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BONN / SPD Lästerliche Reden

aus DER SPIEGEL 52/1970

Nach 14 Monaten Bonner Regentschaft ist In der SPD ein offener Kampf zwischen Genossen und Genossen ausgebrochen Kabinettsherren und Parteiführer lassen jene Solidarität fahren, die über hundert Jahre die Stärke der deutschen Sozialdemokraten war.

Persönliche Anwürfe bis hin zu Verbalinjurien sind unter SPD-Führern Umgangston geworden. Post- und Verkehrsminister Georg Leber abschätzig über Wirtschaftsminister Karl Schiller: »Dieser Konjunkturpolitiker. Schiller über Leber. »Dieser Winkelried«. Schiller über Arbeitsminister Walter Arendt: »Der macht im Kabinett den Mund nie auf.« Ein führender SPD-Parlamentarier über den Kanzler-Vertrauten Egon Bahr:« Dieser Galgenvogel«. SPD-Fraktionschef Herbert Wehner über seine Hinterbänkler, die »Kanalarbeiter« des Innerdeutschen Ministers Egon Franke: »Säufer und Säue.

Wehner hatte den schwelenden Konflikt am Freitag vorletzter Woche noch angefacht, als er öffentlich den Partei-Rechtsaußen Helmut Schmidt annahm. Auf dem Jungsozialisten-Kongreß in Bremen bezichtigte Parteivize Wehner den Parteivizen Schmidt »lästerlicher Reden, die Ihm nicht verziehen werden sollen«, und warf ihm Mangel an Takt im Umgang mit Genossen vor.

Helmut Schmidt reagierte heftig. Im Parteivorstand hieb der Verteidigungsminister am Montag letzter Woche mit der Faust auf den Tisch und hielt Kritiker Wehner vor, er habe die Solidarität verletzt. Parteichef Brandt ging auf Distanz: Das Verhalten Wehners, so mutmaßte er gegenüber Parteifreunden, sei wohl »irrational«.

Der Streit In der Regierungspartei hat freilich handfeste Gründe. Die Erfolge des Regierungspartners FDP bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben die SPD vorerst von der Furcht befreit, mitten in der Legislaturperiode die Macht in Bonn zu verlieren. Zugleich aber verschaffte die Stabilisierung der Koalition den Genossen Gelegenheit, sich um den Zustand ihrer Partei zu kümmern.

Denn viele Sozialdemokraten waren beunruhigt, daß die SPD im Gegensatz zum Koalitionspartner FDP in Hessen und Bayern Stimmen verloren hatte. Regierungssprecher und Partei-Neuling Conrad Ahlers (SPD-Mitglied seit 1968) erkannte: Der Verlust von durchschnittlich zwei Prozent bei fünf Landtagswahlen in diesem Jahr »steckt der Partei natürlich in den Knochen«.

Die Schuld am schlechten Abschneiden lasteten Wahl-Analytiker auf der SPD-Rechten den Partei-Linken an, vornehmlich den Jungsozialisten. Die Partei-Rechte begann, sich gegen die Linke zu formieren.

Selbsternannter Führer der rechten Bewegung ist Helmut Schmidt, der die Parole ausgab: »Es muß doch endlich mal beginnen mit der Autorität in diesem Scheiß-Staat.« Als einer der prominentesten Schmidt-Partner gilt Unternehmerfreund Karl Schiller, der den Ministerkollegen bereits seiner Sympathie versichert hat.

Nervosität und Hader in der SPD infizierten auch das Kabinett. In diesem Regierungszirkel« in dem nach Ansicht von Entwicklungshilfe-Minister Erhard Eppler ohnehin »kein Teamgeist« herrscht, arten in jüngster Zeit sachliche Kontroversen sozialdemokratischer Minister selbst ohne ideologischen Hintergrund zu persönlichen Fehden aus.

So gerieten in einer »Atmosphäre der Verdrossenheit« (ein Kabinettsmitglied) vorletzte Woche die Minister Leber und Schiller über die Erhöhung der Postgebühren im Kabinettssaal aneinander. Leber verdächtigte den Wirtschaftsminister, der wegen der anhaltenden Teuerung bei abflachender Konjunktur gegen die höheren Tarife stritt, mit falschen Zahlen zu operieren: »Da kommt der Herr Schiller mit Zahlen, die ihm ein gewisser Noe ausgerechnet hat.« Lebers Tiefschlag galt dem Schiller-Berater und Unterabteilungsleiter Im Wirtschaftsministerium, dem Sozialdemokraten Klaus No&

Einige Kabinettsherren zischten den Ex-Gewerkschaftsboß aus. Doch Leber ließ sich nicht bremsen. Er bezichtigte den Ökonomie-Professor der Kollaboration mit dem Regierungsgegner Axel Springer. Schiller habe Springers Bild-Zeitung« gezielt mit Indiskretionen Ober die geplanten Gebührenerhöhungen munitionieren lassen.

Der bedrängte Schiller spielte Schließlich sein gesetzlich garantiertes Vetorecht aus. Seine Kontrahenten hielten mit. Schillers Intimfeind Alex Möller, der sich mit Rücksicht auf seinen strapazierten Bundeshaushalt auf Lebers Seite geschlagen hatte, ließ durchblicken, daß er bei einer Entscheidung gegen Gebührenerhöhungen die Verantwortung dafür nicht tragen könne Doppelminister Leber bot einen Rücktritt an -- freilich nur für das Postressort, Verkehrsminister wollte er bleiben.

Im Gebührenkonflikt hatten die streitbaren Genossen sogar Verbündete außerhalb der SPD gesucht, Schiller spickte den FDP-Innenminister und freute sich später: »Die Fragen des Herrn Genscher waren sehr hilfreich,« Leber stützte sich auf einen CSU-Amtsvorgänger: »Die Haltung Stücklens war verantwortungsvoll. Der kennt die Post,«

Nach der turbulenten Kabinettssitzung machte der sensible Wirtschaftsminister seinem Ärger darüber Luft, daß er die Gebührenerhöhungen bei der Post nicht hatte verhindern können. Vor Parteigenossen holte er zu einem Rundschlag aus.

Dem Kanzleramtsminister Horst Ehmke warf er Versagen bei der Koordination der Ressortvorhaben vor, weil er von der Höhe der Gebührenforderungen Lebers überrascht worden sei. Schiller: »Der Horst meint, er könne das alles selber machen. Der meint, das hätte er allen in seinem Computer.«

Auch Arbeitsminister Arendt, dessen sozialpolitische Aktivitäten nicht in des Wirtschaftsministers Konjunkturkonzept passen, bezog Schiller-Schelte: »Der Walter wußte bisher nicht einmal, daß es Ressortbesprechungen gibt. Der hat das Betriebsverfassungsgesetz mit dem DGB und Herrn Schmidt-Kempten von der FDP ausgehandelt und gemeint, das reicht.«

Wehmütig erinnerte sich Schiller dann an die Zeit der Großen Koalition, als er mit CSU-Finanzminister Franz Josef Strauß kooperiert hatte: »Das lief gut bis auf das letzte halbe Jahr,«

Auch Helmut Schmidt machte letzte Woche seinem lange aufgestauten Unmut Luft. Bundesjustizminister Gerhard Jahn, der sich mit einer Liberalisierung des Ehe- und Sexualstrafrechts bemüht, dem Ehrgeiz des Kabinetts der »inneren Reformen« ohne große Kosten zu genügen, wurde von dem Bundeswehr-Oberbefehlshaber angeschossen: »Was werden wohl die Frauen um 80 mit Hängebusen von diesem neuen Eherecht halten?«

Selbst am Bundeskanzler, den Schmidt ebenso wie den Parteieinpeitscher Wehner und den Wirtschaftsminister Schiller nicht für führungsstark hält, mäkelte der rechte Partei-Präzeptor herum: Spektakuläre Auftritte im Ausland seien natürlich einfacher als die Bonner »Tagesarbeit«.

Schmidts Verteidigungsministerium sorgte für neuen Zündstoff im Kabinett. Als Deutschland-Minister Egon Franke der Runde eine Expertise präsentierte, in der eine Wissenschaftler-Gruppe -- für Willy Brandts Bericht zur Lage der Nation am 20. Januar -- die deutschen Staaten miteinander verglichen hatte, erhob Schmidt Einspruch.

Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts verwarf Schmidts Ressort das erste Kapitel der Synopse, in der »allzu wertfrei« DDR und BRD in ihren jeweiligen Bündnissystemei. gegenübergestellt worden seien. Erst zum letztmöglichen Termin vor der Drucklegung fand die Regierung am letzten Donnerstag einen krummen Ausweg: Die BRD/DDR-Synopse soll in Eigenverantwortung der Wissenschaftler erscheinen.

Der Streit in Kabinett und SPD erinnerte FDP-Vize und Bundesinnenminister Genscher an den Erosionsprozeß einer früheren Regierungspartei: »Der SPD scheint es fast wie der CDU zu gehen.«

In der Tat haben Positionskämpfe um Prestige und Kompetenzen, um theoretische Perspektiven und praktische Reformvorschläge bei den regierenden Sozialdemokraten jene Bindungen gelockert, denen die Oppositions-Partei SPD ihre Geschlossenheit verdankte. So ist es mehr denn je die sozialdemokratische Vaterfigur Willy Brandt, die den Zusammenhalt der Partei garantiert. Conrad Ahlers: »Brandt hält den archimedischen Punkt außerhalb dieser Richtungskämpfe. Es ist nicht anders möglich, die Geschlossenheit der Partei zu wahren.«

Nur Brandts freidemokratische Koalitionspartner, die vor wenigen Wochen noch um die eigene Existenz fürchten mußten, sehen nun den Querelen in der sozialdemokratischen Spitzenmannschaft gelassen zu. FDP-Vize Genscher: »Bei uns ist das besser. Scheel ist meist nicht da, Ertl auch nicht, und mit mir selber bin ich selten zerstritten.«

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