BUND/LÄNDER Lange Bank
Herbert Wehner stimmte ein altes Klagelied an. Wie eh und je, beschwerte sich der SPD-Fraktionschef letzte Woche vor seinen Genossen, nutzten die Unionsparteien ihre Mehrheit im Bundesrat dazu aus, der Regierung lästige Fesseln anzulegen.
In den letzten Jahren, so Wehner über die »unsoziale Blockadepolitik der Union«, hätten die Christdemokraten eine Unzahl von gesetzlichen Verbesserungen zu verwässern oder zu verhindern versucht, leider »oft mit Erfolg«.
Die Genossen hörten's gar nicht gern. Nicht nur daß ihnen der Wahlkampf ohnehin schon den Urlaub verdirbt -- vermutlich müssen sie auch nachsitzen. Denn ohne eine Sondersitzungswoche im Sommer werden die Abgeordneten ihr Pensum nicht mehr schaffen.
Dutzende von Gesetzentwürfen sind noch auf dem langen Marsch durch die Ausschüsse des Bundestags, andere stauen sich beim Bundesrat.
Bei sechs Gesetzen riefen die unionsregierten Länder in der letzten Bundesratssitzung Mitte Juni den Vermittlungsauschuß an, drei Projekte -- die Erhöhung des Wohngeldes, das Jugendhilfegesetz und die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Sozialversicherung -- schoben sie kurzerhand von der Tagesordnung ab auf die lange Bank.
Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht ließ keinen Zweifel daran, wie die Machtprobe zu verstehen sei: als Quittung für die massive Länderschelte des Kanzlers auf dem Essener SPD-Parteitag.
Helmut Schmidt hatte dort den unionsregierten Ländern vorgeworfen, sie wollten den Bund finanziell aushungern: »Seit die CDU/CSU die Mehrheit des Bundesrates zum verlängerten politischen Arm der Bundestagsopposition gemacht hat, bedient diese Mehrheit ...« bei »jedem Steuerverteilungsgesetz die eigene Tasche -- zu Lasten der Bundeskasse.« Ein CDU-Politiker: »Das war der Fehdehandschuh.«
Fünf Tage nach dem demonstrativen Kraftakt des Bundesrates war der Bundestag wieder an der Reihe. Letzte Woche fielen im Finanzausschuß gleich zwei Entwürfe des Bundesrats durch: ein Gesetzeswerk zur Reform der Grunderwerbsteuer und eines zur Umwandlung der bisherigen Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale für alle Arbeitnehmer. Bis der Steuerstreit zwischen Bund und Ländern geklärt sei, so rechtfertigten vergangenen Donnerstag die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU in Hamburg die Sturheit der Unions-Föderalisten, sollten neue kostenwirksame Gesetze zurückgestellt werden.
In dem Kleinkrieg zwischen Bund und Ländern wird der Papierberg jetzt in ein Gremium gewälzt, das für gewöhnlich still, aber wirksam zwischen Bundesrat und Bundestag auszugleichen versucht: in den Vermittlungsausschuß, wo 22 Abgeordnete und Ländervertreter sich bei strittigen Gesetzesprojekten um Kompromißvorschläge bemühen.
So muß der Ausschuß in seiner nächsten Sitzung allein acht Gesetze beraten, von der Künstlerrente bis zum Steuerentlastungspaket. Ein Ausschuß-Mitglied: »Der Bundestag schießt in den letzten Wochen noch raus, was er kann. Der Bundesrat verweigert die Zustimmung, und wir haben dann den Schwarzen Peter.«
Was unter solchen Umständen noch geht und was nicht, gleicht immer mehr einem Lotteriespiel -- viele Nieten und kaum Treffer.
Beim Plan etwa, die selbständigen Künstler und Publizisten in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung aufzunehmen, sind die Gegensätze zwischen Opposition und Regierung so unversöhnlich, daß ein Kompromiß kaum denkbar scheint.
Beim Verkehrslärmschutzgesetz verlangen die Länder, um Kosten zu sparen, höhere Schwellenwerte für den gerade noch zulässigen Krach. Beim Strafrechtsänderungsgesetz wollen sie die geplante Regelung, Lebenslängliche nach 15 Jahren auf Probe zu entlassen, wieder verschärfen.
Vollends unlösbar erscheinen die Konflikte, bei denen sich ideologische und finanzielle Argumente im langen Streit untrennbar vermengt haben. Beim Jugendhilfegesetz, von den SPDregierten Ländern Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg wieder auf die Tagesordnung des Bundesrates gesetzt, werfen die Unionsparteien den Sozialliberalen Eingriffe ins Elternrecht vor und wehren sich gegen neue Belastungen für Länder und Gemeinden. Jährlich steigende Mehrkosten bis zu einer Milliarde Mark für 12 000 zusätzliche Sozialarbeiterstellen seien unzumutbar.
Und seit der Krach zwischen dem Kanzler und den Länder-»Finanzscheichs« (Schmidt) die Union zur großen Verweigerung provozierte, ist nicht einmal mehr sicher, ob Matthöfer sein für 1981 versprochenes Steuergeschenk von insgesamt 17,5 Milliarden Mark noch termingerecht an die Bürger bringen kann. Beharren die Länder auf ihrem eigenen Gegenentwurf, müssen nacheinander Bundesregierung und Bundestag den Vermittlungsausschuß anrufen, unter steigendem Zeitdruck und mit durchaus ungewissem Ausgang.
Um den Widerstandswillen der Union zu brechen, wollen die Sozialdemokraten notfalls zu einem wenig feinen Trick greifen. Der Bundestag, so die Überlegung, könne auch nach dem 5. Oktober, in der Zeit zwischen dem Wahltag und dem Zusammentritt des neuen Parlaments, zur Sondersitzung nach Bonn kommen. Hoffnungsvoller Hintergedanke: Nach einem glänzenden Wahlsieg von Helmut Schmidt werde der Opposition auch im Bundesrat die Lust am großen Blockieren vergangen sein.