Landschaften der Lüge
Nicht jeder war »Inoffizieller Mitarbeiter« (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), wenn er dessen Sache gut besorgte. Es gab viele Varianten.
Man mußte auch nicht immer unterschreiben - selbst bei der IM-Verpflichtung genügte »in Ausnahmefällen« die »mündliche Willenserklärung"* - und in allen Punkten ihrer Meinung sein. Im Gegenteil: Die Vielfalt der Personen, Berufe, Ansichten, Lebensläufe und persönlichen Bezüge war gerade das Reizvolle, höchst nützlich aus der Sicht der Stasi.
Darin wollte sie sich tummeln, das wollte sie erhalten, oft sogar fördern. Nur eines mußte garantiert sein: eine möglichst heimliche und beständige Abhängigkeit des Informanten von den »Genossen«. _(* MfS-»Wörterbuch der ) _(politisch-operativen Arbeit«, Seite 190. )
In der Stasi-Hochschule Potsdam-Golm gab es dazu Lehrgänge und Gesprächsvorbereitungen, Auswertungen und »Sachstandsberichte«, es wurden Analysen, Diplomarbeiten, ja Dissertationen geschrieben. Zum Beispiel: »Die Dokumentation und Auswertung operativ bedeutsamer Informationen zu IM - eine wesentliche Grundlage für die Erhöhung der Wirksamkeit des IM-Systems«; 34. Promotionsverfahren am 30. November 1972. Oder: »Erfahrungen bei der Beeinflussung feindlich-negativer Personenzusammenschlüsse sowie von Einzelpersonen, die im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirksam werden, mittels geeigneter, qualifizierter IM«; Diplomarbeit von Thomas Rieger vom 1. April 1988.
Jetzt gibt es eine Sehnsucht nach guten, ehrlichen Leuten an der Spitze. Sie sollen sich durchsetzen, Erkämpftes bewahren und einen neuen Anfang schaffen, mit eigenen »authentischen« Strukturen. Der erste, von der Basis gewählte, vom Umsturz nach oben getragene Uni-Rektor (Heinrich Fink von der Ost-Berliner Humboldt-Universität -Red.) soll und muß es wohl sein - das ist die Sehnsucht.
Und was kommt jetzt aus diesen ekelhaften Regalen hervor? Schlecht abgetippte Berichte mit merkwürdigen Abkürzungen, banale, entblößte Innereien von Menschen, Andeutungen und falsch geschriebene Namen, irgendein Mitarbeiter mit einem Namen wie Lincke oder Reuter oder Müller hat unterschrieben - wie häßlich.
Dazu »Treffberichte«, »KW« für »konspirative Wohnung«, sie heißt auch noch »Hanna« oder »Waldfrieden«, meine Schwester heißt auch Hanna, denkt einer und: »Das kann doch nicht wahr sein!« - Es ist aber wahr.
Wußte denn der verpflichtete Intellektuelle XY, wie die eigene oder angemietete Wohnung eines »Inoffiziellen Mitarbeiters zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens« genannt wurde in der »Verschriftung« der Stasi? Nein. Vielleicht hat es ihm sein Führungsoffizier, der einen Vornamen hatte und eine Telefonnummer, später gesagt oder angedeutet.
Der Verpflichtete wußte eine Adresse, eine Etage, draußen ein Name, im Notizbuch ein Datum. Vielleicht hat er ein Telegramm bekommen, so war es verabredet, »Probe am 23. April«, Unterschrift »David«. Das war der IM-Vorname. So war das »Verbindungssystem«. Wurde es im Gespräch so genannt? Nein, es wurde ganz normal geredet: Wann sehen wir uns wieder? Oder der Offizier sagte: Ich schicke ein Telegramm, wie immer. Und die Adresse, wieder bei deiner Freundin? Ja, da erreichst du mich am besten.
Wenn etwas dazwischenkommt, sagte »der Wolfgang« oder »der Klaus«, rufst du an. Ja, sagte der Bestellte freundlich oder widerwillig; das sage ich noch, dann biege ich vom Thema ab. Oder: Also das teile ich mit, das ist doch das Letzte, das sollten die wissen. Und so geriet man Schritt für Schritt hinein in die Kommunikation, ins »System«, in die Gewohnheit, ins Spiel.
Es gab Krisen, »Unterbrechungen«, ein neues »Anbahnen«, dann wechselte der »Partner«, das »lief dann menschlich besser« oder »noch stressiger mit dem Neuen«. Die Berichte wurden geschrieben oder auf Band gesprochen; »was weiß ich, was ich alles erzählt habe?« Oder der Offizier »faßte zusammen«. Ein operativer »Maßnahmeplan«? Davon weiß ich überhaupt nichts, damit hatte ich gar nichts zu tun, diese schreckliche Sprache, wie häßlich die das ausgedrückt haben, ich wollte doch nur Gutes, andere beschützen oder mich irgendwie herauswinden.
Solche Gespräche, Gedanken, Geständnisse, Verdrängungen wird es jetzt viele geben. Wer mit der Stasi sprach, konnte gewiß nicht kontrollieren, was die »damit machte«. Das war ja die Methode, ihr System. Sich diesen Leuten anzuvertrauen, sich nicht zu entziehen, hatte unberechenbare Folgen.
Die kleinen oder großen Zuwendungen sind nun weg, der »Bezug«, die geheime Nummer, das Überlegenheitsgefühl dabei, der Informationsvorsprung, der Kitzel, auch die Angst, die Demütigung, der Druck. Etwas fehlt diesem merkwürdigen, oft gespaltenen, getretenen, aufgeblasenen oder gekränkten Ich. Wer bin ich? Wer bist du wirklich?
»Wer ist wer?« - Das war ihre Devise. Und jetzt? Bist du etwa ein Spitzel, ein IM, ein Täter? Hast du uns verpfiffen und ausgeliefert, in Not oder gar ins Gefängnis gebracht mit deinem Gequatsche, deinem Heimlich-Tun, deinem Herumhängen und Beobachten, Mitmischen und Abwürgen, Dämpfen und »Neutralisieren«, »Loyalisieren«, wie es in der Stasi-Sprache hieß? So wird gefragt.
Ist etwa jemandem etwas zugestoßen? Ja. Wem, was, durch wen - das wird die Akteneinsicht ab Januar 1992 nach und nach zutage fördern. Und zwar die Akteneinsicht der Opfer. Wer selbst IM war, darf die »von ihm erstellten Berichte« nur einsehen, wenn er ein substantielles »rechtliches Interesse« glaubhaft machen kann - so regelt es das neue Gesetz. Aber die IM wissen ohnehin fast alles, sie haben es doch gemacht.
Die Stasi wollte ihre Inoffiziellen Mitarbeiter zunächst einmal in eine Abhängigkeit bringen, möglichst in eine totale - mit psychisch verheerenden Folgen. Die Souveränität des einzelnen wurde dabei so weit aufgehoben, daß er sich bei fortgesetzten »Gesprächen« willig an dieser Selbst-Demontage beteiligte.
Ihr pseudo-objektiver Ton, das Drehen und Wenden ins politisch »Positive«, der Gebrauch von Termini aus der Soziologie und der Persönlichkeitspsychologie sollte diesen Abgrund überbrücken und verdecken. Ein Verbrechen gegen die Humanität, auch und zuerst an den Inoffiziellen Mitarbeitern selbst, bevor sie dazu gebracht wurden, Täter zu werden. Nicht nur mit schönen Worten.
Da liest man unter »Berichterstattung«, daß der »IM-führende Mitarbeiter . . . das Vorgehen des IM zur Erfüllung der gestellten Aufgaben einschätzen und bewerten und in differenzierter Weise mit Sanktionen arbeiten« soll. Sanktionen, das heißt nichts anderes als Druck machen, bestrafen, drohen. Vielleicht auch einmal beiläufig fallenlassen: »Wenn das Ihre Frau wüßte, mit wem Sie reden«; oder auf Berufschancen hinweisen, auf Veröffentlichungen, die ja auch scheitern könnten, »wenn wir operativ intervenieren« beim Verlag.
Viel elendes Hin und Her wird es gegeben haben. Der zum IM gemachte Mitmensch sollte zu »dem Wolfgang« völlig ehrlich sein, dieser durfte mit den Informationen machen, was er wollte, auch an andere »DE« (Diensteinheiten - Red.) »übergeben«.
Der IM aber mußte sogar gegenüber seinen Nächsten verschweigen, daß er mit der »Firma« zu tun hatte. Hier sind wir am Kern eines pervertierten Menschenbildes. Es überrascht uns dann gar nicht mehr, von einem MfS-Bezirksleiter ein Dokument zu finden, das am 24. Januar 1985 den _____« Beschluß des Präsidiums des Ministerrates Nr. » _____« 02-162/85 v. 9. Januar 1985 über »Aufgaben zur » _____« Einflußnahme und Kontrolle gegenüber psychisch » _____« auffälligen Bürgern, die sich asozial verhalten und » _____« kriminell gefährdet sind« »
aufgreift und derartig präzisiert: Es _____« werden den Räten der Kreise, insbesondere den » _____« Abteilungen Innere Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit » _____« den Abteilungen Gesundheits- und Sozialwesen und den » _____« Ämtern für Arbeit unter Einbeziehung von Ärzten und » _____« Psychologen konkrete abrechenbare und berichtspflichtige » _____« Aufgaben auf der Grundlage der Gefährdetenverordnung . . » _____« . gestellt . . . Ich halte es für zweckmäßig, daß die » _____« Leiter der KD/OD (Kreis- und Ortsdienststellen -Red.) im » _____« Rahmen des Zusammenwirkens mit den Vorsitzenden der Räte » _____« der Kreise Einsicht in diesen Beschluß nehmen und » _____« gemeinsam solche Festlegungen treffen, die den Interessen » _____« des MfS gerecht werden. Dazu ist unter Zugrundelegung der » _____« vorgegebenen Charakteristik des Personenkreises . . . aus » _____« Erkenntnissen und Speicherwerten . . . zu prüfen, ob » _____« unter Wahrung der Konspiration die den Diensteinheiten » _____« bekannten gefährdeten Personen differenziert in die » _____« staatlichen und gesellschaftlichen Kontroll- und » _____« Betreuungsmaßnahmen einbezogen werden sollten . . . »
Unterzeichnet von Generalmajor Lehmann, dem Leiter der Bezirksverwaltung Gera. Was heißt das? Zum Beispiel heißt das, den »IM-Bestand planmäßig zu erweitern« unter »Berücksichtigung« dieses »Personenkreises«. Etliche Menschen, die in einer Therapie waren, wurden angeworben oder »kontaktiert«.
Das MfS hat »rekrutiert« in Kinderheimen, Gefängnissen, Jugendwerkhöfen, psychiatrischen Kliniken, unter der Klientel von Ärzten, Pfarrern und Psychologen. Und es behielt Oppositionelle, wenn sie in Krisen kamen, gut im Griff: Über IM-Ärzte und -Schwestern, über Jugendhilfestellen und Therapiezentren.
Wir dürfen uns das »Anwerben« und »Führen« von IM auf keinen Fall nur als ideologische Agitation oder Agentenplausch vorstellen, auch nicht als Sekretärinnen-Love-Story oder als Überzeugungsgespräch aus »antifaschistischen Motiven«, im Hintergrund das edle Paul-Newman-Gesicht des DDR-Helden Markus Wolf. All dies hat es auch gegeben, aber in der Mehrzahl ging es um erpreßte »Sofortwerbungen«, wenn »kompromittierendes Material« vorlag; es ging um: ausnutzen, breitschlagen, nötigen, mißbrauchen. Auch die psychisch Kranken wurden hergenommen.
In einem »Abarbeitungsgespräch« mit einem »operativ-interessierenden« Verleger und Literaturwissenschaftler, der unterworfen und als Experten-IM geworben werden sollte - er lehnte ab -, formulierte zum Beispiel Oberstleutnant Müller in einem »Bericht über weitere Kontaktgespräche« am 22. Januar 1980: _____« Diese Zwischenbilanz . . . bestätigt den » _____« gegenwärtigen Stand des »Kampfes um seine Seele« . . . » _____« Allerdings sind w e i t er e Gespräche nötig. »
Kampf um die Seele. Die Seele wehrt sich, behauptet mitunter ihre Autonomie. Aber nicht selten gelingt der psychische Angriff, der psychische Mord. Und es gibt, offenbar hunderttausendfach, die bittere, niederdrückende Wahrheit, daß das MfS diesen Kampf während der zurückliegenden Jahrzehnte gewonnen hat. Was das für uns alle bedeutet, beginnen wir erst jetzt zu ahnen.
An der »Hochschule des MfS« in Potsdam gab es ein Direktstudium im Lehrgebiet 6: »Operative Psychologie«. Komplex III: _____« Psychologische Grundlagen der Einflußnahme auf die » _____« Persönlichkeit bei der Lösung der dem MfS übertragenen » _____« Aufgaben. »
Seminare, Praktika und Vorlesungen im »operativen Einsatz bei der Führung von IM und dem Realisieren von Operativen Vorgängen«. Viel Literatur, viel Wissensvermittlung: Die Verkehrung einer Wissenschaft des Heilens in eine »Operative Methode« zum Fertigmachen von Menschen, zum Erzeugen von Spannungen, Konflikten, Neurosen und Psychosen. Und zum Motivieren.
Kleine Kostprobe aus diesem »Schriftgut": _____« Die operative Psychologie macht deutlich, welchen » _____« Einfluß das Gefühl der Furcht auf die Gedanken und » _____« Handlungen des Faktors » _____« Mensch haben kann. Sie hilft bei der Durchdringung, » _____« Einschätzung und Beeinflussung des menschlichen » _____« Verhaltens und seiner inneren psychischen Bedingungen als » _____« Voraussetzung für das Erreichen der Soll-Eigenschaften. »
Einige, so wenige nicht, hatten die »Soll-Eigenschaften« schon erreicht. Zum Beispiel die »Nomenklaturkader«. Das sind _____« bestätigte Angehörige des MfS in Führungs- und » _____« Leitungsfunktionen, die entsprechend zentralen Regelungen » _____« in Kadernomenklaturen aufgenommen sind. N. sind der » _____« Partei der Arbeiterklasse und ihrer Führung treu » _____« ergebene, erfahrene, gut ausgebildete, in der » _____« politisch-operativen und fachlichen Arbeit sowie der » _____« Führungs- und Leitungstätigkeit einschließlich » _____« Parteifunktionen bewährte und charakterlich sowie » _____« moralisch vorbildliche Angehörige des MfS. »
Erfahren . . . gut ausgebildet . . . treu ergeben, ich füge hinzu: flexibel, aktiv-anpassungsfähig. Eine subalterne Elite. Wo sind sie alle geblieben?
Und die »Quellen"*, die »Informationsträger«? Unterschieden wird zwischen inoffiziellen und offiziellen Quellen. Die inoffiziellen, das sind die IM, auch die GMS, die »Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit«.
Die offiziellen »Quellen« sind _____« Personen, die im Rahmen des Zusammenwirkens oder in » _____« anderer offizieller Form zur Gewinnung operativ » _____« bedeutsamer Informationen genutzt werden, und offizielle » _____« Unterlagen, Materialien, Dokumente, Publikationen, » _____« Archive, Informationsspeicher . . . die Tagespresse, » _____« Zeitschriften u. ä. » _(* »Wörterbuch der politisch-operativen ) _(Arbeit«, Seite 330. )
Menschen, Personen und Unterlagen: Wer oder was? Eben beides. Auch Menschen sind »Unterlagen«.
Auch vom »friedlichen Leben der Bürger« ist ständig die Stasi-Rede. Breiter, umfassender kann man kaum formulieren und »operieren«. Wer wäre wohl nicht für den Frieden? Oder für die friedliche, kameradschaftliche Nutzung der Wissenschaft, der Kultur?
Dazu Beispiele: In der DDR gab es in den achtziger Jahren verschiedene politische Untergrundpublikationen der Opposition, unter anderem »Grenzfall«. Beteiligt daran waren Ralf Hirsch (MfS-Operativer Vorgang »Blauvogel"), Reinhard Weißhuhn (OV »Henne"), Bärbel Bohley (OV »Bohle"), Lotte und Wolfgang Templin (OV »Verräter"). Es kam zu zahlreichen »operativen Maßnahmen«, Verhören, Verhaftungen, Ausweisungen. Ende ''87, Anfang ''88 wurde ein »Entscheidungsschlag« vorbereitet, Festnahmen und auch Prozesse wurden geplant.
Ralf Hirsch drohte man im Februar 1988 eine Strafe bis zu zehn Jahren Zuchthaus an, als er in Hohenschönhausen einsaß wegen »staatsfeindlicher Hetze« und »staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme« - sie hatten ihre Paragraphen. Das MfS führte das Ermittlungsverfahren, die Generalstaatsanwaltschaft bereitete die juristische Ächtung vor. Sie hatte Experten aus der zuverlässigen Ost-Berliner Universitäts- und Hochschullandschaft beauftragt, ein »Gutachten über das Informationsblatt ,Grenzfall''« zu verfassen.
Es sollte verwendet werden »im Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gemäß 218 des StGB (Zusammenschluß zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele)«. Am 15. Januar 1988 lag das Gutachten vor. Drei deutsche Professoren formulierten - nach 18 Seiten voller böser Zitate - das folgende »Resümee": _____« 1. Bei dem Informationsblatt . . . handelt es sich um » _____« ein strategisch angelegtes Zentrum zur » _____« politisch-ideologischen Orientierung, Formierung und » _____« Aktivierung von Bürgern der DDR gegen die politische - » _____« vor allem staatliche und rechtliche - Ordnung der DDR . . » _____« . Darüber hinaus richtet sich dieses Blatt auch gegen » _____« andere sozialistische Länder . . . ruft zur Unterstützung » _____« dieser Aktivitäten und zum Zusammenschluß aller » _____« staatsfeindlichen und verfassungsfeindlichen Kräfte in » _____« sozialistischen Ländern auf. »
Es folgen weitere Punkte, ein Satz scharfmacherischer als der andere. Schließlich Punkt 7: _____« Obwohl »Umweltblätter« nicht Gegenstand des » _____« Gutachtens ist, möchten wir darauf hinweisen, daß » _____« »Umweltblätter« in wachsendem » _____« Maße inhaltlich auf »Grenzfall« eingeschwenkt ist. »
Die »Umweltblätter« vom Prenzlauer Berg dürfen also auch nicht mehr existieren. Unterzeichnet mit schwungvollen Unterschriften und gewichtigen Titeln: _____« Prof. Dr. sc. jur. Horst Luther, Prof. Dr. sc. phil. » _____« Anni Seidl, Prof. Dr. phil. habil. Günter Söder. »
Und jetzt der Frieden, unser wichtigstes Gut: Am 22./23. April 1983 fand in der West-Berliner Akademie der Künste die »2. Berliner Begegnung« statt - Thema: »Den Frieden erklären«. Über 40 Autoren waren eingeladen. Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich und ich sagten zuerst zu, dann aber ab, weil wir eine offene Begegnung erwartet hatten, an der zum Beispiel auch Lew Kopelew, Wolf Biermann und Pavel Kohout teilnehmen konnten. Das war dann nicht so geplant.
»Ist der Krieg, den die Staatsorgane der DDR und der DDR-Schriftstellerverband oppositionellen Schriftstellern erklärt haben, still zu Ende gegangen?« Diese Frage stellten wir, und wir antworteten »nein«. Und verwiesen auch auf die Diskriminierung von unabhängigen Friedensgruppen in der DDR. In Jena hatte es Ende Januar 1983 wieder Verhaftungen gegeben, Schweigeaktionen und Demonstrationen mit eigenen Plakaten (etwa: »Militarisierung raus aus unserem Leben"), die »operativ beendet« wurden, waren vorausgegangen. Wir sagten: »Einige sollen unversehens ein wenig mitreden dürfen über den Frieden; aber nur vor der Haustür, und nur über den Weltfrieden.«
Die Begegnung fand statt. Karla Dyck von der Abteilung »Internationale Beziehungen« des Schriftstellerverbandes der DDR hatte am 4. November 1982 ein 13seitiges internes Informationsschreiben herumgeschickt; Thema: »Zu den Friedensaktivitäten des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Druck und Papier und den dagegen gerichteten Angriffen der Reaktion«.
Wer ist die »Reaktion«? Reiner Kunze, der protestierend aus dem VS ausgetreten war mit der Begründung: »Ich bin nicht bereit, die verlogenen Auftritte eines Hermann Kant und seiner Genossen auf Veranstaltungen des Verbandes Deutscher Schriftsteller und die Hofberichterstattung über diese Auftritte . . . durch meinen Mitgliedsbeitrag mitzufinanzieren«; ferner Gerhard Zwerenz, Herbert Achternbusch, Ota Filip, Joachim _(* 1983 in der West-Berliner Akademie der ) _(Künste. ) Seyppel, Wolf Biermann, Utz Rachowski, Jürgen Fuchs und andere.
Zitat Dyck: _____« Der von den genannten Personen gesäte Unfrieden » _____« innerhalb des VS wird von den Medien . . . aufgegriffen . » _____« . . Die Angriffe . . . wenden sich auch . . . gegen die » _____« Gewerkschaft . . . mit deren Hilfe die Autoren politische » _____« Interessen gemeinsam vertreten. »
Wer ist gut und für den Frieden? Der Schriftsteller Bernt Engelmann. Die »Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED«, vertreten durch Heinz Bonk und Klaus Ziermann, stellt in einer Einschätzung über Engelmanns »Weißbuch: Frieden« am 26. Mai 1982 fest: _____« . . . ein außerordentlich begrüßenswerter Beitrag von » _____« grundsätzlich positiver Bedeutung . . . »
Und als Regieanweisung für zukünftige Debatten und Begegnungen konstatieren die Genossen: _____« . . . mit den teilweise vorhandenen Einschätzungen, » _____« die mit der Realität nicht übereinstimmen » _____« (Nichtangriffspakt Deutschland-UdSSR . . .), sollte die » _____« Diskussion nicht belastet werden. »
Sie belasten die Diskussion dann auch nicht. Nur das Thema »Jena« kommt immer wieder hoch. Peter Schneider protestiert gegen die Verhaftungen, auch Hans Christoph Buch und Günter de Bruyn tun dies. Der Schriftsteller Benito Wogatzki hält dagegen: _____« Die Geneigtheit zu einer solchen Schärfung und » _____« Zuspitzung, wie sie Herr Gaus empfindet, die sehe ich » _____« auch . . . Hier wurde Jena erwähnt. Es handelt sich nicht » _____« um Friedenskämpfer. Ich weiß es . . . Ich habe mich dafür » _____« interessiert, und entgegen anderslautenden » _____« Presseveröffentlichungen befinden sich unter denen, gegen » _____« die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, » _____« keine religiös gebundenen Personen, keine Angehörige der » _____« Friedensbewegung, keine Arbeiter und keine Vertreter aus » _____« dem Bereich von Kunst und Literatur . . . »
Ulrich Plenzdorf: »Ich weiß nicht, was die Konsequenz von Wogatzkis heiteren Ausführungen ist . . . Waren es am Ende keine Menschen mehr?« Stephan Hermlin spricht über die »unvollkommene Form« des Sozialismus, »die viel mehr zu tun hat mit Frieden als der Kapitalismus . . . Ich bin für die Regierung meines Landes, das bin ich freiwillig . . .« Günter Graß wirft ein: »Nur wenn man die Menschenrechte respektiert, läßt sich Friedensbewegung entwickeln.«
Am 23. Februar 1983 hatte man die Mitglieder der »Jenaer Friedensgemeinschaft« überraschend in einer »zentralen politischen Entscheidung« aus der Haft entlassen. Einige hatten im Druck der Verhöre Übersiedlungsanträge gestellt. Hermlin stellte wohlinformiert fest: _____« Es gibt . . . junge Leute . . . die man mit Mißtrauen » _____« beobachtet. Das ist etwas, was ich bedaure . . . Im » _____« Dezember . . . wurden in Jena eine Reihe von jungen » _____« Leuten festgenommen. Sie wurden inzwischen alle längst » _____« entlassen. Eine Presse . . . die unendlich viel Raum » _____« daran gegeben hat, über die Festnahmen und über die » _____« Festgenommenen zu berichten, hat über die Entlassungen, » _____« die nach kurzer Zeit erfolgten, nichts berichtet. »
Doch, die Presse hat berichtet. Ich habe eine Mappe voller Zeitungsausschnitte. Man wußte nicht, warum es zu den Entlassungen gekommen war. Es gab Auflagen des MfS, Drohungen, ja nicht die Ausreiseanträge zurückzuziehen. Die Ex-Häftlinge, darunter Frank Rub, Roland Jahn, Manfred Hildebrandt, Peter Kähler, Petra Falkenberg, Michael Rost - Bürgerrechtler, Christen, Angehörige der Friedensbewegung, auch Arbeiter -, sahen im Fernsehen die Übertragung der 2. Berliner Begegnung für den Frieden. Besonders empörte sie, was Wogatzki gesagt hatte.
Am 29. April 1983 übergaben Michael Rost und Roland Jahn im Sekretariat des Schriftstellerverbandes der DDR in Ost-Berlin Protestschreiben von Angehörigen der »Jenaer Friedensgemeinschaft«. Sie waren an Hermann Kant und Benito Wogatzki gerichtet. Am 3. Juni 1983 übergab der Leiter der Hauptverwaltung XX, Generalmajor Kienberg, dem »Stellvertreter Operativ Genossen Oberstleutnant Seidel« von der Bezirksverwaltung Gera »eine Information sowie weiteres Material zu Aktivitäten der operativ bekannten Personen KÄHLER, RUB, ROST und JAHN«. In der »Anlage 11 Blatt": »Briefe mit . . . provokatorischen Forderungen« (der »Jenaer Friedensgemeinschaft« -Red.) und ein Vermerk: _____« Am 29. April 1983 erschienen um 14.05 Uhr im » _____« Sekretariat des Schriftstellerverbandes der DDR Michael » _____« Rost, 6900 Jena, Magdelstieg 22 (PA-Nr. L 0259905), und » _____« Roland Jahn, 6900 Jena, Jahnstr. 10 (PA-Nr. L 0342206). » _____« Sie übergaben Genossin Gisela Klauschke zwei Briefe » _____« adressiert an Benito Wogatzki und an Hermann Kant. » _____« In dem Schreiben, das als Absender Eve und Frank Rub, 69 » _____« Jena, Arvid-Harnack-Str. 2, trägt und vom 27. 4. 1983 » _____« datiert ist, wird Benito Wogatzki aufgefordert, seine » _____« »falschen Angaben«, die er in seiner Rede auf der » _____« internationalen Schriftstellerkonferenz in Westberlin » _____« (22./23. 4. 1983) gemacht habe, richtigzustellen . . . » _____« Der Brief an Hermann Kant enthält eine Durchschrift des » _____« Schreibens an Benito Wogatzki. Rost und Jahn waren für » _____« wenige Minuten im Verbandssekretariat, stellten sich als » _____« Freunde des Absenders Rub vor und übergaben die genannten » _____« Briefe. Danach verließen sie den Verband. » _____« Berlin, den 29. 4. 1983 Gerhard Henniger »
Ein genauer Vermerk: Datum, Uhrzeit, Ort, sogar die Nummern der Personalausweise und die Adressen der beiden Jenaer lieferte Henniger mit. Im Mai/Juni startete das MfS die »Aktion Gegenschlag": Fast alle Mitglieder der »Jenaer Friedensgemeinschaft« wurden aus dem Land getrieben, es gab ein »Stufenprogramm der Übersiedlungsmaßnahmen«.
Und nun die Frage: Wie sind die Briefe und dieses Schriftstück mit der Unterschrift des langjährigen 1. Sekretärs und (als solcher) Präsidiumsmitglieds vom Schriftstellerverband in die Materialsammlung von MfS-Generalmajor Kienberg gekommen?
Über Henniger selbst? Über Frau Klauschke, die im Hochhaus auf der Fischerinsel neben Sarah Kirsch wohnte und ganz lieb den kleinen Sohn betreuen, gar den Wohnungsschlüssel haben wollte, um immer kameradschaftlich und hilfreich zu sein?
Über Ursula ("Ursel") Ragwitz von der ZK-Kulturabteilung des Genossen Hager, mächtig im Hintergrund? Oder gleich über den »Herrn König« vom MfS, über den Joachim Walther berichtet hat, »daß er ein und aus ging bei Karla Dyck und ihrer ,Abteilung Internationale Beziehungen''«?
Im Mitarbeiterregister gibt es keinen Rolf König, dessen Diensteinheitenschlüssel hier passen würde. Ein Deckname? Das war durchaus üblich, wenn »offizielle Organe« angelaufen wurden durch die Herren der HA XX/7, zuständig für die »Sicherung des Ministeriums für Kultur, des Staatlichen Komitees für Rundfunk und Fernsehen sowie von zentralen Einrichtungen, Institutionen und Organisationen der Kultur, Kunst und Literatur«, laut MfS-Strukturplan ausgestattet mit 42 Mitarbeitern und circa 350 IM, einer ziemlich hohen Zahl von »Inoffiziellen«, viel mehr als in anderen Abteilungen. Man muß ja noch die Bezirksverwaltungen dazuzählen mit ihren jeweiligen Abt. XX/7.
War »Herr König« vielleicht OibE (Offizier im besonderen Einsatz) oder ein HIM (Hauptamtlicher Inoffizieller Mitarbeiter)? Wer weiß. Hermann Kant hat damit überhaupt nichts zu tun, der liest diese Zeilen irgendwann im Intercity-Zug zwischen Hamburg und Berlin. Die alten Geschichten liegen weit zurück*. Aber vielleicht fällt ihm oder anderen Kollegen doch noch etwas ein.
Spätestens Anfang Januar ''92, wenn in der Normannenstraße gemäß dem Stasi-Unterlagen-Gesetz die »Operativen Vorgänge« (OV) eingesehen werden können, einschließlich der IM-Klarnamen. Sarah Kirsch zum Beispiel hatte _(* Als ich 1977 wegen »staatsfeindlicher ) _(Hetze« im Knast saß, erkundigte sich der ) _(Schriftsteller Peter Schütt, damals ) _(DKP-Vorstandsmitglied, nach den Gründen. ) _(Schütt erinnert sich, daß »Hermann Kant ) _(. . . die Ansicht äußerte, die ) _(,Angelegenheit habe mit Literatur nichts ) _(zu tun'', eher schon ,mit gewöhnlicher ) _(Agententätigkeit''.« Schütt glaubte dies ) _(und lancierte die tückische Verleumdung ) _(in die Öffentlichkeit (West-Berliner ) _(Extradienst vom Frühjahr ''77). Das ND ) _(zog 1988 noch einmal nach. Kant hat sich ) _(bis heute nicht entschuldigt. ) den OV »Milan«, Reg.-Nr. XV 1771/77, nicht wenige archivierte Bände. Viele Schriftsteller kommen darin vor. Womöglich die komplette »inoffizielle« Literaturgeschichte der DDR? Oder gar die deutsch-deutsche?
Als die Bürgerkomitees Anfang 1990 die Bestände vor der Vernichtung sicherten, blätterten sie ein wenig. Allein in den Jahren 1977 bis 1981 - Sarah Kirsch ging Ende ''77 unter Druck in den Westen - wurde die Lyrikerin von 14 Inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern mit »Feindberührung« (IMB) belauert: »Katrin Neumann«, »Paul Degner«, »Dichter«, »Franz«, »Hartmut Möwe«, »Hölderlin«, »Hermann«, »Gisela«, »Winter«, »Rose«, »Ludwig«, »Kurt«, »Anton«, »Hans« . . . Verleger, Literaturkritiker, Freundinnen, Autoren, Westlinke mit DDR-kritischem Touch.
Es wird einige Überraschungen geben. *HINWEIS: Im nächsten Heft Störung der literarischen und politischen Verbindungen nach Warschau und Prag - KGB-Aktivitäten in Jena und Ost-Berlin - Der »deutsche Walesa": MfS-Bespitzelung der Solidarnosc-Führung
* MfS-»Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit«, Seite 190.* »Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit«, Seite 330.* 1983 in der West-Berliner Akademie der Künste.* Als ich 1977 wegen »staatsfeindlicher Hetze« im Knast saß,erkundigte sich der Schriftsteller Peter Schütt, damalsDKP-Vorstandsmitglied, nach den Gründen. Schütt erinnert sich, daß"Hermann Kant . . . die Ansicht äußerte, die ,Angelegenheit habe mitLiteratur nichts zu tun'', eher schon ,mit gewöhnlicherAgententätigkeit''.« Schütt glaubte dies und lancierte die tückischeVerleumdung in die Öffentlichkeit (West-Berliner Extradienst vomFrühjahr ''77). Das ND zog 1988 noch einmal nach. Kant hat sich bisheute nicht entschuldigt.