HANDEL / BESTECKE Land des Löffels
Sie essen mit Stäbchen, aber sie leben von Messern und Gabeln. Die Einwohner des japanischen Industriestädtchens Tsubame fertigten allein im letzten Jahr über 50 Millionen Eßwerkzeuge im Wert von 17,4 Millionen Mark für Deutschland und sind dabei, den westdeutschen Markt total zu erobern.
Im ersten Anlauf vereinnahmten die Japaner 90 Prozent des Massengeschäfts mit einfachen Bestecken aus Chromstahl. Für 24 fernöstliche Teile zahlen Bundesbürger zwischen elf und 13 Mark, der gleiche Satz aus Solinger Besteck-Schmieden kostet 30 bis 35 Mark.
Westdeutsche Kaufhäuser beziehen die Geräte waggonweise und bieten sie unsortiert auf Wühltischen feil. In Großrestaurants, Kantinen oder Krankenhäusern wird bereits vorwiegend japanisch gelöffelt.
Die westdeutsche Besteck-Industrie, die zumeist aus Kleinfirmen besteht, nahm den Kampf gar nicht erst auf; sie hätte ihn wegen ihrer hohen Lohnkosten doch nicht bestehen können. Im letzten Jahr stellten etwa zehn Firmen in Nordrhein-Westfalen den Betrieb ein. Andere Hersteller, die bis dahin nur Massenware produziert hatten, versuchten es mit edlerem Gerät. Sie boten Bestecke aus Chromnickelstahl an sowie Fondue-Gabeln, Schaschlik-Spieße oder Muschel-Zangen.
Aber auch der gehobene Markt -- er umfaßt etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes rostfreier Stahlbestecke -- ist jetzt vor Tsubame nicht mehr sicher. Dr. Fritz Strudthoff, Vorstandsmitglied des größten europäischen Besteckherstehers, Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen: »Es gibt Anzeichen dafür, daß die Japaner sich auch auf die Produktion von Chromnickelstahl-Bestecken einstellen.«
Peter Wohlers in Hamburg, der es als Chef der führenden Besteck-Importfirma O. Bergmann & Co. wissen muß, hält solche Voraussagen für »nicht ganz unbegründet«. Tatsächlich haben sich die japanischen Messerhelden bei einer Hamburger Marktforschungsgesellschaft bereits eine entsprechende Marktstudie bestellt.
Die WMF befürchtet, daß auch die Käufer von Prestige-Bestecken heute für ostasiatische Minipreise anfällig sind. Strudthoff: »Was nützen die beste Verpackung und der beste Service, wenn ein oder zwei Meter weiter die Japaner zu 25 Prozent billiger in ähnlicher Qualität anbieten?«
Aus Bonn, wo der Branchen-Verbandsgeschäftsführer Dr. Dietrich Balfanz im Wirtschaftsministerium vorstellig wurde, kam keine Unterstützung; die Industrie wurde auf Selbsthilfe verwiesen. Ein Rezept dafür bieten die Gegner an.
Hans-Bernd Giesler, Leiter des von den Japanern eingerichteten deutschjapanischen Wirtschaftsbüros in Hamburg, empfiehlt den Solingern, es mit Tsubame auf dessen eigenem Territorium aufzunehmen: »In Japan hat Solingen einen Traumklang. Was daher kommt, darf ruhig auch etwas teurer sein.«