LANDFLUCHT
(Nr. 41/1967, Jaspers-Auszug)
Ein amerikanischer Botschafter hat für die Universität Heidelberg einen Erweiterungsbau gestiftet. Über dem Portal wurden die Worte »Dem Lebendigen Geist« angebracht. Die Nazis änderten das in »Dem deutschen Geist«. Daß Jaspers 1948 mit seiner Frau nach Basel gezogen ist, um glücklich zu werden, wen wundert es? Engenhahn (Hessen) KARL LINNMANN
Wer bereits 1948 fünf Möbelwagen mit Umzugsgut mitnehmen konnte, war weiß Gott kein armer gemaßregelter Mann! Wer als Mann des Geistes und der Standeswürden seine Auswanderung auch mit dem Hunger des Jahres 1945 motiviert -- derweil Millionen unschuldiger Kinder größte Not durchkosteten -, um sich selbst aus dem Strom wöchentlich einlaufender Care-Pakete Vorräte anzulegen, statt diese obskure Gesellschaftsordnung mit menschlichen Taten zu entrümpeln, der würde besser schweigen mit seiner Philosophie.
Miesau (Rhl.-Pf.) PAUL SCHWER
Professor Jaspers schildert in überzeugender und fesselnder Weise die intellektuelle Unredlichkeit der (bundesrepublikanischen) Deutschen.
Ungewollt, wie man annehmen muß, entschlüpft ihm ein Beispiel eigener Redlichkeit: Der Philosoph, der das fertige Weltbild zum Feind wahrer Existenz erklärt, Unsterblichkeitsglauben als Hindernis bewußter Selbstwerdung betrachtet und Jenseitshoffnung mit feiger Flucht vor der Tragik des Menschseins behaftet sieht, zahlt pünktlich seine protestantische Kirchensteuer.
Innsbruck GÜNTHER KOPP In den Jahren 1946 bis 1948 studierte ich an der Universität Heidelberg Volkswirtschaft und besuchte wie viele meiner Kommilitonen oft die Vorlesungen Jaspers. Der Weggang Jaspers« von Heidelberg war auch für uns Studenten der ersten Nachkriegsjahre ein Rätsel. Wir verehrten diesen Philosophen. Seine klare Diktion vom Katheder herab faszinierte und erhellte Horizonte. Wenn er über die »Schuldfrage« Vorlesung hielt, war die Aula der alten Universität brechend voll; nicht nur Studenten kamen, ich hatte oft den Eindruck, daß das halbe Heidelberg versammelt war. Jetzt, fast 20 Jahre nach seinem Domizilwechsel, verrät Jaspers eigentlich indirekt, warum er ging. Und es erweist sich, daß auch er nur ein schwacher Mensch ist -- was er nur zu gut weiß -- und daß ganz offenbar seine Kollegen, als sie ihn damals in Heidelberg zu halten suchten, an ihm vorbeiredeten, weil sie ihn in dieser Situation überschätzten und kaum ahnten, daß den großen Mann vor allem Ärger und Trotz zu seinem Entschluß kommen und auf ihm beharren ließen. Zwölf Jahre lang stellte sich der Philosoph unter, weil es regnete. Nun, da für ihn die Sonne wieder schien, wurde er ungeduldig und war schon zwei Jahre nach der Kriegskatastrophe fertig mit seinem Urteil, daß sich in Deutschland nichts geändert habe. Er, ein Mann, der uns Studenten lehrte, uns für alles offen zu halten, für die Sühne und für den Glauben, kapitulierte an den Querelen des akademischen Alltags, kehrte einem Anfang und einer Aufgabe den Rücken, ließ die Jungen im Stich, die er mit seinen Schriften im deutschsprachigen Exil nimmermehr so wirksam zu bilden vermag, und wandte sich den Milchtöpfen Basels zu.
Mannheim HANS BAUMANN
Es ist sehr zu begrüßen, daß Sie diesen Bericht des Herrn Professors Jaspers veröffentlicht haben. Unserer so mangelhaft in Geschichte unterrichteten Jugend kann er helfen, zu begreifen, warum das Frankfurter Professoren-Parlament von 1848 50 kläglich versagt hat.
Berlin DR. OTTO SCHMIDT
Wie sehr die Erinnerung wunschgeformt werden kann, zeigt der Jaspers-Bericht über die Motive seines Weggangs aus Heidelberg. Der dabei besonders schlecht weggekommene Althistoriker Professor Hans Schaefer hatte die Angewohnheit, immer rasch aufzustehen, wenn eine Sache für ihn erledigt war. Politische Motive im Falle Jaspers zu unterstellen, ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.
Ich hatte damals Professor Hans Schaefer, bei dem ich promovierte, davon berichtet, daß Professor Jaspers mir erzählt hatte, er müsse aus Rücksicht auf seine Frau, für die er in Basel, aber nicht in Heidelberg, täglich einen Liter Milch bekomme, den Ruf nach Basel annehmen.
Wir Studenten hatten damals eindringlich Professor Jaspers gebeten, in Heidelberg zu bleiben. Ich selbst fühlte mich berechtigt, Professor Jaspers direkt anzusprechen, weil ich auf meine Fragen bei ihm immer einen menschlich großzügigen und geistig überlegenen Beantworter fand.
Wenn ich mich heute gegen seine Interpretation der damaligen Zeit wehre, dann nur, weil ich vermeiden will, daß bei der Fixierung des Geschichtsbildes den Toten Unrecht geschieht.
Wenn der SPIEGEL noch Platz hat für den zweiten Teil meines Leserbriefes, würde ich gern der heutigen Studentengeneration darstellen, wie einfach es in der Enge der Nachkriegszeit war, mit weltbekannten Professoren in Kontakt zu kommen.
Ich hatte zufällig erfahren, daß Jaspers für ein amerikanisches Institut zwölf ausgewählten Studenten das Thema stellte: Deutschland, wie ich erwarte, daß es sein wird. Ich beteiligte mich als dreizehnter unaufgefordert und lieferte 1946 das Thema ab: Deutschland, wie ich befürchte, daß es sein wird. Nach wenigen Tagen erhielt ich von Jaspers eine Karte mit zierlicher Handschrift: »Ihren Anschauungen stimme ich durchaus zu ... Ich habe sie mit Ergriffenheit gelesen. Ihr K. J.«
Darauf meldete ich mich für das Oberseminar Jaspers« an, schrieb eine philosophische Prüfungsarbeit, wurde von Frau Jaspers und ihm in die Wohnung eingeladen und sah mich nach dieser »Prüfung« im Jasperschen Oberseminar, ohne vorher Philosophie belegt zu haben.
Jaspers wurde auch nie böse, wenn man ihn einmal unterbrach. Als er einmal von Goebbels in einer Vorlesung sagte: Jedermann in Deutschland hätte sehen müssen, daß dieser ein Unikum war, fragte ich ihn, warum er das nicht früher gesagt habe. Ruhig und gelassen antwortete er: »Schon Plato hat gesagt, auch der Philosoph darf sich bei schlechtem Wetter unterstellen.«
Ich war 1947 durchaus mit der Antwort von Jaspers zufrieden, daß er wegen der Milch für seine Frau nach Basel gehe. Ich bin nur heute unzufrieden, daß er dem tödlich verunglückten Professor Schaefer etwas unterstellt, das seinen Weggang von Heidelberg politisch idealisiert.
Bonn DR. PAUL KÜBLER
Mein Mann hat Jaspers verehrt, hat das persönliche Gespräch, so oft es sich ermöglichen ließ, gesucht. Jaspers mußte ihn als einen Mann kennen, der maßlos unter dem Unrecht gelitten hat, das im Dritten Reich so vielen, besonders den Juden zugefügt worden ist. Mein Mann hat immer das stärkste Mitgefühl für Jaspers« persönliche Leiden, besonders die seiner Frau gezeigt. Daß Jaspers damals seinen Weggang nach Basel in Erwägung
zog, hat meinen Mann tief getroffen. Er fühlte sich im Stich gelassen, denn er hatte so sehr gehofft, daß Jaspers seinen Platz auch weiterhin an der Universität Heidelberg gesehen hätte, als eine Stütze beim Wiederaufbau der Universität, als einen Halt für die Jugend in ihrer damaligen schweren Situation. Er hat Jaspers nicht verstanden, da ihm die Sache der Universität immer über die eigenen persönlichen Interessen ging.
Heidelberg CHARLOTTE SCHAEFER
Da nicht einmal Karl Jaspers beim Wiederaufbau 1945 eine Demokratisierung des teilweise reaktionären Universitätswesens erreichen konnte, kann man die Hoffnungslosigkeit der Studenten verstehen, die bisher an derselben Aufgabe gescheitert sind. Bleibt nur die Hoffnung, daß der SDS neben Vietnam und Griechenland die Mißstände im eigenen Land nicht übersieht.
Eitorf (Nrdrh.-Westf.) HANS JULIUS POTT