsein und mehr materielle Vorteile zuzugestehen, als Ausfluß einer »geradezu lebensgefährlich törichten Philosophie« gebrandmarkt, verklarte er seinen düpierten Fans in einem SPIEGEL-Gespräch, wie sich bei ihm Realität in Einsicht umsetzt: »Viele Leute sind nur deshalb verärgert, weil die mich in einer Ecke für dauernd festnageln wollten und auf einmal festgestellt haben, daß ich schon längst nicht mehr in der Ecke stehe.«

Als CSU-Frondeure in Wildbad Kreuth kurz vor den bayrischen Kommunalwahlen, um Wählerstimmen fürchtend, wieder in die Gräben des Kalten Krieges zurückhüpfen wollten, beschied Strauß sie mit der Voraussage weiterer Gegenleistungen der kredithungrigen DDR und einer Warnung: »Im Verhältnis zum Osten können wir nicht wieder da anfangen, wo wir 1969 aufgehört haben.«

Daß es ein Zurück hinter die deutschlandpolitischen Linien der sozialliberalen Koalition nicht geben dürfe, ließ Strauß auch seinen Männerfreund Kohl im Dezember 1986 wissen. Von Kohls Wahlgerede über das »zutiefst menschenfeindliche System« der DDR, in der es »Konzentrationslager« gebe, distanzierte sich Strauß vor dem CSU-Wahlkongreß: Es gebe in den letzten drei Jahren, eben seit Straußens Einfädelei und seinem Besuch bei Honecker, »gewisse Zeichen der Annäherungsbereitschaft zur Zusammenarbeit mit uns«. Insgesamt: »Die Bilanz ist gut.« Schließlich: »Ich enthalte mich jeder diskriminierenden Bewertung.«

Straußens wundersame Wandlung vom Falken zur Taube bekam auch Honecker bei seinem Besuch in Bayern letztes Jahr zu spüren. Von einer Sonderbeziehung zwischen der DDR und dem Freistaat Bayern redete der Bayern-Herrscher in seiner Begrüßungsansprache und von »Verantwortung«, die es gebiete, trotz tiefgreifender Unterschiede zwischen Ost und West, »den Weg der Zusammenarbeit weiterzugehen«.

Selbst in einer Protokollfrage stach Strauß Kohl noch aus. Statt derer sieben, wie in Bonn beim Honecker-Empfang, eskortierten in München gleich 15 Polizisten den Besucher-Konvoi vom Flughafen in die Stadt. _(Am 7. August 1987. )

Am 7. August 1987.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 10 / 88
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren