USA Lärmendes Spielzeug
Ein Schnappschuß aus Frankreich schockte Amerika: Georges Pompidou, kopfhörerbewehrt an Bord der »Concorde« -- das erste Staatsoberhaupt der Welt, das mit einem Passagierflugzeug zweimal so schnell flog wie der Schall (siehe Seite 187).
»Vive Concorde!« begeisterte sich der schnelle Franzose. Und das nagte am Selbstgefühl der Luft-Weltmacht USA. Denn erst kurz zuvor hatte Amerika sein eigenes gigantisches Projekt des Überschallflugzeugs »Boeing 2707« praktisch beerdigt.
Ober eine Milliarde Dollar, davon 85 Prozent aus Steuergeldern, gaben die Amerikaner seit 1959 für die Entwicklung dieses »Supersonic Transports« (SST) aus. 1978, so war es geplant, sollten die ersten Jets mit dreifacher Schallgeschwindigkeit den Atlantik überqueren.
Doch immer mehr Bürger empörten sich über SST. Denn technischer Fortschritt allein schien ihnen sinnlos. Sie warnten vor den hohen Kosten, vor der »Verzerrung der nationalen Prioritäten« (The New York Times"), vor den verheerenden Umweitschäden durch Überschallknall und Abgase.
Senator William Proxmire, Führer der Widerstandsfront im Kongreß, verurteilte die 2707 als »lärmendes, stinkendes Spielzeug für den Jet-set«.
Die Kampagne hatte Erfolg: Mitte März lehnte das Repräsentantenhaus mit 215 gegen 204 Stimmen eine von Nixon geforderte 290-Millionen-Dollar-Spritze für die Boeing ab; kurz darauf verweigerte auch der Senat weitere Zuschüsse.
Das Oberschallprojekt« konstatierte »Newsweek« damals, sei gestorben -- »und mit ihm eine ganze Ära des technologischen Nationalismus«.
Indes, die SST-Gegner freuten sich zu früh. Denn unterstützt und ermuntert vom Weißen Haus, rüsteten sich Parlamentarier, Lobbyisten der Flugzeugindustrie und Gewerkschaftler zu einer neuen (Luft-)Schlacht. Die Chance für eine Wiederbelebung von SST lag vor allem in der Besorgnis über die wachsende Arbeitslosigkeit in der Flugzeugindustrie. 37 000 Amerikaner, so klagte Gerald Ford, Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, hätten allein wegen des SST-Baustopps ihre Jobs verloren.
Der Luftfahrt-Lobby half auch die ausländische Konkurrenz. Mit Hinweisen auf die sowjetische TU-144 und die britisch-französische Concorde ließ sich abermals das amerikanische Nationalgefühl mobilisieren. »Wenn wir SST stoppen«, mahnte etwa der Kongreßabgeordnete Edward Boland kurz nach Pompidous Überschallflug, »werden wir die Führungsrolle in der Luftfahrt verlieren. Das ist ganz klar.«
Sorge um die Arbeitslosigkeit, der massive Druck der Lobbyisten mit Richard Nixon an der Spitze, dazu noch die Angst vor einem weiteren Prestigeverlust der ohnedies angeschlagenen Weltmacht -- das alles bewirkte, daß einige Abgeordnete die Fahnen wechselten. Vorige Woche demonstrierte die Überschall-Mannschaft im Kongreß überraschend ihre neue Stärke -- mit einem Trick.
Als das Repräsentantenhaus darüber zu entscheiden hatte, ob der Staat den bislang am SST-Projekt beteiligten Firmen eine Abfindung von 85,3 Millionen Dollar zahlen solle, funktionierten die Boeing-Fans die Gesetzesvorlage um. Mit 201 gegen 197 Stimmen beschlossen sie, das Geld nicht als Abfindung, sondern zur Weiterentwicklung des umstrittenen Flugzeugs freizugeben.
»Sehr weise«, lobte Richard Nixon. Nun werde hoffentlich auch der Senat für die Weiterarbeit am SST plädieren.
Die Hoffnung des Präsidenten erhielt weiteren Auftrieb, als am Donnerstag auch der zuständige Senatsausschuß die 85,3 Millionen Dollar für die schnelle Boeing freigab. Damit ist jedoch noch nichts entschieden: im Senatsplenum nämlich, das ebenfalls abstimmen muß, rechnen sich die SST-Gegner immer noch eine Mehrheit aus.
Ein neues Argument erhielten sie -- paradoxerweise -- vom SST-Bauer Boeing: Firmenchef Richard Allen prophezeite zusätzliche Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Dollar, um das Flugzeugprogramm überhaupt wieder anzukurbeln.
Allen: »Ich weiß, das ist eine schockierende Zahl. Aber in diesem Geschäft kann man eben Projekte nicht an- und abdrehen wie einen Wasserhahn.«